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Hamida Aman zusammen mit Redakteurinnen in Kabul Hamida Aman zusammen mit Redakteurinnen in Kabul 

Mitten in Afghanistan: ein Frauenradio

Ein Radio von Frauen für Frauen: Das ist eine Herausforderung. Erst recht in einem Land wie Afghanistan.

Marine Henriot und Stefan v. Kempis – Vatikanstadt

Trotzdem halten die Unternehmerin Hamida Aman und ihr rein weibliches Team „Radio Begum“ auch in einem von den Taliban beherrschten Land tagtäglich am Laufen. „Radio Begum“ bedeutet „Radio Königin“

„Wir haben ein Team von 15 jungen Frauen, das die Radio-Beiträge und Programme erstellt“, erklärt uns Aman. „Wir produzieren in Kabul und sind in 10 von 34 Provinzen in Afghanistan zu hören.“ Allerdings sollte man sich unter „Radio Begum“ keinen Nachrichtensender vorstellen. Interviews mit Taliban-Pressesprechern gibt es hier nicht.

„Die redaktionelle Linie lautet: Bildung“

„Die redaktionelle Linie lautet: Bildung. Wir legen den Akzent auf Bildung und auf praktische Informationen für Frauen. Das haben wir von Anfang an so gehalten. Und das führt auch dazu, dass unser Radio immer noch arbeiten und ausstrahlen darf. Sechs Stunden Programm am Tag dienen der Bildung: Das heißt, wir nehmen tägliche Unterrichtsstunden auf, mit Schülerinnen in Präsenz – damit wirklich beim Hören der Eindruck entsteht, mit in einem Klassenzimmer zu sitzen.“

Redaktionskonferenz
Redaktionskonferenz

Schule zum Hören

Jede Schulstunde hat in dieser Audio-Ausgabe dreißig Minuten. Es gibt unterschiedliche Niveaus, und fast alle Schulfächer werden abgedeckt: Sprachen, Geschichte, Geografie von der fünften bis zur zwölften Klasse. Nur Mathe, Bio, Physik oder Chemie fehlen; die seien über das Radio zu schwer zu vermitteln, sagt Hamida Aman, die aus Afghanistan stammt und im Alter von acht Jahren nach der sowjetischen Invasion in die Schweiz geflohen ist.

„Es schützt uns, dass wir nur Frauen sind“

„Es sind ausschließlich Frauen, die am Radio arbeiten und das Programm erstellen. Mittlerweile sitzen auch in der Technik nur Frauen; das haben früher zwei Männer gemacht, die haben wir mittlerweile durch Frauen ersetzt. Radio Begum ist zu hundert Prozent weiblich! Das war uns nicht nur wichtig, das schützt uns auch. Dadurch, dass wir bei der Arbeit nicht in Kontakt zu Männern kommen, dulden uns die Taliban-Vertreter und antworten uns. Es schützt uns, dass wir nur Frauen sind.“

Neben den Bildungs-Programmen bietet Radio Begum Inhalte, wo es um psychologische Hilfe geht, um Gesundheitstipps, auch um spirituelle Hilfe. „Das sind Live-Sendungen von jeweils einer Stunde; da spricht also zum Beispiel eine Psychologin eine Einführung, und dann erteilen wir unseren Hörerinnen das Wort, die uns anrufen und dazu Fragen stellen. Sie reden über ihre Probleme und Sorgen und bekommen von der Psychologin eine Antwort. Für viele Frauen ist es schon enorm, überhaupt mal jemanden zu haben, der ihnen zuhört.“

Sendestart kurz vor der Machtergreifung der Taliban

Das Programm mit Gesundheitstipps wird von einer Gynäkologin erstellt; es werde im Land viel gehört, sagt Hamida Aman. „Die Leute haben ja heute in Afghanistan noch nicht einmal Geld genug, um sich Brot zu kaufen – erst recht nicht, um zum Arzt zu gehen. Das ist also eine kostenlose Sprechstunde, ein Service für die bedürftigsten Frauen.“

Radio Begum begann im März 2021 zu senden – das war nur wenige Monate, bevor die Taliban an die Macht kamen. Die Islamisten schlossen den Sender nicht, doch wurde die Luft für Frauen im Land durch eine Reihe von Verboten immer dünner. Seit September 2021 gibt es keinen Schulunterricht mehr für Mädchen über 12 Jahren; seit Dezember 2022 ist Frauen auch der Zugang zu Universitäten verboten. Im Jahr 2023 darf keine Frau in Afghanistan eine Schule besuchen.

„Jeden Tag werden wir zurechtgewiesen“

Wie kann Radio Begum in einer solchen Atmosphäre überleben? „Das ist wirklich ein Balanceakt. Natürlich bemühen wir uns, niemanden zu provozieren, nicht Partei zu ergreifen, nicht zu kritisieren; aber wenn wir unseren Hörerinnen das Wort lassen, haben die das Recht, alles zu sagen, was sie auf dem Herzen haben. Natürlich wissen wir, dass wir genau kontrolliert werden. Jeden Tag werden wir zurechtgewiesen; wir lernen jeden Tag, mit einem autoritären Regime umzugehen, das uns überwacht und uns viele Dinge verbietet.“

Doch schon die Tatsache, dass es ein eigenes Radio für Frauen gebe, sei ein Lichtblick, sei Grund zur Hoffnung für die Frauen in Afghanistan. Aman spricht von einer Art „Leuchtturm in einem Meer von Elend“.

Junge Frau in ihrer Wohnung in Kabul
Junge Frau in ihrer Wohnung in Kabul

„Bis jetzt haben sie uns das Weinen nicht verboten“

„Auch wenn wir nicht mehr viel Freiheit haben, wir sind sehr eingeschränkt in dem, was wir sagen oder nicht sagen sollen, wenigstens sind wir da, wenigstens gibt es einen Ort, wo man über Frauen spricht, wo sie weinen können… Bis jetzt haben sie uns das Weinen nicht verboten. Zum Glück.“

„Das Leben der Frauen und Mädchen in Afghanistan wird durch die repressive Kampagne der Taliban gegen ihre Grundrechte verwüstet“, schreibt Amnesty International in einem Bericht vom Juli 2022. Hamida Aman zitiert einen Spruch, den sie bei den Menschen im Land immer häufiger hört: „Das Leben einer afghanischen Frau ist wertlos“.

Auch die kleinste Hoffnung erstickt

„Die Hörerinnen, die uns anrufen, werden immer jünger. Immer mehr Teenager, die uns ihre Not und ihren Wunsch, sich das Leben zu nehmen, mitteilen. Mit dem letzten Dekret, das im Dezember die Universitäten schloss, haben die Behörden wirklich Schlimmes angerichtet: Sie haben wirklich auch die kleinste Hoffnung erstickt.“

(vatican news)
 

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22. März 2023, 11:19