Christen in Syrien: Neue Regierung, anhaltende Sorge und Abwanderung
Das Hilfswerk „Kirche in Not“ berichtete am Dienstag aus München über die Einschätzungen von Erzbischof Jacques Mourad von Homs zur Situation der Christen in Syrien. Obwohl Gottesdienste und Prozessionen ungehindert stattfinden könnten und die neue Regierung versöhnliche Gesten zeige, bestehe regional eine Ungleichheit bei den Regelungen. Niemand wolle sich das Missfallen der neuen Verantwortlichen zuziehen, so der Erzbischof bei einer Online-Pressekonferenz des Hilfswerks.
Auswirkungen auf kirchliche Aktivitäten und anhaltende Abwanderung
Diese Vorsicht beeinflusse auch die kirchliche Arbeit. Erzbischof Mourad führte aus: „Wir veranstalten im Sommer normalerweise Ferienlager an der syrischen Küste, Mädchen und Jungen gemeinsam. Dieses Jahr verzichten wir darauf, weil wir Angst vor der Reaktion der neuen Behörden in diesen Regionen haben.“ Des Weiteren wanderten Christen aufgrund der unsicheren Lage weiterhin aus. Während es früher vor allem junge Männer gewesen seien, die dem Militärdienst unter dem Assad-Regime hätten entgehen wollen, seien es nun primär junge Familien. „Sie wollen ihre Kinder nicht in einem Land aufwachsen lassen, in dem Islamisten die Straße kontrollieren.“
Die Präsenz islamistischer Milizen auf den Straßen werde von vielen Menschen als beunruhigend wahrgenommen, ergänzte der Bischof. Obwohl die Mehrheit der syrischen Bevölkerung dem sunnitischen Islam angehöre, werde diese Entwicklung mit Skepsis betrachtet. „Es gibt ein gesellschaftliches Unbehagen. Die Menschen sind niemals zuvor mit einer so rigiden Form des Islam konfrontiert worden.“ Trotz einer gewissen Zufriedenheit mit der neuen Regierung herrsche Angst, da für Islamisten gelte: „Wenn ein Sunnit nicht auf ihrer Linie ist, wird er als Gotteslästerer betrachtet, und auf Blasphemie steht der Tod.“
Analyse der Lage durch Fadi Krikor
Der gebürtige Syrer Fadi Krikor, Gründer des „Father's House for All Nations“, beleuchtete in einem Interview die Auswirkungen des Regimewechsels auf die Christen und die Zukunft des Landes. Er beschrieb den Sturz Assads am 8. Dezember 2024 als unerwartet, was einerseits Erleichterung, andererseits aber auch Sorge über die neuen Machthaber auslöste.
Krikor charakterisierte die neue herrschende Miliz HTS (Entität zur Befreiung Al Sham) als Ableger von Al-Nusra-Front, ISIS und Al-Qaida. Er wies darauf hin, dass der jetzige Anführer auf der Terrorliste der Amerikaner gestanden habe und die HTS eine radikale, politisch-islamistische Geburtsstätte habe. Obwohl sich die HTS derzeit tolerant gebe, betonte Krikor, dass ihre Überzeugung auf der Scharia basiere und dies nicht einfach abgelegt werde. Die HTS habe aus den Erfahrungen der Muslimbrüder in Ägypten 2011 gelernt und agiere nun diplomatischer.
Zusammenbruch staatlicher Strukturen und humanitäre Not
Krikor berichtete von einem weitgehenden Zusammenbruch der staatlichen Strukturen, einschließlich der Geheimdienste und der regulären Polizei. Viele Institutionen seien aufgelöst worden, und Gehälter würden nicht ausgezahlt, was zu einer hohen Notlage führe. Die neuen Machthaber seien überfordert, da sie ursprünglich nur begrenzte Ziele gehabt hätten und nun ein ganzes Land verwalten müssten. Erwähnt wurden auch Einschränkungen für Christen in HTS-kontrollierten Gebieten wie Idlib, wo Ordensleute ihren Habit nicht tragen durften und vereinzelt Übergriffe stattfänden.
Ausblick und internationale Unterstützung
Die Lage der Christen in Syrien sei von einem großen Fragezeichen geprägt. Man wisse nicht, wie es weitergehe, da die Minderheiten in den Plänen für eine neue Verfassung kaum repräsentiert seien. Krikor hofft auf internationale Initiativen, die den Minderheiten eine Stimme geben. Die Lieferung von Hilfsgütern sei aufgrund der zusammengebrochenen Strukturen und einer Abwehr gegenüber christlichen Aktivitäten schwierig.
Hinsichtlich einer Rückkehrbereitschaft von christlichen Flüchtlingen in Deutschland äußerte sich Krikor zurückhaltend. Er glaube nicht an eine Rückkehr, wenn Islamisten das Land regieren. Der Wunsch zur Rückkehr bestehe eher bei Assad-Gegnern, die in der Türkei Zuflucht gefunden hätten, doch die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ließen dies derzeit nicht zu.
(kirche in not - m)
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