Kardinal Vincent Nichols von Westminster Kardinal Vincent Nichols von Westminster  

Missbrauch in GB: Bericht wirft Kirche Versäumnisse vor

Ein in Großbritannien vorgestellter Missbrauchsbericht über Vergehen in der katholischen Kirche von England und Wales wirft dem Vorsitzenden der dortigen Bischofskonferenz, Kardinal Vincent Nichols, Versäumnisse im Umgang mit solchen Fällen vor. Erstellt wurde die 162 Seiten-Dokument von der unabhängigen staatlichen Untersuchungskommission zu Kindesmissbrauch in England und Wales (IICSA).

Der Erzbischof von Westminster habe in einer öffentlichen Anhörung 2018 für die Fehler der Kirche zwar um Entschuldigung gebeten. Persönliche Verantwortung habe er allerdings nicht übernommen, macht die Experten-Kommission in ihrem Bericht deutlich. In zwei näher untersuchten Fällen sei es Nichols eher um die Reputation der Kirche gegangen als um die Opfer. Statt Mitleid mit den Betroffenen zu zeigen, sei er vor allem besorgt gewesen, Schaden von der Kirche abzuwenden. So habe er in einem Fall versucht, Medienberichte zu unterbinden. In einem anderen habe er lange abgelehnt, das mutmaßliche Opfer zu treffen.

Versäumnisse der Kirche

Versäumnisse sieht die Kommission auch beim Vatikan und Papstbotschafter Erzbischof Edward Adams. Mehrfach habe man diesen gebeten, an der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen an zwei Londoner Schulen des Benediktinerordens mitzuwirken. Doch der Bitte der Kommission, Informationen zum Kontakt zwischen den Schulen und der Nuntiatur zur Hoch-Zeit des Missbrauchsskandals offenzulegen, sei der Erzbischof nicht nahegekommen.

„Über Jahrzehnte hinweg ist die katholische Kirche das Thema sexueller Missbrauch nicht angegangen und hat so viele weitere Kinder eben diesem Schicksal überlassen“, resümierte Alexis Jay, Vorsitzende der unabhängigen staatlichen Untersuchungskommission zu Kindesmissbrauch in England und Wales (IICSA). Der Bericht war angesichts der großen medialen Aufmerksamkeit zum vatikanischen Missbrauchsbericht über den ehemaligen Kardinal Theodore McCarrick in den Medien kaum rezipiert worden.

Auch nach 2015 Anschuldigungen

Laut dem präsentierten Dokument gerieten in England und Wales 931 Geistliche, Ordensleute und Laien zwischen 1970 und 2015 in den Verdacht des sexuellen Missbrauchs; die Zahl der angezeigten Fälle wird mit mehr als 3.000 angegeben. Angeklagt allerdings wurden demnach nur 177 mutmaßliche Täter; nur in 133 Fällen kam es zu einer Verurteilung. Laut Kommission ist von einer deutlich höheren Dunkelziffer auszugehen. Auch nach 2015 habe es rund 100 entsprechende Anschuldigungen pro Jahr gegeben: „Es wäre falsch, sexuellen Missbrauch an Kindern in der katholischen Kirche ausschließlich als historisches Problem zu betrachten.“

„Es ist eindeutig, dass der Ruf der Kirche höher bewertet wurde als das Wohl der Opfer. Hinweise wurden ignoriert, Täter geschützt.“

Die staatliche Untersuchungskommission schilderte in dem Bericht beklemmende Einzelschicksale. So ist darin etwa von einem 17-jährigen Mädchen die Rede, im Rollstuhl sitzend, das als Kind bereits einmal missbraucht worden war und nun abermals von einem Priester bedrängt wurde. An anderer Stelle ist von einem Geistlichen die Rede, der ein Kind mehrere hundert Mal in fünf Jahren missbrauchte, nur um dem Opfer jeweils im Anschluss die Beichte abzunehmen und es so noch weiter zu traumatisieren. „Kindesmissbrauch wurde unter den roten Teppich gekehrt“, hält der Bericht unmissverständlich fest. Und Wissenschaftlerin Jay ergänzt: „Es ist eindeutig, dass der Ruf der Kirche höher bewertet wurde als das Wohl der Opfer. Hinweise wurden ignoriert, Täter geschützt.“

Im Oktober hatte die unabhängige staatliche Untersuchungskommission zu Kindesmissbrauch in England und Wales einen Untersuchungsbericht zur anglikanischen Kirche vorgelegt. Nun folgte der zur katholischen Kirche.

(kna – pr)

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18. November 2020, 15:45