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Papst Franziskus und die Indigenen-Delegationen aus Kanada beim Treffen im Vatikan (1.4.2022) Papst Franziskus und die Indigenen-Delegationen aus Kanada beim Treffen im Vatikan (1.4.2022) 

Papstbesuch in Kanada: „Wichtige Gesten der Versöhnung“

Nach Johannes Paul II. in den Jahren 1984, 1987 und 2002 wird nun Papst Franziskus vom 24. bis 30. Juli kanadischen Boden und insbesondere das Territorium der Indigenen besuchen. Eine, wie der Papst es nennt, Pilgerreise der Buße – und damit eine historische Reise, um Gemeinschaften zu treffen, die durch jahrzehntelange Assimilation, erzwungene Akkulturation und Diskriminierung traumatisiert sind.

Marine Henriot und Christine Seuss - Vatikanstadt

Im Mittelpunkt der Papst-Reise nach Kanada stehen „Versöhnung und Heilung“: Das betont Raymond Poisson, Bischof von Saint-Jérôme-Mont-Laurier und Vorsitzender der kanadischen Bischofskonferenz, im Gespräch mit Radio Vatikan. Dieser historische Besuch des Papstes sei jedoch Teil einer Reihe von Gesten, die die Bischöfe des Landes verstärkt bereits seit September letzten Jahres „für ein Klima der Versöhnung mit unseren indigenen Brüdern und Schwestern“ unternommen hätten, unterstreicht Poisson. Dabei gelte es, insbesondere mit Blick auf die auch von katholischen Gemeinschaften geführten Internate für Ureinwohner und die Missachtung der indigenen Kultur und des indigenen Lebensraumes eine „dunkle Periode unserer kanadischen Geschichte“ aufzuarbeiten. Dazu wurden auch bereits einige Schritte der Versöhnung vor Ort bereits unternommen:

„Wir haben zunächst begonnen, mit ihnen zu arbeiten, mit Zuhörkreisen vor Ort“

„Wir haben zunächst begonnen, mit ihnen zu arbeiten, mit Zuhörkreisen vor Ort. Dann, ab Dezember 2019, habe ich mit dem Heiligen Vater über die Möglichkeit einer Delegation in Rom und einer Reise von ihm ins Land gesprochen. Die Reise war bereits 2015 von der von der Regierung geführten Königlichen Wahrheits- und Versöhnungskommission (KVR) gefordert worden; der Papst hatte sich damals sehr begeistert gezeigt. Nach zwei Verschiebungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie reiste die Delegation aus Einheimischen im März dieses Jahres in den Vatikan. Damit wurde eine erste Geste der Versöhnung konkret, und ihre zweimalige Verschiebung hat das Interesse an dieser Delegation bei unseren indigenen Brüdern und Schwestern nur noch mehr gesteigert.“

Hier der Beitrag zum Nachhören

Lange geplante Begegnung

Bei der gemeinsamen Audienz im Vatikan für die drei in Kanada anerkannten Gruppen von Ureinwohnern, die First Nations, die Inuit und die Métis, kamen denn auch insgesamt rund 150 Teilnehmer zusammen. „Es war also eine Gelegenheit für den Papst, Zeugnisse von Überlebenden, von Älteren und Jüngeren zu hören“, betont Poisson: „Dann ergriff er selbst das Wort und bat gemeinsam mit uns kanadischen Bischöfen für den Missbrauch, der von Mitgliedern der Kirche in dieser Zeit der Geschichte begangen wurde, um Entschuldigung. Die Reise ist Teil dieses Prozesses und kommt, um eine weitere Geste zu setzen. Sie setzt Gesten der Versöhnung, vielleicht mehr der Versöhnung als der Entschuldigung, durch die bloße Tatsache, dass sie bei uns stattfindet.“

„Sie setzt Gesten der Versöhnung, vielleicht mehr der Versöhnung als der Entschuldigung, durch die bloße Tatsache, dass sie bei uns stattfindet“

Dies sei ein Faktor, den man keinesfalls unterschätzen dürfe, betont der kanadische Bischof. Denn die Indigenen hätten eine „starke Bindung“ an ihr Territorium, die weit über die westlichen Vorstellungen vom eigenen Haus hinausgehe. Denn für sie stelle das Land einen „kollektiven, gemeinschaftlichen“ Raum dar, ein Gebiet, das „der Natur sehr nahe“ sei: „Dass der Papst also kommt, um mit seinen Füßen diesen Boden zu betreten und ihnen zu sagen: ,Ich bin bei euch, ich liebe euch, und wir bedauern alle gemeinsam, was geschehen ist‘, ist sehr wichtig.“

„Eine Art zu sagen: ‚Ich werde selbst kommen, um diese Orte zu sehen, mit euch zu sprechen und euch wieder zu hören‘“

In diesem Zusammenhang sei auch eine Geste zu lesen, die sich bei dem Besuch der First Nations im Vatikan zutrug: Bei dieser Gelegenheit hatten die Indigenenvertreter dem Papst ein Stück einer traditionellen Kinderwiege überreicht, doch am folgenden Tag hatte Franziskus Bischof Poisson gebeten, den Indigenen das Wiegenstück wieder zurückzugeben. „Das Wiegenstück der Delegation sollte das Problem der Kinder in den Internaten der Ureinwohner veranschaulichen und symbolisieren“, erläutert Poisson. Später hätte er mit dem Papst über die Geste gesprochen und Franziskus habe ihn gebeten, das Andenken wieder an die First Nations zurückzugeben. „Eine Art zu sagen: ‚Ich werde selbst kommen, um diese Orte zu sehen, mit euch zu sprechen und euch wieder zu hören‘. Ich weiß nicht, ob die Wiege bei den nächsten Treffen wieder dabei sein wird.“

Die Begegnung mit dem Papst im Vatikan
Die Begegnung mit dem Papst im Vatikan

Insgesamt vier explizite Begegnungen mit Indigenen sind bei der sechstägigen Reise vorgesehen. Das geplante Treffen des Papstes mit Überlebenden auf dem Schulgelände am Freitag in Iqualit, die großen öffentlichen Messen, bei denen auch Elemente der Tradition der Ureinwohner wie Tanz und Musik zum Tragen kommen werden, und die Teilnahme an der Wallfahrt von Ureinwohnern und Nicht-Ureinwohnern anlässlich des Festes der Heiligen Anna am Lac St. Anna am ersten Besuchstag seien „konkrete Gesten der Versöhnung“, die den Anstoß zu weiteren gemeinsamen Projekten mit den Ureinwohnern geben könnten, zeigt sich der Bischof hoffnungsvoll: „Wir haben nämlich einen Fonds von 30 Millionen kanadischen Dollar für Projekte zum gegenseitigen Kennenlernen, ihrer Kultur, ihrer Spiritualität und ihrer Geschichte beiseitegelegt, denn es ist die gesamte kanadische Gesellschaft, die ein wenig von der Realität unserer indigenen Brüder und Schwestern entfernt ist, und umgekehrt. Wir können nicht sagen, dass wir viel voneinander wissen. Es gibt viel zu tun, und der Besuch des Heiligen Vaters wird uns dabei helfen.“

„Es gibt viel zu tun, und der Besuch des Heiligen Vaters wird uns dabei helfen“

Insgesamt gebe es in Kanada mehr als 600 indigene Gemeinschaften, darunter mehr als 60 Nationen bei den First Nations, die Métis, die in einem nationalen Verband organisiert sind, und die Inuit, erläutert der Vorsitzende der Bischofskonferenz. „Alle diese Menschen haben nicht die gleiche Kultur, die gleiche Sprache, jeder ist anders. Für die Organisation der Reise wenden wir uns an die drei nationalen Organisationen, in denen die First Nations, die Métis und die Inuit zusammengeschlossen sind. Jeder Bischof in seiner Diözese hat Verbindungen zu der Gemeinschaft, die in seinem Gebiet ansässig ist.“

Beziehungen unterschiedlich gut ausgeprägt

Im Westen Kanadas seien die indigenen Gemeinschaften viel stärker konzentriert als im Osten, so dass es je nach Ort unterschiedliche Beziehungen gebe, betont Poisson. Im Allgemeinen werde der Papst jedoch überall „eher enthusiastisch und positiv“ erwartet. Auch wenn aus logistischen Gründen nicht alle an den Begegnungen teilnehmen könnten, herrsche in den Gemeinschaften großes Interesse an dem Papstbesuch.

„Auf der Ebene der nationalen Organisationen gibt es andere Herausforderungen. In einer Krise wie der in Kanada ist auch die Bundesregierung mit einer Regierungspolitik involviert. Wir arbeiten also Hand in Hand mit der Regierung, um diese Gesten der Versöhnung zu vollziehen.“ Allerdings verfolge die Kirche naturgemäß einen anderen Ansatz, der darin bestehe, mit Missionaren und Gemeinschaften den Menschen vor Ort und auch in den Reservaten nahe zu sein. „Aber auf andere Art und Weise, wir geben ihrer Kultur und Spiritualität mehr Raum und wagen es, diese Geschichte anzuerkennen“, meint Poisson.

Weitergehen, ohne die Vergangenheit zu vergessen

Die Königliche Kommission, die für die Aufarbeitung der Misshandlungen in den durch den Staat finanzierten Residential Schools zuständig war, hatte von Anfang an einen Besuch und eine Entschuldigungsbitte des Papstes gefordert, erläutert der kanadische Bischof weiter. „Das ist nun geschehen, und wir können weitergehen. Ohne zu vergessen, was gestern passiert ist, ohne zu vergessen, wie wichtig eine Entschuldigung ist. Wir müssen zu konkreten Gesten der Versöhnung übergehen und somit Platz für das Leben schaffen, für das Leben für heute und für morgen, daher unser Rücklagenfonds für Projekte. Ich denke, dass der Besuch des Papstes es uns ermöglichen wird, eine neue Seite eines Buches aufzuschlagen, das man nicht schließt, das man nicht vergisst - und eine neue Seite mit neuen Projekten zu schreiben. Wir werden einen anderen Diskurs denken müssen, der der Diskurs der Zukunft ist. In diesem Sinne ist die Kirche ein Dienst für die kanadische Gesellschaft, denn die gesamte kanadische Gesellschaft muss versöhnt werden.“

Kanadische Indigenenvertreter am 28.3.2022 auf dem Petersplatz
Kanadische Indigenenvertreter am 28.3.2022 auf dem Petersplatz

Besonders schmerzlich wirken noch die Folgen des Indianergesetzes („Indian Act“) von 1876 nach, das bis heute die rechtliche Situation der Indigenen in Kanada auf diskriminierende Weise regelt. Zwar könne er sich „nicht vorstellen, dass die Kirche an der Umsetzung dieser Gesetze beteiligt war“, meint Poisson. „Wir waren jedoch an der täglichen Verwaltung der Internate beteiligt. Das System war staatlich und föderal. Bei den Indianergesetzen wie auch bei den Gesetzen zur Verwaltung der Territorien und Reservate war die Kirche in dem Sinne präsent, dass sie den Ureinwohnern zur Seite steht.“

Zwar sei die Kirche in keiner Weise für die Gesetze selbst verantwortlich gewesen, ist es dem Bischof ein Anliegen zu unterstreichen. Doch er hoffe, dass durch die „Gesten der Versöhnung“, die derzeit unternommen würden, auch bei der Regierung ein Umdenken einsetze, und dass über den Zugang der indigenen Bevölkerung zu sauberem Wasser und Bildung nachgedacht werde: „Diesen Weg gehen wir gemeinsam, entsprechend unserer besonderen Verantwortung.“

(vatican news)

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21. Juli 2022, 13:59