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Der Großimam von Al-Azhar, Ahmad Al-Tayyeb, im Interview mit Andrea Tornielli Der Großimam von Al-Azhar, Ahmad Al-Tayyeb, im Interview mit Andrea Tornielli 

Al-Tayyeb: Terroristen sind „Verräter an ihrer Religion“

Der Großimam von Al-Azhar hat Terroristen, die sich auf ihren Glauben berufen, als Lügner und Verräter an ihrer Religion bezeichnet. Im Interview mit den Vatikan-Medien sprach Ahmad Muhammad Al-Tayyeb auch über seine Wertschätzung für Papst Franziskus und beider Übereinstimmung in der Frage, was Religion im Sinn der Geschwisterlichkeit zum Frieden beitragen kann.

Al-Tayyeb ist in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Partner des Heiligen Stuhles im interreligiösen Dialog geworden. 2019 unterzeichnete er mit Papst Franziskus in Abu Dhabi das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“. Diese Woche nahm der ägyptische Großimam in Rom an drei Veranstaltungen mit Papst Franziskus teil: Am Montag an einer Art Klimagipfel der Religionen, am Dienstag an einer Veranstaltung, die den von Franziskus lancierten „globalen Bildungspakt“ auf eine interreligiöse Dimension weitet, und am Donnerstag am Friedenstreffen der Religionen von S. Egidio.

Dass ein Papst und ein Großimam von Al-Azhar jemals so sehr an einem Strang ziehen würden, war vor dem Antritt von Franziskus 2013 nicht abzusehen: die Arbeit der Dialogkommission zwischen Heiligem Stuhl und Al-Azhar war für mehrere Jahre zum Erliegen gekommen, weil Papst Benedikt 2011 nach einem Anschlag auf eine koptische Kirche in Ägypten öffentlich dazu aufgefordert hatte, die Christen im Land besser vor Terrorismus zu schützen. Nach der Wahl von Papst Franziskus habe die Al-Azhar-Universität dem neuen Kirchenoberhaupt schriftlich gratuliert, „und wir haben eine schöne Antwort von Franziskus erhalten, eine Antwort, die uns dazu ermutigte, eine neue Beziehung zu beginnen“, ließ Al-Tayyeb im Interview die Entwicklung Revue passieren. Er habe Franziskus – der Großimam bezeichnet ihn im Interview als „lieben Bruder“ – 2016 besucht, und dabei hätten beide „eine große geistliche Harmonie“ und viel Übereinstimmung im Einschätzen der Krisen des zeitgenössischen Menschen entdeckt, besonders mit Blick auf die Armen und die Unterprivilegierten.

„Vom ersten Moment unserer Begegnung an hatte ich die Gewissheit, dass er ein Mann des Friedens und der Menschlichkeit schlechthin ist“

„Vom ersten Moment unserer Begegnung an hatte ich die Gewissheit, dass er (Papst Franziskus) ein Mann des Friedens und der Menschlichkeit schlechthin ist“, so der Großimam. In drei Jahren hätten beide an sechs Gipfeln teilgenommen, beim fünften – in Abu Dhabi auf der Arabischen Halbinsel – schritt man zur Unterzeichnung des Dokuments der Geschwisterlichkeit. Al-Tayyeb würdigte auch „Fratelli tutti“ von Franziskus: „Die Enzyklika ist hilfreich für Muslime und gleichzeitig für die anderen, weil sie besagt, dass wir alle Geschwister sind.“

Eine Kindheit in Luxor


Al-Tayyeb ist in der ägyptischen Archäologie-Stadt Luxor aufgewachsen, und die Betrachtung der Antiken der pharaonischen Kultur sowie später seine Bildung an der islamischen Al-Azhar-Universität hätten ihn gelehrt, so sagt er, dass die Religion eine extrem hohe Bedeutung für den Aufbau und den Erhalt einer Zivilisation hat. „Mir ist klar geworden, dass die Botschaft der Religion die erwünschten Früchte nur dann tragen kann, wenn sie von Gläubigen verkündet wird, die zuallererst miteinander versöhnt sind.“ So habe Al-Azhar die Initiative ergriffen, „mit den Vertretern der Religionen zu kommunizieren, um zunächst eine Versöhnung zwischen ihnen zu erreichen und dann in die Welt hinauszugehen, um die Botschaft des Friedens zu verkünden.“

„Es gibt eine einzige Quelle.“

Die drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam hätten dieselbe Quelle, nämlich Gott, sagte der Großimam: „Wir haben klare Texte im Heiligen Koran, die besagen, dass das, was Gott Mohammad offenbart hat, dasselbe ist, was Abraham, Moses und Jesus offenbart wurde. Es gibt eine einzige Quelle.“  Alles, was der Menschheit helfe, wie Werte, Lehren und Gebote, unterscheiden sich nach Darstellung des Großimam nicht von einer Religion zur anderen. „Das hat mich dazu veranlasst, mich auf den Weg zu machen und mich an die Seite meiner Brüder und anderen Religionsvertreter zu stellen, um diese Gemeinsamkeiten zu entdecken.“ Die gemeinsame Hoffnung sei es, die Leiden der Menschen heute zu lindern.

„Was als Konflikte im Namen der Religion bezeichnet wird, sind in Wahrheit politische Konflikte, die den Namen der Religion gestohlen haben“

Entschieden wies der sunnitische Großimam einen ursächlichen Zusammenhang zwischen echtem Glauben und Terrorismus zurück. Vielmehr habe der Terrorismus die Religion in bestimmten Fällen gekapert. „Was als Konflikte im Namen der Religion bezeichnet wird, sind in Wahrheit politische Konflikte, die den Namen der Religion gestohlen haben, indem sie ihn mit korrupten Interpretationen beladen haben, um weltliche Eroberungen und Interessen zu erreichen, die nicht einmal im Entferntesten mit der wahren Religion zu tun haben. Ich muss sagen, dass diejenigen, die heute Hass unter den Menschen verbreiten und im Namen der Religion oder Gottes Gewalt und Blutvergießen praktizieren, Lügner und Verräter an den Religionen sind, deren Fahnen sie hissen, unabhängig von den Religionen oder Doktrinen oder Konfessionen, in deren Namen sie sprechen.“

Die Taliban und die Frauenrechte

Ohne konkrete Entwicklungen wie in Afghanistan beim Namen zu nennen, kritisierte Al-Tayyeb frauenfeindliche Tendenzen in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Mohammed habe in einem Satz klargestellt: „Frauen sind den Männern gleichgestellt". „Kein Muslim, der seinem Glauben treu ist, kann den Frauen die vom Islam garantierten Rechte wegnehmen“, so der Großimam. Frauenfeindliche Haltungen seien „nichts anderes als ein Sieg veralteter und überholter Gewohnheiten und Bräuche, die dem Gesetz des Islam und seinen Regeln schaden.“ Zugleich warnte Al-Tayyeb vor einem säkularen Verständnis von Frauenrechten, das die religiöse Moral und die menschliche Natur missachte.

Das Interview mit Ahmad Muhammad Al-Tayyeb führte Andrea Tornielli.

(vatican news – gs)

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08. Oktober 2021, 13:40