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Ein Kind im Distikt Ampanihy wird wegen Unterernährung behandelt - Aufnahme von Mai 2021 Ein Kind im Distikt Ampanihy wird wegen Unterernährung behandelt - Aufnahme von Mai 2021 

Madagaskar: Vor lauter Hunger an Leder kauen

Auch wenn im Moment alles auf Afghanistan (und vielleicht noch auf Haiti) starrt: Auch anderswo machen Katastrophen keine Pause. Aber wer redet im Moment schon über Madagaskar?

Dabei herrscht im Süden des Landes, das zu den ärmsten der Welt gehört, die schlimmste Dürre seit vierzig Jahren; sie bringt Hunger und Verzweiflung mit sich – auch deswegen, weil der Anbau von Reis und Mais in den letzten Jahren um fast sechzig Prozent zurückgegangen ist. Eine halbe Million Kinder unter fünf Jahren sind laut Unicef jetzt von Mangelernährung bedroht.

Immer mehr Menschen im Süden von Madagaskar hängen mittlerweile von humanitärer Hilfe ab, die aber hinten und vorne nicht reicht. Dass die Lage von Jahr zu Jahr härter wird, könnte mit dem Klimawandel zu tun haben: Die UNO nennt Madagaskar das erste Land, das wegen des Klimawandels mit einer Hungersnot zu kämpfen hat.

Dürre
Dürre

„Inzwischen essen die Leute Kaktusblätter“

„Es fällt noch kein Regen – es ist immer dasselbe.“ Das sagt der Salesianerpater Jean-Chrys, Gründer einer NGO namens „SOS Toliara“, im Interview mit Radio Vatikan. „Die Armut wächst immer mehr, weil nicht mehr genug angebaut ist, weil es keine Pflanzen gibt undsoweiter. Inzwischen essen die Leute Kaktusblätter; sie ziehen die Stacheln heraus und kochen die Kaktusblätter, um zu überleben. Der Hunger wird immer schlimmer; viele Kinder sterben schon deswegen.“

Auch Trinkwasser sei inzwischen Mangelware, bericht Jean-Chrys, der selbst von der Insel kommt. Durch das Kochen der Kaktusblätter werde immerhin ein bisschen Wasser freigesetzt, das tränken die Leute. Einige Menschen auf Madagaskar sind – davon zirkulieren Bilder in den sozialen Netzwerken – dazu übergegangen, Tierhäute zu kochen und auf dem Leder herumzukauen.

„In ihrer Verzweiflung probieren sie alles Mögliche aus“

„Ja – die Menschen können sich kein Fleisch leisten, das kostet zuviel; also holen sie sich beim Schlachter die Reste, die Häute. Sie tun wirklich alles, um irgendetwas zu essen zu finden, und sie probieren in ihrer Verzweiflung alles Mögliche aus.“

Schon seit Jahren wird die Trockenheit immer schlimmer, vor allem wegen des Klimawandels. Allerdings tragen die Menschen auf Madagaskar selbst noch zur Verschärfung der Lage bei: Die meisten heizen nämlich mit Holzkohle, das Holz holen sie sich aus dem Wald, und dadurch hat das Land schon neunzig Prozent seines Urwalds eingebüßt.

Verteilung von humanitärer Hilfe
Verteilung von humanitärer Hilfe

Früher grün, heute braun

Wo früher die Farbe grün dominierte, sieht man jetzt nur noch braune Steppe. Die Regenzeit hat sich spürbar verkürzt. Früher setzte sie im Oktober ein, mittlerweile eher im Dezember.

„Die Leute sind ganz einfach auf die Holzkohle angewiesen, sonst können sie sich nichts kochen. Aber natürlich verschwindet dadurch allmählich der Wald, und die Trockenheit wird immer schlimmer. Es ist ein großer Teufelskreis, in dem die Bevölkerung da gefangen ist: Nur mit Kohle kann sie essen, aber wegen der Kohle geht der Wald zugrunde, und es fällt kein Regen mehr.“

Zum Nachhören: Verheerende Dürre und Hunger in Madagaskar

„Wir fühlen uns, ehrlich gesagt, völlig alleingelassen“

Auf die Regierung von Madagaskar ist der Priester nicht gut zu sprechen: Die vernachlässige immer schon diesen Teil der Insel und nehme das Ausmaß der Probleme dort gar nicht richtig wahr.

„Und außerdem gibt es zu viel Korruption! Gelder und Hilfen kommen nicht bei denen an, die hungern, sondern landen in den Taschen derer, die gewitzt sind, oder der Dorfältesten. Außerdem sind viele der Bedürftigen und Gefährdeten nicht zur Schule gegangen, und darum ist es ein Leichtes, sie übers Ohr zu hauen… Wir fühlen uns, ehrlich gesagt, völlig alleingelassen.“

„Ein von Gott verhängtes Schicksal“

Auf einen Ansturm von Flüchtlingen aus Madagaskar muss man sich jetzt in Europa aber nicht einstellen. Die Leute hängen an ihrer Heimat, erklärt der Priester, die gingen nicht so einfach weg, allen Problemen zum Trotz.

„Vor allem aber wüssten sie auch gar nicht, wo sie hingehen sollten, ob es da überhaupt Platz für sie gäbe, oder wie sie das alles bezahlen sollten. Da bleiben sie lieber, wo sie sind, und nehmen das alles als ein von Gott verhängtes Schicksal.“

(vatican news – sk)
 

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20. August 2021, 11:36