Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze 

Caritas Europa: Lage der Flüchtlinge vor Polen „sehr, sehr schwierig“

Die Lage der mehreren Tausend Migranten in Belarus an der Grenze zu Polen ist „sehr, sehr schwierig“. Das bestätigt die Generalsekretärin von Caritas Europa, Maria Nyman, im Interview mit Radio Vatikan. „Sie brauchen unsere Unterstützung, und sie brauchen den Respekt ihrer Menschenrechte.“

Polen erwägt eine komplette Schließung seiner Grenzen zu Belarus, nachdem es zwei Gruppen von Migranten gelungen war, die mit Stacheldraht gesicherte Grenze zu passieren und damit EU-Boden zu betreten; 50 Menschen nahmen die polnischen Sicherheitskräfte danach fest. Caritas Europa mit Sitz in Brüssel verfolgt die Situation mit großer Sorge. Generalsekretärin Maria Nyman spricht von einer dramatischen humanitären Lage an der EU-Grenze und von verletzten Menschenrechten.

„Die Menschen sitzen in den Wäldern fest, darunter auch Familien und Kinder“

„Es wird immer kälter, der Winter steht vor der Tür, und die Menschen sitzen in den Wäldern fest, darunter auch Familien und Kinder, die bei eisigen Temperaturen im Freien schlafen, ohne Zugang zu medizinischer oder humanitärer Hilfe. Die Lage ist also wirklich sehr, sehr schwierig.“

Caritas Polen ist aktiv und unterstützt die Diözesen und Pfarreien in Grenznähe, die als Hilfspunkte fungieren und Rucksäcke mit Decken, Energieriegeln und Wasser bereitstellen. Selbst an die Grenze dürfen die Caritas-Leute aber aufgrund des polnischen Notstandsgesetzes nicht, erklärt Maria Nyman. „Während wir also alles in unserer Macht Stehende tun, um unmittelbare Hilfe zu leisten, versuchen wir auch, unsere Verantwortlichen aufzufordern, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch stets mit Respekt und Würde behandelt wird.“

Caritas-Europa-Generalsekretärin Maria Nyman
Caritas-Europa-Generalsekretärin Maria Nyman

In gewisser Hinsicht seien Polen und Litauen, die vor ihren Grenzen einen nie zuvor gesehenen Andrang von Flüchtlingen erleben, jetzt in einer ähnlichen Situation wie Griechenland, Italien, Malta und Spanien seit vielen Jahren, so Nyman. Alle diese Menschen seien in derselben Lage der Verletzlichkeit. „Sie stecken in sehr schwierigen Situationen fest, Situationen, in denen ihre Würde und ihre Rechte verletzt werden; sie zelten in Wäldern, ohne die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen; Menschen, die Opfer von Zurückdrängung, Gewalt durch staatliche Behörden und Grenzbeamte sind.“ Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Mittelmeer-Flüchtlingen und den Menschen an der Grenze zu Polen sei, dass viele der Menschen „vor Konflikten und Krieg geflohen sind und auf ihrem Weg traumatische Bedingungen erlebt haben, sie sind erschöpft“.

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Litauen und Polen brauchen dieselbe Solidarität wie Italien und Griechenland

Maria Nyman zieht noch eine weitere, diesmal politische Parallele – sie gilt der EU als Wertegemeinschaft. „Litauen und Polen, genau wie Griechenland und Italien und auch Spanien, brauchen europäische Solidarität, weil es sich um europäische Probleme handelt. Und der Fokus darf nicht auf dem Bau von Mauern liegen, sondern auf den Menschenrechten und dem Recht auf Asyl sowie auf der Bereitstellung humanitärer Unterstützung, um menschenwürdige Bedingungen zu ermöglichen.“

Für dringend hält es die Caritas-Europa-Generalsekretärin, dass die Staatengemeinschaft den Hilfsorganisationen erlaubt, zu helfen. Caritas, aber auch internationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingswerk, Frontex und andere bräuchten dringen die Erlaubnis, direkt „an der Grenze zu arbeiten, um Transparenz zu gewährleisten und die Menschen dort zu unterstützen“, erklärt die Generalsekretärin. „Denn die Situation kann von allein nicht besser werden, und angesichts der Jahreszeit und der Bedingungen, in denen sich die Menschen befinden, ist es wahrscheinlich, dass es mehr Tote geben wird, dass es mehr humanitären Bedarf geben wird. Ich befürchte auch Push-Backs; doch man muss das Recht auf Überprüfung der Asylanträge gewähren.“

„Wir befürchten, dass sich die Situation im Moment noch viel schlimmer entwickeln könnte“

Dringend müsste die europäische Union daran arbeiten, die akuten Spannungen mit Belarus zu entschärfen. „Als Caritas Europa möchten wir unsere Politiker wirklich daran erinnern, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, unabhängig von den Gründen für ihre Reisen, ihre Rechte respektiert sehen sollten", unterstreicht Nyman. „Die geopolitischen Spannungen können nicht sozusagen als Vorwand dienen, um Menschen buchstäblich sterben zu lassen, wenn sie versuchen, die Grenze zu überqueren. Denn das ist es, was gerade passiert. Und wir befürchten, dass sich die Situation noch viel schlimmer entwickeln könnte.“

Grenzen schützen, aber mit Menschlichkeit

Der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz hatte am Dienstag dazu aufgerufen, den Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze zu helfen, und zwar materiell wie geistlich. Der Erzbischof von Vilnius Gintaras Grusas, der auch Vorsitzender der Europäischen Bischofskonferenz CCEE ist, betonte ebenfalls am Dienstag, die EU-Mitgliedsstaaten hätten das Recht, ihre Grenzen zu schützen, „aber sie müssen das mit Menschlichkeit tun, und als Caritas Europa unterstützen wir das wirklich“, so Maria Nyman.

Auch die belarussische Bischofskonferenz hat sich inzwischen zu der humanitären Krise an der Grenze geäußert. Auf ihrer Webseite rufen die katholischen Bischöfe zum Gebet für die betroffenen Migranten und Flüchtlinge auf. 

(vatican news – gs)

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10. November 2021, 14:01