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Libanon am Abgrund: Weltbank sieht politische Verantwortung

Der Libanon erlebt derzeit eine schwerwiegende wirtschaftliche Krise, die vor allem „durch die Elite des Landes inszeniert worden ist, die den Staat seit langem im Griff hat” und von dessen Ressourcen lebe. Diese harte Einschätzung der Situation kommt an diesem Dienstag seitens der Weltbank, in einem Pressestatement, das einem Bericht über die finanzielle Situation des Libanons beigefügt war.

In der Tat ist die Lage verzweifelt: Die Inflation des Landes ist mit 140 Prozentpunkten eine der höchsten der Welt, während das Bruttoinlandsprodukt innerhalb von Jahren auf die Hälfte abgestürzt ist.  Viele Libanesen können nicht mehr selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen und sind auf Finanzspritzen aus dem Ausland angewiesen. Im Vorfeld der kommenden Wahlen im Mai legt die Weltbank eine schonungslose Analyse der Lage des Landes vor, das zentral für das Gleichgewicht im Nahen Osten ist.  

Und die politische Elite kommt dabei nicht gut weg: denn sie sei wegen ihres verantwortungslosen und räuberischen Verhaltens für die Krise verantwortlich, ja habe sie geradezu inszeniert, so die Finanzinstitution in ihrem Bericht vom Dienstag. „Mittlerweile sind die langfristige Stabilität und der soziale Frieden des Landes gefährdet“, schreiben die Weltbanker weiter.  Die Wirtschaftsleistung des Libanon ist in jüngster Zeit derart stark eingeschrumpft, dass es sich einen unrühmlichen Spitzenplatz unter der Liste der 193 Staaten erobert hat, die die Weltbank beobachtet.  

Zum Nachhören: Der Libanon vor dem Abgrund - ein Beitrag von Radio Vatikan

Eine beispiellose Krise

Die Krise, die nach Analyse der Experten ihren Anfang im Oktober 2019 nahm, habe mittlerweile 75 Prozent der Bevölkerung in Armut gestützt, liest man in dem Bericht zur Situation des Landes. Das libanesische Pfund hat inzwischen 90 Prozent seines Wertes eingebüßt, während die Bürger praktisch kein Bargeld von den Banken abheben können. Mit 145 Prozent ist die Inflation die dritthöchste weltweit, nach Venezuela und dem Sudan. Genauso schlecht ist es um die öffentliche Infrastruktur bestellt: praktisch keine öffentliche Dienstleistung funktioniert mehr, während auch der Strom bis zu 22 Stunden am Tag ausbleiben kann, das Wasser ist nicht trinkbar und die Kanalisation steht kurz vor dem Zusammenbruch. Jüngst kam die Nachricht, dass mittlerweile ein Abkommen mit Syrien und Jordanien über eine tägliche zusätzliche Stromlieferung von zwei Stunden abgeschlossen worden sei.

Politische Klasse in der Verantwortung

All dies in Erwartung der nächsten Wahlen, die im kommenden Mai stattfinden sollen. Ex-Premier Saad Hariri, seit mehr als 15 Jahren auf der politischen Bühne, hat unterdessen bekannt gegeben, dass er sich nicht erneut zur Wahl stellen werde und auch seiner Parei geraten, sich nicht an den politischen Gesprächen zu beteiligen. Ein Anzeichen für Wandel?

„Ich bin mir sicher, dass die meisten Menschen befürworten, was in dem Report der Weltbank festgehalten worden ist“, betont der Architekt Francois Eid, der in Beirut lebt, im Gespräch mit Radio Vatikan. Er bezweifele stark, dass eine politische Klasse, die den Libanon auf allen Ebenen an den Abgrund geführt habe, dem Land zu wirtschaftlichem Aufschwung verhelfen könne. „Ich verbinde viele Hoffnungen mit den Wahlen. Ich hoffe, dass das Volk endlich versteht, dass sich etwas ändern muss – sogar sehr viel sich ändern muss, denn so kann es nicht weitergehen.“ Man müsse nun abwarten, ob und was konkret geschehen werde, betont Eid. „Etwas wird sich sicher ändern. Je mehr sich ändert, desto besser für den Libanon, jedenfalls.“

Eine libanesische Familie hat sich Holz besorgt, um einheizen zu können
Eine libanesische Familie hat sich Holz besorgt, um einheizen zu können

Das Bild, das er von den Zuständen in der Gesellschaft zeichnet, ist dramatisch. „Viele leiden unter dieser Situation. Viele Leute haben nicht mehr die Mittel, um unterwegs zu sein oder zur Arbeit zu gehen. Viele gehen nur einen Tag in die Arbeit, weil sie ansonsten den gesamten Lohn für das Benzin ausgeben würden. Viele Menschen essen nicht mehr so, wie sie vorher gegessen haben, sie gehen nicht mehr aus wie früher, ja, sie ziehen sich nicht einmal mehr an wie früher“, erklärt er.

Kaum einer schaffe es, bis zum Monatsende mit seinem Lohn hauszuhalten. „Ich bin einer der wenigen Glücklichen, die ein paar Verdienstmöglichkeiten aus dem Ausland haben. Aber der Großteil der Menschen hat wirklich sehr sehr große Schwierigkeiten. Es gibt keine Ressourcen mehr. Zum Glück haben viele Familien jemanden, der im Ausland arbeitet und Geld schicken kann, aber viele andere Leute haben diese Möglichkeiten nicht…“.

(vatican news - cs)

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27. Januar 2022, 11:29