Ramos-Horta: Papstbesuch war „außergewöhnlicher Moment“ für Osttimor
Joseph Tulloch – Abu Dhabi und Christine Seuss - Vatikanstadt
An diesem 4. Februar jährt sich die Unterzeichnung des Dokumentes über die Geschwisterlichkeit aller Menschen durch Papst Franziskus und Großimam al-Tayyeb in Abu Dhabi zum sechsten Mal. Die Vereinigten Arabischen Emirate verleihen seitdem am Jahrestag den internationalen Zayed-Preis für menschliche Geschwisterlichkeit. Das Schreiben zur Geschwisterlichkeit sei auch für Osttimor von „extremem Wert“, erklärte Ramos-Horta. Vatican News sprach anlässlich der Verleihung des Zayed-Preises in Abu Dhabi mit dem Politiker.
Präsident von Osttimor würdigt Erklärung von Abu Dhabi
Zahlreiche Persönlichkeiten aus aller Welt reisten zur diesjährigen Preisverleihung an, so auch José Manuel Ramos-Horta, der Präsident von Osttimor. Sein Land, das mit einem Bevölkerungsanteil von rund 96 Prozent Katholiken nach dem Vatikan als das „katholischste“ der Welt gilt, hat die Erklärung 2022 als erstes Land der Welt auch als nationales Dokument angenommen. Allein die Tatsache, dass das Dokument vom Papst gemeinsam mit Großimam al-Tayyeb unterzeichnet worden sei, sollte an sich schon „Interesse und Neugier“ wecken, meint der Friedensnobelpreisträger im Gespräch mit Vatican News.
„Nach der Lektüre habe ich dann festgestellt, dass es sich um ein außergewöhnliches Dokument handelt, das sehr tiefgründig zusammenfasst, woran wir alle glauben. Es enthält Elemente, die in der Verfassung von Osttimor, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in so vielen religiösen und spirituellen Lehren enthalten sind. Und insbesondere angesichts der Unterschriften des Papstes und des Großimams dachte ich, dass dieses Dokument für Osttimor von großem Wert sein würde, um den von uns eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Wir sind ein kleines, junges Land und haben die Gewalt in der Vergangenheit überwunden. Wir streben nach Versöhnung, nicht nach Rache. Wir wollen keine Wut, keine Rache, keine Gewalt, wir wollen die Wunden der Seele und des Körpers heilen und eine friedliche, integrative und tolerante Gesellschaft schaffen.“
So habe er sich vor seiner Vereidigung für die zweite Amtszeit als Präsident mit dem Parlamentspräsidenten getroffen und ihm vorgeschlagen, die Erklärung von Abu Dhabi zu einem nationalen Dokument zu erklären, erzählt Ramos-Horta weiter. Nach dessen Zustimmung habe er auch mit verschiedenen Parteivorsitzenden gesprochen, die dem Vorschlag durchweg positiv gegenüberstanden. So sei es gekommen, dass die Erklärung noch vor seiner Vereidigung einstimmig angenommen wurde.
„Aber es sollte nicht nur ein Dokument bleiben. Es sollte in unsere Sprachen übersetzt und in unseren Lehrplan aufgenommen werden. Und genau das geschieht jetzt. Es handelt sich um einen fortlaufenden Prozess, aber es wurde bereits damit begonnen, das Dokument für Kinder verschiedener Altersgruppen anzupassen. Wenn sie dann das Universitätsalter erreicht haben, werden sie in der Lage sein, das gesamte Dokument zu lesen und zu verstehen.“
Osttimor und den Vatikan verbindet eine besondere Beziehung, so war der Heilige Stuhl unter den ersten, die den neuen Staat nach seiner Unabhängigkeit von Indonesien 2002 anerkannten. Der heilige Papst Johannes Paul II. besuchte das Land noch zu Zeiten der Unterdrückung durch die indonesische Armee und lenkte so den Blick der Weltöffentlichkeit auf die Geschehnisse in der Region. Viele Osttimoresen wurden danach – auch, um sich von den größtenteils muslimischen Besatzern abzugrenzen – katholisch. Der Papst besitze in dem Land, in dem die Kirchen sonntags überall voll sind, eine unglaubliche Autorität, erinnert Ramos-Horta mit Blick auf den Besuch des Kirchenoberhauptes im September 2024.
Erinnerung an die Papstreise in Osttimor
„Wir schätzten, dass etwa 700.000 Menschen kommen würden, und wir hatten Recht. Und das nur, weil wir 700.000 als Maximum angesetzt hatten! Als Präsident war ich besorgt über unsere Fähigkeit, so viele Menschen aufzunehmen. Wie sollten wir Hunderttausende von Menschen den ganzen Tag über mit Trinkwasser versorgen? Es war sehr heiß. Die Menschen waren schon seit dem frühen Morgen da, einige hatten sogar schon am Vortag gezeltet. Und wie sieht es mit den sanitären Einrichtungen aus? Und die Sicherheit? Nicht, weil es irgendwelche Anfeindungen gab, aber was ist, wenn es zu einer Massenpanik kommt? Es braucht nur ein paar Leute, die in Panik geraten, und schon ist das Chaos da“, teilt der Präsident die Sorgen, die er im Vorfeld der großen Papstmesse am 10. September in Dili gehegt hatte. Und doch sei am Ende „alles unglaublich gut gelaufen“, zeigt er sich erleichtert:
„Es gab keine Gewalt, kein Chaos, keine Massenpanik, aber es gab die Reaktion, die Emotion der Menschen. Ich war in der Nähe des Papstes und habe beobachtet, wie die Menschen reagierten. Die Menschen waren sehr emotional, weinten. Sie wollten unbedingt die Hände des Papstes berühren. Ich sah einige weinende Kinder - sie wollten den Papst sehen, und ich brachte sie hin. Und ich war selbst sehr bewegt, als ich sah, wie unsere Leute reagierten. Was für eine außergewöhnliche Erfahrung.“
Der Besuch des Papstes habe seinem Land derart große Aufmerksamkeit beschert, wie er sie sich zwar gewünscht hätte, aber auf anderem Wege niemals hätte erreichen können, so Präsident Ramos-Horta mit Blick auf die rund 200 Journalisten, die rund um die Apostolische Reise in Osttimor berichteten. Doch auch für die Menschen im Land sei der Besuch tief emotional aufgeladen gewesen:
„Der Besuch festigte den Glauben der Menschen, ließ sie sehr stolz darauf sein, Christ, Katholik und Timoresen zu sein, und machte sie auf die Botschaft des Papstes und der Kirche aufmerksam. Menschliche Brüderlichkeit, sich um einander kümmern, sich um die Kinder kümmern. (…) Und als der Papst sich auf den Abschied vorbereitete, sagte er zu mir: ,Cuiden bien de este pueblo maravilloso.‘ [Kümmert euch gut um dieses wunderbare Volk]. Er war emotional; der Papst war emotional.“
Was ihn selbst besonders beeindruckt habe, war die Ausdauer des hohen Gastes aus Rom, räumt Ramos-Horta weiter ein: „Ich machte mir Sorgen, obwohl ich es niemandem sagte, aber tief im Inneren hatte ich Bedenken wegen seiner Gesundheit. Also sagte ich schon ab dem ersten Tag, als wir über den Besuch des Papstes sprachen: ,Das leichtest mögliche Programm! Wir dürfen ihn nicht ermüden.‘ Und dennoch war das Programm voll. Aber ich sah den Papst, und er war immer am Lächeln. Ich hätte vielleicht eine Stunde durchgehalten und dann gesagt: ,Genug, genug, ich gehe nach Hause!‘“
Beeindruckende Ausdauer des Papstes
Der Zayed-Preis, ebenso wie der in dessen Umfeld stattfindende hochkarätig besetzte „Majlis“ oder Rat zur menschlichen Brüderlichkeit, lenkten den Blick auf Situationen in der Welt, die der Heilung bedürften, betont der Präsident Osttimors die Bedeutung der beiden Veranstaltungen in Abu Dhabi:
„Es gibt so viele Opfer, die Kinder, Frauen, Mütter sind. Schauen Sie sich an, was in Gaza oder der Ukraine, in Afghanistan, in Libyen, in Myanmar, in der Demokratischen Republik Kongo gerade passiert, in Sudan. Die schlimmste humanitäre Krise der Welt ist tatsächlich in Sudan. Wir müssen durchhalten. Wir müssen unser Bestes tun. Eine Sache, die ich mit Papst Franziskus besprochen habe, ist, wie wir mehr in die Konfliktprävention investieren müssen. Wir hätten den 7. Oktober und die Ereignisse in Gaza verhindern können. Wir hätten die Eskalation der Spannungen zwischen Russland und der NATO vermeiden können. Der Papst ist der einzige Führer, den jeder respektiert, weil andere Weltführer alle in Spannungen oder in tatsächliche Konflikte verwickelt sind.“
Konflikte müssten allerdings auch durch eine vernünftige Führung beigelegt werden, das habe Osttimor am eigenen Leib erfahren, erläutert der Präsident, der das Land von 2007 bis 2012 und nun wieder seit 2022 leitete.
Führer müssen die Konflikte lösen
„Es kommt auf die Führung an. Führer sind diejenigen, die die Menschen in Kriege führen, Führer sind diejenigen, die Kriege verhindern, und Führer sind diejenigen, die die Menschen zum Frieden führen.“
Im Fall Osttimors sei dies der frühere Guerillakämpfer Xanana Gusmão gewesen, der selbst in Gefangenschaft war und doch darauf gedrängt habe, dass Rache und Hass keine Option seien. Die Versöhnung müsse zunächst unter den Timoresen geschehen, dann mit Indonesien, hatte der erste Premierminister des Landes stets betont.
„Indonesien zeigte ebenfalls Staatskunst, Reife, und anstatt Osttimor abzulehnen, weil wir sie in einem Referendum abgelehnt hatten, nahmen sie unsere Hand der Freundschaft an. Es erforderte Führung von beiden Seiten, von unserer Seite und von der indonesischen Seite. Wenn nur dies anderswo auf der Welt passieren könnte, zwischen Palästinensern und Israelis, in Myanmar, in Afghanistan, in der Demokratischen Republik Kongo, in Sudan… Wir brauchen Führer, die uns zum Frieden führen.”
Die Preisträger
Diesjährige Gewinner des Zayed-Preises sind Mia Mottley, Heman Bekele und World Central Kitchen. Letztere Organisation wird für ihren Einsatz gewürdigt, Nahrungsmittelhilfe für Gemeinden bereitzustellen, die unter humanitären Krisen leiden. Mia Mottley hingegen wird für ihr entschlossenes Handeln im Kampf gegen den Klimawandel ausgezeichnet. Sie ist Premierministerin von Barbados. Ein weiterer Preisträger ist Heman Bekele, ein fünfzehnjähriger äthiopisch-amerikanischer Erfinder, der eine kostengünstige Seife zur Vorbeugung und Behandlung von Hautkrebs im Frühstadium entwickelt hat. Das Produkt wird derzeit an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in den USA erprobt.
(vatican news)
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