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Mossul, Irak Mossul, Irak 

Irak: „Papstreise für alle ein Signal des Aufbruchs”

Allein schon die Tatsache, dass Papst Franziskus „gefahrlos das Land bereisen konnte“, ist für ausnahmslos „alle Irakerinnen und Iraker, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit, ein Signal des Aufbruchs“. Das sagt der Politologe und Irak-Experte Thomas Schmidinger, der die Papstreise von Kurdistan aus mitverfolgt hat, im Gespräch mit Radio Vatikan.

„Der Papstbesuch hat auf jeden Fall jene Kräfte im Irak gestärkt, die Interesse daran haben, den Irak zu einem modernen Staat für seine Staatsbürger umzuwandeln und den Konfessionalismus zu überwinden“, so Schmidinger. Franziskus' Anwesenheit war seiner Einschätzung nach auch „eine Stärkung für die religiösen Minderheiten, darunter die Christen, aber auch jener Muslime, die den Konfessionalismus, der den Irak die letzten 15 Jahre zerrissen hat, überwinden wollen“.

Der Papst habe sich „mit dem Irak eigentlich genau das richtige Land ausgesucht, wenn er Religionen als Friedensfaktor stärken will“, sagte Schmidinger. Im Zweistromland wurden Religionen und religiöse Richtungen – wie Sunna und Schia im Islam – „in den letzten Jahren sehr stark benutzt, um regionalpolitische Konflikte auszufechten, um Machtpolitik zu betreiben. Religionen können aber eben auch eine andere Funktion haben“.

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Gerade Großayatollah Sistani, den Papst Franziskus in Nadschaf besuchte, habe beständig versucht, in diesem Punkt eine ausgleichende Rolle zu spielen. „Es gibt aber bei beiden großen muslimischen Konfessionen, sowohl bei den Schiiten also auch bei den Sunniten, Gruppen, die versuchen, konfessionalisierte Machtpolitik zu betreiben - und da sind der Aufruf des Papstes und der Besuch des Papstes sicher ein Signal, eben Religion in eine andere Richtung zu betreiben“.

„Es ist zumindest ein Versuch einer Stärkung jener Kräfte, die Religionen auch als Möglichkeit sehen, miteinander ins Gespräch zu kommen“

Ob das friedensstiftende Potential der Religionen weiterhin wachsen werde, stehe freilich auf einem anderen Blatt. Eine Minderheit der Muslime habe „massive Kritik am Papstbesuch“ geübt und ihn als Einmischung von außen gebrandmarkt, beobachtete Schmidinger. „Aber es ist zumindest ein Versuch einer Stärkung jener Kräfte, die Religionen auch als Möglichkeit sehen, miteinander ins Gespräch zu kommen.“

Großayatolla al-Sistani und Papst Franziskus bei ihrer Begegnung in Nadschaf
Großayatolla al-Sistani und Papst Franziskus bei ihrer Begegnung in Nadschaf

Religiöse Rivalität mit dem Iran

Regionalpolitisch liest der Politologe die Reise von Papst Franziskus ins Zweistromland als „eine Stärkung der Souveränität des Irak. Dass der Irak in der Lage war, diesen Besuch ordnungsgemäß zu organisieren und für die Sicherheit des Papstes zu sorgen, ist ein starkes Zeichen dafür, dass es wieder möglich ist, so etwas wie ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen.“

Besonders mit Blick auf den ebenfalls schiitisch geprägten Nachbarn und Rivalen Iran erkennt Schmidinger eine Stärkung unter politisch-religiösen Gesichtspunkten zugunsten des Irak. Iran habe in den vergangenen Jahrzehnten versucht, „das eigentliche religiöse Zentrum der Schiiten, das im Irak liegt, in Nadschaf, gewissermaßen zu überholen. Und gerade der Besuch des Papstes bei Großayatollah Sistani, dem eigentlichen religiösen Oberhaupt, dem wichtigsten Geistlichen der Schiiten, ist eine Stärkung dieser Position der Schia, wie sie auch vor der islamischen Revolution im Iran eigentlich dominant war, also einer Position, in der man versucht, sich von der Politik fernzuhalten und  die Autonomie der Religion auch gegenüber der Politik zu wahren. Diese Stärkung von Nadschaf gegenüber Qom im Iran ist sicher auch ein Signal an den Iran, den aggressiven regionalpolitischen Anspruch, vor allem in Bezug auf den Irak, zurückzustellen.“

Große Begeisterung im Kurdengebiet

Im irakischen Kurdengebiet, in dem sich Schmidinger gerade aufhält, war der erste Besuch eines Papstes Anlass zu großer Begeisterung nicht nur bei den zahlreichen Christen, sondern auch bei den Muslimen. Allerdings sei die Freude nicht ungeteilt gewesen: In Kurdistan . Franziskus besuchte Erbil, Mossul und Karakosch - hätten viele sunnitische Muslime die Papstvisite als „Einmischung“ kritisiert.

„Interessanterweise war der Papstbesuch hier in Kurdistan unter den Muslimen teilweise umstrittener als im Süden des Irak, was sicher auch damit zu tun hat, dass im Süden die Begegnung mit Ayatollah Sistani das Ganze für die Schiiten zu einem großen Ereignis gemacht hat, hier aber eher islamistische Kräfte innerhalb der kurdischen Bevölkerung das sehr viel kritischer gesehen haben.“ Für die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung einschließlich der Muslime sei es aber ein wichtiges Großereignis gewesen.

(vatican news – gs)

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08. März 2021, 11:01