Mexiko: Kirche hilft Familien bei Suche nach vermissten Personen
Felipe Herrera-Espaliat und Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Sie rechnen nicht mehr damit, dass der Staat oder die Polizei ihre Lieben finden. Sie gelten als vermisst, seit langem. Also sind sie selbst aktiv geworden: Bewaffnet mit Schaufeln und Pickeln suchen mehr als 200 Mütter und Väter „Suchtrupps" nach ihren verschwundenen Angehörigen, die möglicherweise irgendwo in ganz Mexiko verscharrt wurden. Teils graben sie auch mit den bloßen Händen in der Erde auf brach liegendem Land - in der Hoffnung, die sterblichen Überreste ihrer Kinder- und Familienangehörigen zu finden, die entführt wurden oder einfach plötzlich im Nichts verschwunden sind. Die Angehörigen leben in ständiger Angst und organisieren sich, um anonymen Hinweisen auf illegale Massengräber nachzugehen.
Wie die katholische Kirche hilft
Eine dieser anonymen Quellen sind die so genannten „buzones de la paz” (Friedens(brief)kästen), die in dutzenden Kirchen des nordamerikanischen Landes aufgestellt sind, in dem laut Angaben des Innenministeriums seit dem Jahr 2006 mehr als 125.000 Menschen als vermisst gelten. Die katholische Kirche unterstützt die Familien, die die Suche nciht aufgeben wollen, zusammen mit weiteren Organisationen.
Drogenkartelle und Organhandel - Horror-Ranch entdeckt
Bei zahlreichen der Opfer spielen Drogenkartelle und Drogenkriminalität eine Rolle, sowie politisch motivierte „Abrechnungen" oder Racheakte im Zusammenhang mit Drogenhandel. Andere wiederum sind wohl Opfer illegalen Organhandels geworden, was erklären würde, warum auch zahlreiche junge Menschen - Jugendliche, Kinder und sogar Babys - vermisst werden.
Mitte März erschütterte das Land eine grausame Entdeckung eines der Mutter-Väter Suchtrupps: Sie hatten im Bundesstaat Jalisco ein Ausbildungslager der Mafia gefunden, das auch als Vernichtungslager genutzt wurde - mit Verbrennungsöfen für die Leichen. In der Ranch Izaguirre in der Gemeinde Teuchitlán, die heute als „Horror-Ranch“ bezeichnet wird, wurden hunderte von verkohlten Knochenresten und mehr als 1.800 persönliche Gegenstände wie Kleidung, Schuhe, Rucksäcke und Notizbücher gefunden. Zum Leid der Familien kam die Wut hinzu, weil die Polizei sechs Monate zuvor die Möglichkeit nicht ernst genug genommen hatte, dass sich an diesem Ort Überreste von Vermissten befinden könnten.
Bischöfe: Entrüstung und Schmerz
Unser Interview mit dem Weihbischof von Mexiko Stadt, Francisco Javier Acero
Weihbischof von Mexiko Stadt, Francisco Javier Acero: Das sind Briefkästen, die in den Pfarreien aufgestellt werden, damit die Leute anonym schreiben können. Wenn jemand von einem Gebiet weiß, in dem es Unregelmäßigkeiten und ungewöhnliche und verdächtige Bewegungen gegeben hat, schreibt er die Adresse dort auf. Bei dem Treffen, das wir einmal im Monat abhalten, tauschen wir dann alle diese Briefe aus. Dank dieser Informationen haben wir vergrabene Leichen und sogar Häuser entdeckt, aus denen Menschen entführt wurden.
Werden Sie auch konkret tätig, um die Behörden zum Handeln zu mahnen, oder konzentrieren Sie sich nur auf die direkte Arbeit mit den Familien der Vermissten?
Weihbischof Acero: Unser Appell richtet sich immer an alle Akteure der Gesellschaft. Unsere Arbeit hier in Mexiko besteht angesichts der Umstände, in denen wir leben, darin, Brücken zu bauen und Mauern abzubauen. Und diese Brücken gibt es auch mit der Regierung, damit sie zu Dialog fähig ist. Die ersten Schritte in Richtung Dialog sind getan, auch wenn zu befürchten ist, dass sich Protagonisten abzeichnen, die einerseits das Leid der suchenden Familien vernachlässigen und andererseits deren Schmerz bagatellisieren.
Es stimmt, dass es einen Ausschuss gibt, einen Suchausschuss, aber ich glaube, der Fehler liegt in der Struktur und dem System, mit dem diese Frage angegangen wird. Es müssen Menschen sein, die sehr gut zuhören können. Wir bitten darum, gut zuzuhören, den suchenden Müttern, den suchenden Vätern, den Geschwistern zuzuhören, die ein Drama erleben, weil sie nicht um ihre Lieben trauern können, wenn ihre Knochen, ihre Asche verloren sind.
Also: Wir wollen Brücken des Dialogs bauen und ihn niemals unterbrechen, wir wollen keine Polarisierung erzeugen. Aber ich habe Angst, dass die Bewegung der suchenden Familien ideologisiert wird. Wir tun es um des Evangeliums willen, und wir hören diesen Vätern und Müttern so zu, wie Jesus ihnen zugehört hätte: das ist unsere Aufgabe.
Welche Brücken konnten Sie bereits bauen?
Weihbischof Acero: Wir agieren als Friedensvermittler, indem wir die Beziehungen zwischen den Familien fördern und gleichzeitig das Bewusstsein und die Sichtbarkeit dieses Themas von den Kirchengemeinden bis zu den Behörden erhöhen. Der Dialog ist eingeleitet, aber wir müssen gemeinsam eine Agenda erstellen, um die Verpflichtungen, die wir letztes Jahr nach den Friedensdialogen, die wir als Kirche gefördert haben, eingegangen sind, umzusetzen.
Was erwarten Sie von den Seelsorgern der katholischen Kirche als Beitrag angesichts dieses Dramas?
Weihbischof Acero: Eine sehr konkrete Bitte der Mütter ist, dass die Priester die Namen der Vermissten nennen, wenn sie in der Liturgie für sie beten. Ich weiß, dass es Bischöfe gibt, die sich sehr für die Suche nach Müttern an anderen Orten engagieren, wo das Risiko hoch ist, und dass auch sie zum Informationsfluss beitragen.
Viele hören im Stillen zu und begleiten die Menschen, vor allem um zu verhindern, dass sowohl die Priester vor Ort als auch die Familien Risiken eingehen. Ich glaube, dass der nächste Schritt eine stärkere Koordinierung zwischen den Diözesen sein sollte, wie wir es auf der Ebene der Kirchenprovinz tun, um die Vernetzung zu stärken.
(vatican news)
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