Die estnische Theologin und Pfarrerin Anne Burghardt, gewählte Generalsekretärin des Lutherischen Weltbundes Die estnische Theologin und Pfarrerin Anne Burghardt, gewählte Generalsekretärin des Lutherischen Weltbundes 

Ökumene: „Sehr beachtlich, was inzwischen möglich ist“

Papst Franziskus hat vor wenigen Tagen den Lutherischen Weltbund empfangen - da war die neugewählte Generalsekretärin noch nicht dabei. Dafür haben wir heute mit Anne Burghardt telefoniert, in Estland, wo sie herstammt und lebt und als lutherische Pfarrerin sowie Theologin wirkt.

Gudrun Sailer sprach mit der gewählten Generalsekretärin des Lutherischen Weltbundes (LWB) und fragte sie zunächst nach den Schwerpunkten, die sie in ihrer Amtszeit setzen möchte.

Anne Burghardt: Meines Erachtens gehört es zu den zentralen Aufgaben der Kirche, dass man die drei altkirchlichen Dimensionen immer wahrnimmt: Kerygma, Liturgia, Diakonia, also: die Verkündigung des Evangeliums, Gottesdienst und Gebet sowie Dienst am Mitmenschen. Jede Kirchengemeinschaft muss ihre Tätigkeit immer analysieren im Licht dieser Dimensionen.

Weiter soll die theologische Arbeit weiterbetrieben werden, worin der Lutherische Weltbund auch bisher gut war. Andererseits muss man darauf hin arbeiten, dass man für die Gemeinden mehr Material zur Verfügung stellt.

Auch die ökumenische Arbeit ist wichtig, was ja schon bei der Gründung des Lutherischen Weltbundes 1947 eine der vier Säulen war. Und natürlich spielt weiterhin der Dienst am Mitmenschen, die ganze humanitäre und diakonische Arbeit des Lutherischen Weltbundes eine große Rolle. Die wachsende ökumenische Zusammenarbeit in praktischer Sicht kann hier sehr viel helfen, man denke an die neulich unterzeichnete gemeinsame Vision zwischen Caritas Internationalis und dem Weltdienst des Lutherischen Weltbundes.

„Wenn wir zurückschauen darauf, wie die Beziehungen zwischen den beiden Kirchen noch vor dem II. Vatikanischen Konzil aussahen, ist es sehr beachtlich, was inzwischen möglich ist“

Radio Vatikan: Die Beziehung zwischen dem LWB und der katholischen Kirche ist für Sie eine „Erfolgsgeschichte der Ökumene". Inwiefern?

Anne Burghardt: Wenn wir zurückschauen darauf, wie die Beziehungen zwischen den beiden Kirchen noch vor dem II. Vatikanischen Konzil aussahen, ist es sehr beachtlich, was inzwischen möglich ist. ZB wenn man allein daran denkt, wie das Reformationsjubiläum bzw. Gedenken 2017 begangen wurde, gemeinsam mit den Katholiken – das war ein Zeichen der Hoffnung und der Versöhnung. Ich finde, dass die gegenseitigen Beziehungen zur Zeit tatsächlich getragen gewesen sind vom Wunsch, gemeinsam von Konflikt zur Gemeinschaft zu gehen. Es ist zwar sicher so, dass man vor Ort oft das Gefühl hat in den Gemeinden, dass die ökumenischen Beziehungen sich nicht schnell genug entwickeln, dass da noch keine offizielle Abendmahlsgemeinschaft gibt, und tatsächlich ist das ein großes pastorales Problem. Aber man muss immer auch mitbedenken, was war der Ausganspunkt noch vor einigen Jahrzehnten.

„Die Frage ist allerdings, ob die Exkommunikation nur für die Lebzeiten des Menschen (Martin Luther) gilt oder auch danach“

Radio Vatikan: Eine Sehnsucht vieler evangelischer Christen und Christinnen wäre die Rücknahme der Exkommunikation von Martin Luther durch die katholische Kirche. Was würde das für die Ökumene bedeuten?

Anne Burghardt: Es wäre sicherlich ein sehr starkes Zeichen, wenn ein versöhnendes Wort bzw. Zeichen in dieser Hinsicht gemeinsam gegeben werden würde. Aber ich denke, hier müssen auch die Katholiken ihrerseits sehen, wie der Zugang zu dieser Frage aus ihren theologischen Voraussetzungen heraus möglich ist. Es ist natürlich klar, dass viele evangelischen Christen darauf warten. Die Frage ist allerdings, ob die Exkommunikation nur für die Lebzeiten des Menschen (Martin Luther) gilt oder auch danach. Ich glaube, hier brauchen wir tatsächlich einen längeren Prozess, wo man gemeinsam mit den Katholiken dieser Frage nachgeht und dann zu einem gemeinsamen Wort, einer gemeinsamen Stellungnahme kommt, die theologisch gut begründet ist. 

Hier das Interview mit der neuen Generalsekretärin des LWB, Anne Burghardt, zum Hören:

Radio Vatikan: Frauen in religiösen Führungspositionen sind global gesehen selten, das ist eine Konstante in den drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum, Islam. Warum ist es für reformierte christliche Kirchen offenbar leichter, sich in diesem Punkt zu ändern?

Anne Burghardt: Es hängt vielleicht einerseits damit zusammen, dass die Tradition etwas anders verstanden wird bzw. der Traditionsbegriff anders gedeutet wird. Andererseits vermute ich, dass hier sicher insgesamt auch das Amtsverständnis der postreformatorischen Kirchen gewisse Möglichkeiten eröffnet, die den Frauen leichter einen Zugang zu leitenden Ämtern ermöglicht, gerade in den größeren nachreformatorischen Kirchen.

Radio Vatikan: Auch im Vatikan kommen Religionsvertreterinnen im Vergleich zu Männern selten vor – welches Gewicht messen Sie der Tatsache bei, dass Sie als erste Frau im Generalsekretariat des Lutherischen Weltbundes die lutherische Weltgemeinde im Vatikan mit repräsentieren?

Anne Burghardt: Ich hoffe, dass ich mit meiner Tätigkeit ein Zeichen geben kann dafür, dass eine evangelische, also postreformatorische Kirchengemeinschaft es für möglich gehalten hat, eine Frau an eine solche Spitzenposition zu wählen. Ich hoffe auch, dass es ein Schritt auf dem Weg ist, wo es eines Tages nichts mehr Außerordentliches sein wird, sondern dass dann die Tatsache, dass man eine Frau ist, einfach eines der Merkmale der konkreten Person ist und nicht sogar besonders hervorgehoben werden muss. Zumindest im Hinblick auf die lutherische Gemeinschaft vermute ich, dass es schon ein ermutigendes Zeichen ist für viele Frauen ist in unseren Mitgliedskirchen. Welches nun der Einfluss nach außen sein wird, wird wahrscheinlich die Zeit zeigen.  

 

Anne Burghardt, 45, hat in Deutschland Theologie studiert. Sie ist mit dem aus Deutschland stammenden evangelisch-lutherischen Pfarrer Arnd Matthias Burghardt verheiratet, das Paar hat zwei Kinder. Als Generalsekretärin des Lutherischen Weltbundes löst Anne Burghardt zum 1. November 2021 den Chilenen Martin Junge ab, der die Gemeinschaft von 148 Mitgliedskirchen seit elf Jahren leitet.

 

(vatican news – gs)

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28. Juni 2021, 16:10