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Notunterkunft in Haiti nach dem Beben Notunterkunft in Haiti nach dem Beben 

Haiti: „Wir sind alle weiter im Alarmzustand“

Die bereits hohe Zahl der Toten nach dem verheerenden Erdbeben vom Samstag in Haiti wird wohl weiter steigen, fürchtet der italienische Laienmissionar Maurizio Barcaro. Er lebt seit mehr als 25 Jahren in der Landeshauptstadt Port-au-Prince und schildert die aktuelle Lage auf der Karibikinsel.

„Vor 30 Minuten hatten wir wieder ein Nachbeben hier, etwa in der Stärke 5, das ist schon recht hoch. Wir sind also alle weiter im Alarmzustand, dieses Nachbeben haben wir hier in Port-au Prince auch stark gespürt. Ich bin Maurizio Barcaro aus der Nähe von Mailand.

Ich bin als katholischer Laienmissionar vor 27 Jahren nach Haiti ausgewandert und habe hier in Port-au-Prince die Mission Lakay Mwen (Mein Haus) gegründet. Die Mission kümmert sich besonders um Kinder und deren Schulbildung, wir haben hier rund 3000 Kinder und außerdem auch einige Senioren, die auf der Straße leben oder die von anderen Helfern, etwa den Mutter-Teresa-Schwestern zu uns geschickt werden“, berichtet der Missionar diesen Donnerstagvormittag im italienischen Radiosender Rai 1.

Hier im Audio: Laienmissionar Maurizio Barcaro zur Lage auf Haiti nach dem verheerenden Erdbeben

Eindringlich schildert er die aktuelle Lage vor Ort:

„Priorität in diesen Tagen ist natürlich, die Verletzten zu finden und zu versorgen, leider auch die Toten – ich fürchte, da sind wir noch nicht am Ende“

„So wie es bisher aussieht, hat das Beben besonders den Süden schwer getroffen, etwa die Städte Les Cayes und Jérémie. Auch viele kleine Dörfer in der Nähe dieser Städte sind stark erschüttert worden; viele von ihnen sind über den Landweg gar nicht mehr zugänglich. Vielleicht kommt man noch mit einem Maulesel auf alten Pfaden irgendwie durch. Wir verfolgen hier tagtäglich die Nachrichten. Nach dem Beben vom Samstag kam dann noch der Tropen-Sturm Anfang der Woche hinzu - die Menschen haben aus Angst vor weiteren Beben trotz des Regens draußen ausgeharrt. Das Problem in den so schwer getroffenen Gebieten ist, dass es so schwierig ist, dort überhaupt mit der Ersthilfe anzukommen. Priorität in diesen Tagen ist natürlich, die Verletzten zu finden und zu versorgen, leider auch die Toten – ich fürchte, da sind wir noch nicht am Ende.“

Kaputte Infrastruktur, Kriminalität und Übergangsregierung

Mehr als 2.000 Tote wurden bisher gezählt. Es könnten noch mehr werden – auch weil Nahrung knapp wird, meint der Missionar.  

„Diesen armen Menschen muss geholfen werden, sie müssen etwas zu Essen haben, wenigsten etwas Nahrung muss ihnen gebracht werden! Es gibt aber große logistische Probleme. Auch weil die Verbindungswege in Haiti an sich schon nicht gut sind. Hinzu kommt dann noch das Problem der Kriminalität: Einige kriminelle Banden haben praktisch die Kontrolle eines Stücks der Hauptstraße von Port-Au-Prince übernommen. Auch wenn gutherzige Menschen Hilfe in die Erdbeben-Gebiete bringen wollen, haben sie also viele Probleme. Nicht vergessen werden darf auch, dass es gerade keine richtige Regierung gibt - also ist die Lage wirklich sehr kritisch.“

„Nicht vergessen werden darf auch, dass es gerade keine richtige Regierung gibt - also ist die Lage wirklich sehr kritisch“

Gebet für den Anfang Juli ermordeten Präsidenten Jovenel Moïse
Gebet für den Anfang Juli ermordeten Präsidenten Jovenel Moïse

Haiti war erst im Juli durch den  Mord an Präsident Jovenel Moïse erschüttert worden. Aktuell gibt es eine Übergangsregierung unter Führung von Ariel Henry. Der Neurochirurg wurde als Interims-Premier vereidigt; im Herbst sollen Wahlen stattfinden. Diese Übergangsregierung gab am Mittwoch bekannt, dass zehn Lastwagen mit Hilfsgütern von der Hauptstadt Port-au Prince in die Erdbebenregionen unterwegs seien. Zuvor war nach UN-Angaben ausgehandelt worden, dass Hilfskonvois die von Gangs kontrollierte Hauptstraße zwischen der Hauptstadt Port-au-Prince und dem Süden des Karibikstaates befahren dürfen. Gebiets-Kämpfe legen Teile von Port-au-Prince immer wieder lahm und trieben laut UN allein im Juni rund 15.000 Menschen in die Flucht.

 

„Wir hier in der Mission beten intensiv für alle Haitianer und versuchen zu helfen“

„Menschlich kann ich mir gar nicht erklären, warum so viele tragische Ereignisse ausgerechnet immer Haiti treffen – ein Land, das eine schwierige Geschichte mit Diktaturen und Staatsstreichen, immer schon großes Elend und auch finanzielle Schwierigkeiten hinter sich hat, Probleme über Probleme. Trotz allem machen die Menschen hier immer weiter. Ja, jetzt weinen sie. Aber sie haben die geistige und körperliche Kraft, den Schmutz abzuschütteln und wieder aufzustehen. Wir hier in der Mission beten intensiv für alle Haitianer und versuchen zu helfen."

Zu Gebeten und Hilfe für Haiti hatte auch Papst Franziskus bei seinem Mittagsgebet am Sonntag aufgerufen. 

(rai – sst)

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19. August 2021, 12:02