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Franziskus bei einer Begegnung mit Schwester Reungoat im Oktober 2021 Franziskus bei einer Begegnung mit Schwester Reungoat im Oktober 2021 

Schwester Reungoat: „Wir bilden uns gegenseitig aus"

Als „totale Überraschung“ hat die französische Ordensfrau Yvonne Reungoat ihre Berufung in das Bischofsdikasterium durch Franziskus aufgenommen. Der Papst hatte sie gemeinsam mit der Italienerin Raffaella Petrini und der Argentinierin Maria Lia Zervino ernannt, wie am Mittwoch bekannt wurde. Ein offenes Ohr für die Menschen und Lernfähigkeit gehören für Reungoat zu den wichtigsten Eigenschaften eines Bischofs, wie sie im Interview mit Radio Vatikan sagt.

Seit 2018 ist Yvonne Reungoat Vorsitzende der italienischen Ordensoberinnenkonferenz (Usmi). Von 2008 bis 2019 war sie Generaloberin der Don-Bosco-Schwestern. Zuvor war sie als Generalvikarin ab 2002 bereits für vier internationale Gemeinschaften in Rom verantwortlich.

Über reiche Missionserfahrungen verfügt Reungoat durch lange Aufenthalte in Afrika: ab 1992 wirkte sie als erste Provinzoberin der Provinz „Madre di Dio“ mit Sitz in Elfenbeinküste. Beim Aufbau neuer Werke in Westafrika förderte sie vor allem die Ausbildung junger afrikanischer Schwestern, gründete Jugend- und Schulzentren und förderte Frauenprojekte.

Vor ihrem Afrikaaufenthalt hatte sie von 1983 bis 1989 die französische Provinz „Sacro Cuore“ geleitet. Studiert hat Reungoat, die 1945 im bretonischen Plouénan geboren wurde, Pädagogik. Nach dem Studium arbeitete sie elf Jahre lang als Lehrerin an einer Berufsschule.

INTERVIEW

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Radio Vatikan wollte von Reungoat zunächst wissen, ob sie mit der Ernennung gerechnet habe.

„Nein, das habe ich überhaupt nicht erwartet. Ich hatte gesehen, dass der Papst von dieser Absicht sprach und hielt dies für eine gute Nachricht, aber ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass ich dabei sein könnte. Es war eine totale Überraschung für mich, als ich davon durch die Glückwunschschreiben, die ich erhielt, erfuhr.“

Diese Ernennungen sind Teil der zeitnahen Anwendung der Kurienverfassung „Praedicate Evangelium“. Was sagen Sie zu dem Weg, der zu diesem Dokument geführt hat?

„Ich denke, das Dokument ist in den neun Jahren dieses Pontifikates gereift. Papst Franziskus hat sofort damit begonnen, mit dem Kardinalsrat über eine Reform der Kurie nachzudenken. Eine Phase, die sicherlich viel Arbeit, Nachdenken und Unterscheidungsvermögen erforderte, um zur Verkündigung dieser Apostolischen Konstitution zu gelangen. Für mich ist das ein sehr deutliches Zeichen für die Kohärenz von Papst Franziskus, der diesen Auftrag erhalten hat und dem Wunsch und den Bedürfnissen der Kirche durch einige fortschrittliche Reformen nachgekommen ist. Es ist ein Dokument, das meiner Meinung nach der römischen Kurie ein wichtiges Gesicht gibt, weil die Rolle von Laien und Frauen, die in bestimmten Dikasterien Spitzenaufgaben übernehmen können, anerkannt wird. Das ist Zeichen einer Mentalität, eines tiefgreifenden Wandels, wie ich meine, eines Geistes, der den Papst im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils leitet und der sich allmählich verwirklicht. Ein Zeichen der großen Hoffnung und auch der Verantwortung, denn es ruft alle zur Mitverantwortung für die verschiedenen Berufungen in der Kirche auf.“

Was genau wird Ihre Aufgabe im Bischofsdikasterium sein?

„Ich kann es Ihnen nicht erklären, das ist alles noch recht neu für mich... Wir werden bei der Ernennung von Bischöfen in der Welt zusammenarbeiten. In welcher Form, kann ich nicht sagen, weil ich noch keine konkreten Hinweise habe. Sie können sich vorstellen, dass wir aufgefordert werden, die Ergebnisse der Konsultationen, die die Nuntien dem Staatssekretariat übermitteln, zu prüfen, diese Dossiers zu untersuchen und eine Stellungnahme abzugeben, um die Wahl der künftigen Bischöfe zu erleichtern.“

Welche Eigenschaften sollten bei einem Bischof Ihrer Meinung nach vorrangig sein?

„Er ist ein Seelsorger, ein Priester, der in seiner Lebensweise die Fähigkeit zeigt, den Menschen nahe zu sein, zuzuhören, sie zu begleiten und alle Berufungen in seiner Ortskirche einzubeziehen. In diesem Sinne halte ich den Weg der Synodalität, den die Kirche geht, für besonders wichtig. Ein Pfarrer ist sich seiner Verantwortung bewusst, aber gleichzeitig hört er auch auf die Welt außerhalb der Kirche. Denn die Kirche existiert nicht für sich selbst, sie existiert für die Welt, für alle Menschen guten Willens. Er muss also einen missionarischen Geist haben, der von großer Offenheit geprägt ist.“

Inwieweit glauben Sie, dass Ihnen Ihre bisherigen Erfahrungen als Generaloberin der Don-Bosco-Schwestern und Ihre Mission z.B. in Afrika bei dieser Aufgabe helfen werden?

„Die Vision einer universalen Kirche in einer Welt, die sich überall tiefgreifend verändert und die auf so viele Herausforderungen bei der Evangelisierung und den Beziehungen zu anderen Religionen in der Welt reagieren muss, wird mir sicherlich helfen. Als Generaloberin der Don Boso-Schwestern konnte ich die einzigartige Erfahrung machen, fünf Kontinente kennenzulernen – durch unsere Gemeinschaften oder Begegnungen mit den Bischöfen und Menschen direkten Kontakt und Kenntnis von ihnen zu haben. Es war eine Erfahrung mit weitem Horizont, die mich in gewisser Weise dazu brachte, meine bisherigen Denkmuster zu ändern. Das gab mir ein Gefühl von großem Respekt für die Vielfalt, für die kulturelle Vielfalt, auch für die Zeit, die man braucht, um zu wissen und nicht zu fordern. Dazu muss man viel zuhören und viel beobachten.“

Und wie wird Ihnen das Charisma Don Boscos helfen?

„Wir haben ein erzieherisches Charisma – einerseits glaube ich, dass es sich um ein missionarisches Charisma handelt, das für alle offen ist. Es ist sicherlich etwas, das mir helfen wird, offen für die verschiedenen Ortskirchen zu sein. Dann glaube ich, dass die Bischöfe sich auch über die Bedeutung der Bildung auf dem Weg des Glaubens und auf dem Weg der Kirche im Klaren sein müssen. Bildung ist die Grundlage für alles, die Grundlage für den Aufbau der Gesellschaft. Sie ist die grundlegende Basis für die Begleitung des Aufbaus von Persönlichkeiten, angefangen bei den Jüngsten.“

Meinen Sie, dass die Bischöfe in dieser Hinsicht ihrerseits auch „fügsam“ gegenüber einer Art „Erziehung“ von der Basis des Volkes Gottes sein sollten?

„Aus diesem Grund habe ich von Zuhören gesprochen, von tiefem Zuhören. Wir bilden uns sogar gegenseitig aus. Ich denke, man kann kein Pfarrer sein, ohne zuerst zuzuhören und sich, ich würde sagen, von den Menschen, von der Basis lehren und führen zu lassen. Ohne diese Grundeinstellung besteht die Gefahr, dass man die Gebäude von oben nach unten baut und nicht das Fundament für die Evangelisierung legt – dass man nicht zum Herzen der Menschen vordringt! Und wenn man nicht zum Herzen der Menschen vordringt, kann man nicht evangelisieren, kann man nicht gemeinsam gehen. Wir alle sind aufgerufen, auf die Realität zu hören und gemeinsam zu erkennen, welche Wege uns der Geist zeigen kann.“

Papst Franziskus sagte in dem Televisa-Interview unter anderem, dass er, wenn er auf sein Petrusamt verzichten würde, gerne „emeritierter Bischof“ genannt werden würde. Und dass er den Menschen die Beichte abnehmen und die Kranken besuchen möchte. Wie fordern Sie diese Aussagen von ihm heraus?

„Sie gingen mir zu Herzen. Denn Papst Franziskus ist genau in dieser Linie ein Seelsorger, der sich in den Dienst der Einfachheit stellt. Es entspricht dem, was er ist. Ich bin beeindruckt von der Kohärenz von Papst Franziskus, zwischen dem, was er sagt, was er lehrt und den Entscheidungen, die er trifft. Und das ist eine der Herausforderungen, es ist auch ein Zeichen für mich, die ich meine Mission als Generaloberin beendet habe und nun erlebe, dass ich eine Tochter Mariä, Hilfe der Christen bin wie alle anderen. Das bringt mich zum Nachdenken.“

Das Interview führte Antonella Palermo von Vatican News.

(vatican news – pr)
 

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14. Juli 2022, 10:00