Caritas Baby Hospital in Bethlehem Caritas Baby Hospital in Bethlehem 

Heiliges Land: Baby Hospital Bethlehem leidet unter der Pandemie

Die Corona-Pandemie hat in den Palästinensergebieten Spuren hinterlassen. Tausende Familien leben in Armut. Medizinische Behandlungskosten können sie nicht bezahlen, erzählt Hiyam Marzouqa, Chefärztin des Caritas Baby Hospitals Bethlehem im Gespräch mit dem Domradio.

DOMRADIO.DE: Wegen Corona bleiben Touristen in Bethlehem noch immer aus. Die Familien in der Stadt verdienen kein Geld, verlieren ihre Existenzgrundlage. Damit beginnt das Dilemma, unter dem die Kinder jetzt zu leiden haben, oder?

Dr. Hiyam Marzouqa (Chefärztin des Caritas Baby Hospitals Bethlehem): Auf jeden Fall. Es gibt kein Einkommen und wenn ein Kind krank wird, dann steht die Familie da und weiß nicht, was sie tun kann.

Hier das Interview mit Dr. Marzouqa vom Caritas Baby Hospital in Bethlehem

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn mit der Unterstützung für die Familien aus? Kommt da was vom Staat?

Marzouqa: Das ist das Problem, wir haben hier keine Infrastruktur. Es gibt keine Versicherungen, so wie das andernorts üblich ist. Es gibt zum Beispiel keine Arbeitslosenversicherung oder Krankenversicherung. Das ist die Situation der Familien, wenn ihr Kind krank wird.

DOMRADIO.DE: Das Caritas Baby Hospital in Bethlehem, das Sie leiten, ist das einzige auf Kleinkinder spezialisierte Krankenhaus im Westjordanland. Wie viele Kinder werden dort aktuell behandelt?

Marzouqa: Durchschnittlich haben wir jährlich über 4.000 stationäre und über 50.000 ambulante Behandlungen. Mit dem Rückgang der Corona-Infektionen haben wir einen kleinen Rückgang, aber die Zahlen sind immer noch etwa in diesem Bereich.

DOMRADIO.DE: Was können denn Eltern tun, die nicht das nötige Geld haben für eine medizinische Behandlung ihrer Kinder?

Marzouqa: Unser Krankenhaus, das Betlehem Baby Hospital, ist in der Gegend bekannt. Die Menschen wissen, dass kein Kind abgewiesen wird und sie wissen, dass sie sich auf uns verlassen können. Wir machen die Behandlung nicht total umsonst. Wir verlangen eine symbolische Gebühr. Es hat sich rumgesprochen, dass wir niemanden abweisen, auch wenn die Eltern kein Geld haben. So kommen die Leute zur Behandlung und wir spüren ihre finanzielle Lage, auch wenn sie das nicht sagen. Zum Beispiel, wenn ich ein Medikament verschreibe und die Mutter sagt mir: "Ja, muss es denn sein?" Oder wenn wir chronisch erkrankte Kinder haben. Das heißt, sie müssen eigentlich täglich, monatlich ihre Medikamente bekommen. Auf einmal aber kommen die Kinder mit ihren Eltern ins Krankenhaus und brauchen dann eine stationäre Aufnahme. Und da entdecken wir, dass sie diese Medikamente zu früh nicht mehr gegeben haben. So bekommen wir ein Gefühl, was in diesen Familien los ist. Sie bekommen dann eine Sozialkarte, wo wir gleich wissen, wer Unterstützung braucht. Dann bekommen sie die Unterstützung durch Aufnahme, durch die Behandlung mit Medikamenten oder Laboruntersuchungen. Untersuchungen werden dann umsonst in Betlehem gemacht.

DOMRADIO.DE: Der Sozialdienst ist auch in der Nachbetreuung aktiv. Er nimmt Eltern und Kindern auch schwierige Wege ab, oder?

Marzouqa: Ja, genau. Wenn die Patientinnen und Patienten entlassen sind, brauchen sie eine Nachbehandlung und wir müssen schauen, dass unsere Arbeit nicht umsonst war, wenn sie im Krankenhaus waren. So gehen die Sozialarbeiter und inzwischen auch Krankenschwestern und Ärzte, wenn nötig, zu den ehemaligen Patienten, weil sie schwierige Wege haben. So haben die Menschen auch weniger Transportkosten, als wenn sie zu uns kommen.

DOMRADIO.DE: Wir schauen mal in die Zukunft. Die Corona-Fallzahlen sind in Bethlehem zuletzt zurückgegangen. Das alltägliche Leben normalisiert sich langsam aber sicher. Aber Besucher können noch immer kaum nach Israel und Palästina reisen. Was bedeutet das für Sie?

Marzouqa: Wir befürchten, dass Corona Langzeiteffekte haben wird. Denn, wenn die Corona-Zahlen zurückgehen, heißt es nicht, dass auf einmal alle Touristen kommen. Und dass Touristen kommen, heißt nicht, dass wir nicht eine hohe Arbeitslosigkeit haben. Wir hatten vorher eine hohe Arbeitslosigkeit und jetzt mit Corona sind die Zahlen wirklich enorm gestiegen. Wir sind gefragt, mehr denn je. Wir werden immer gefragt sein als Caritas Baby Hospital und unsere Hilfe wird nie aufhören.

DOMRADIO.DE: Mit welchen Gefühlen schauen Sie in die Zukunft?

Marzouqa: Ich habe wirklich Angst, dass diese Pandemie noch länger dauert. Es hat für mich ohnehin zu lange gedauert. Wir haben gehofft nach einem Jahr, dass es zu Ende geht. Jetzt geht das noch ein Jahr. Und die Lage der Menschen verschlimmert sich tatsächlich. Die meisten arbeiten nicht. Und diejenigen, die Geschäfte aufgemacht haben und mittelfristig gehofft haben, dass sie arbeiten können, haben wieder geschlossen. Und diejenigen, die etwas Reserve hatten, haben mittlerweile keine Reserve mehr. Und diejenigen, die ohnehin Tagelöhner sind, stehen am Rande. Und so mache ich mir wirklich große Sorgen, wohin die Entwicklung geht.

Das Interview führte Carsten Döpp.

(domradio – mg)

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30. Juli 2021, 11:22