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COVID-19-Impfstoff (Symbolbild) COVID-19-Impfstoff (Symbolbild) 

D: „Junge Generation leistet zum Wohle der Älteren derzeit viel“

Mehrere wirksame Corona-Impfstoffe rücken offenbar derzeit in greifbare Nähe. Im Zuge der Impfstoffentwicklung tauchen zugleich ethische Fragen auf. Auch sorgen sich immer mehr Menschen um mögliche Nebenwirkungen. Unser Kollege Günther Lindinger von Radio Horeb hat dazu Antworten eingeholt; er sprach in München mit Prof. Dr. Rüdiger von Kries von der Münchner Universität. Kries ist Mitglied der Ständigen Impfkommission des Robert Koch-Instituts.

Radio Horeb: Herr Professor von Kries, wie ist denn heute der Stand, was die Impfstoffzulassung angeht?

Prof. Dr. von Kries: Das würde ich auch gerne wissen.

Radio Horeb: Es gibt ja fast jeden Tag eine Meldung, dass irgendein Konzern, irgendeine Firma einen Impfstoff gefunden haben soll, der in der Zulassungsphase sei. Wo stehen wir da?

Prof. Dr. von Kries: Wenn die Phase 3-Studien fertig sind, werden die Protokolle bei der europäischen Zulassungsbehörde eingereicht und von ihr bewertet. Sie machen dies relativ rasch. Das ist ein sogenanntes Rolling-Verfahren, das heißt, die haben die alten Dokumente schon analysiert, so dass nur noch die letzten, die aktuellsten Dokumente der Firma analysiert werden müssen, also die europäische Zulassungsbehörde bemüht sich, so rasch wie möglich eine Zulassung durchzuführen, aber sie nimmt sich die nötige Zeit und tut dies mit der hinreichenden Sorgfalt.

Zum Nachhören

Radio Horeb: Welchen Zeitraum halten Sie für realistisch, wann stehen wir vor der Zulassung - was ist Ihre Prognose, Herr Professor von Kries?

Prof. Dr. von Kries: Auch wenn Sie ein katholischer Sender sind, bin ich nicht der liebe Gott.

Radio Horeb: Das ist uns auch klar.

Prof. Dr. von Kries: Also, ich würde erwarten, dass wir irgendwann Anfang des Jahres den Impfstoff haben werden.

Radio Horeb: Das heißt, dann können die ersten Impfungen im Februar oder März beginnen?

Möglicher Impfstart evetuell schon zu Jahresbeginn

Prof. Dr. von Kries: Ich hoffe, dass wir im Januar beginnen können.

Radio Horeb: Jetzt ist ja immer wieder davon zu hören, dass der Impfstoff von Biontech und Pfizer auf -70° tiefgekühlt werden muss. Erschwert das die ganze Logistik?

Prof. Dr. von Kries: Ohne Zweifel, das macht die Sache etwas schwieriger, und darum wird zunächst in Impfzentren und von mobilen Teams geimpft werden, die gerade diese Vorgaben einhalten können.

Radio Horeb: Ist diese Logistik überhaupt herstellbar - wer hat solche Tiefkühlanlagen?

Prof. Dr. von Kries: Eine Hosentasche hat die nicht. Die müssen besorgt werden, und das ist ein großer Aufwand. Wir können also nur den Kollegen im öffentlichen Gesundheitsdienst und in den Ministerien danken, die das mit großem Einsatz vorbereiten und mit hoher Kompetenz.

Radio Horeb: Es ist immer wieder zu hören, dass man sich offenbar zweimal impfen lassen muss - oder ist diese Info falsch?

Prof. Dr. von Kries: Die Studien sind mit einer zweimaligen Impfung durchgeführt worden, also die Impfstoffwirksamkeit bezieht sich auf die Wirksamkeit nach der zweiten Dosis.

Risiken gegeneinander abwägen

Radio Horeb: Was ist denn diesmal das Besondere an dem Impfstoff?

Prof. Dr. von Kries: Er ist insofern etwas Besonderes, weil dieser Impfstoff ein Messenger-RNA-Impfstoff ist. Und das ist technologisch etwas Neues. Es muss etwas Neues sein, weil man konventionelle Impfstoffe in dieser Menge überhaupt nicht herstellen könnte. Insofern gibt es zwei glückliche Entwicklungen: einerseits haben wir eine neue Technologie, die angewandt werden kann, und es gibt Gott sei Dank Erfolg bei dieser modernen Technologie. Nach allem, was wir wissen können, können wir sicher sein, dass dieser Impfstoff relevant ist, das heißt, bedeutsame Nebenwirkungen nur sehr selten verursachen kann. Ob ganz selten Nebenwirkungen auftreten können, unter eins zu 1.000 (weniger als ein Fall von 1.000, Anm.), kann man aber aufgrund der bisher verfügbaren Daten nicht beurteilen. Aber das muss so gesehen werden, gerade was die alten Menschen betrifft: Bei der Frage des Impf-Risikos im Vergleich zum Versterben an der Erkrankung Corona selbst - und das ist mit ca. einem Prozent, ansteigend mit dem Alter ab 60, sehr viel höher der Fall - heißt das, die Risiken gegeneinander abzuwägen, also dass man den Tod durch die Erkrankung und das unklare, aber sicherlich sehr geringe Risiko des Impfstoffes in die Waagschale werfen muss.

Radio Horeb: Manche behaupten, Herr Professor von Kries, dass dieser RNA-Impfstoff in die Genetik eingreifen würde.

Prof. Dr. von Kries: Also, wenn man in ein Biologie-Lehrbuch schaut, dann wird man feststellen, dass dieser Impfstoff nicht in die Genetik greift. Es ist ein Impfstoff auf der Basis von Messenger-RNA, also im Zellkern befindet sich die DNA, damit kann die DNA Eiweiße produzieren. Da da nicht Botenstoffe im Körper unterwegs sind, muss ein Zwischenmedium eingeschaltet werden. Und das ist diese Messenger-RNA, und das passiert jeden Tag in tausend Zellen in unseren Körper. Damit diese Messenger-RNA nicht immer funkt, wird diese Messenger-RNA von Enzymen in der Zelle vernichtet, das heißt, sie wird in der Zelle abgebaut. Nun kommt jetzt mit dem Impfstoff solche Messenger-RNA, also keine Veränderung des genetischen Materials, über Botenstoff-RNA in die Zelle, und zwar über Fettbindung, und wird dann in der Zelle wie üblich rasch zerstört. Also, was dabei anders sein soll, ist theoretisch denkbar, praktisch kann es das aber nicht geben, denn ansonsten wird man wahrscheinlich gar nicht mehr leben.

Ethische Fragen 

Radio Horeb: Eine Diskussion, die auch immer wieder aufflammt, ist gerade in katholischen, christlichen, evangelischen Kreisen, dass bei Impfungen immer wieder und bei manchen Impfungen Stammlinien von Föten, von abgetriebenen Kindern, verwendet werden. Ist dies hier der Fall?

Prof. Dr. von Kries: Also, ich wüsste keine Impfstofflinie, bei denen Föten verwendet werden oder Stammlinie von Föten verwendet werden. Das ist völliger Unsinn.

Radio Horeb: Bei der Masern-Impfung ist das der Fall.

Prof. Dr. von Kries: Das müsste ich nochmal nachgucken. Also bei Masern weiß ich das nicht, aber hierbei (beim Corona-Impfstoff, Anm.) stimmt das mit absoluter Sicherheit nicht.

Radio Horeb: Jetzt geht's ja auch um die Frage, wer zuerst geimpft wird. Da werden Sie sicher sagen, ohne Ihnen die Antwort vorwegzunehmen, das muss die Politik beschließen. Gibt es da aus Ihrer Kenntnis schon konkretere Überlegungen?

Prof. Dr. von Kries: Da gibt es in der Tat schon Überlegungen vom deutschen Ethikrat und anderen Einrichtungen. Das ist grob festgelegt worden, dass die Menschen zuerst geimpft werden, die das größte Risiko haben, und das sind fast ausschließlich die älteren Menschen, also ab 60 Jahren plus. Dann kommt ein großer Abstand und dann gibt es ganz wenige Menschen, die tatsächlich darüber hinaus ein erhöhtes Risiko aufweisen. Das sind im Wesentlichen die Menschen, die organtransplantiert sind - dann kommt zunächst einmal gar nichts und dann kommt ein kleines bisschen erhöhtes Risiko bei den Menschen, die z.B. übergewichtig oder adipös sind, also, um es kurz zu machen: die wesentliche Risikogruppe sind die älteren Menschen, und die müssen zuerst geimpft werden und natürlich auch das Gesundheitspersonal, damit die Versorgung aufrechterhalten werden kann.

Radio Horeb: Lassen Sie sich sofort impfen, wenn es möglich ist?

Prof. Dr. von Kries: Ich bin zu jung dafür. Sie werden es kaum glauben, ich bin zwar schon über 60,aber zunächst sollen die Impfungen bei den Menschen begonnen, die dies am dringendsten brauchen, und das sind die Menschen über 80, die Menschen in Pflege, die Menschen, die zu betreuen sind und die Menschen, die im täglichen Kontakt zu Patienten mit Coronavirus sind. Das sind also Menschen, die selber infizieren können, also im Gesundheitswesen.

Verschwörungstheorien

Radio Horeb: Verschwörungstheoretiker im Internet gehen derzeit auch hausieren, mit einem aus meiner Sicht furchtbar Begriff: mit der Impfung würde es möglicherweise einen Genozid an alten Menschen geben. Was sagen Sie denen?

Prof. Dr. von Kries: Also, wenn etwas einen Genozid verursacht, dann ist es die Erkrankung. Covid-19 betrifft besonders schwer alte Menschen, und zur Zeit ist es so, dass die alte Menschen geschützt werden müssen - und zwar durch das, was junge Leute machen, nämlich erhebliche Einschränkungen vornehmen. Die alten Menschen werden geschützt, indem die Kinder nicht mehr zur Schule gehen können oder nur noch limitiert in die Schule gehen können. Das heißt, die Kinder und die ganz junge Generation leisten zur Zeit zum Wohle der alten Menschen viel. Und deshalb ist es dringend wünschenswert, dass die alten Menschen ihren Teil an Solidarität, die von jungen eingebracht wird, zurückgeben, indem sie dann an der Impfung teilnehmen, wenn die denn zur Verfügung steht. Erstens haben sie mehr davon, als dass es ihnen schadet, mit hundertprozentiger Sicherheit. Und darüber hinaus können nur dann, wenn sie sich impfen lassen, die Kinder und Jugendlichen aus dieser extremen Belastung, aus dieser Absurdität der fehlenden Teilhabe am sozialen und schulischen Leben befreit werden. Deshalb lautet der dringender Appell an alle älteren Menschen: lassen Sie sich impfen.

Thema Schulschließungen

Radio Horeb: Die Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten diskutieren wieder über das Thema Schulschließungen in Deutschland. Das ist sehr umstritten. Sie sind in der Kinder- und Jugendpädiatrie tätig. Welche Empfehlung würden Sie geben? Sollen wir die Schulen wieder dicht machen, wie beim ersten Lockdown?

Prof. Dr. von Kries: Das ist grober Unsinn, wenn wir das machen. Es gibt wenig Evidenz dafür, dass die Schulen zur Verbreitung des Erregers beigetragen haben. Die Kinder infizieren sich und leisten damit ihren Beitrag zur Verbreitung, insbesondere zur Gefährdung der älteren Menschen ist das aber gering. Vernünftigerweise sollten da die Älteren, wenn sie aus dem Haus heraus gehen und mit einer Person in Kontakt treten, dies mit sehr effektiven Schutzmasken, also mit der P2-Maske, machen. Dies ist viel vernünftiger als schon wieder auf die Kinder einzutreten. Also, diese Schulschließungen sollten soweit wie möglich verhindert werden - und zwar mit aller Deutlichkeit. Denn ich sage, dass es nicht angehen kann, dass junge Menschen in Geiselhaft genommen werden.

Impfen gegen Corona: Günther Lindinger von Radio Horeb sprach mit Prof. von Kries von der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts.

(radio horeb - mg)

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26. November 2020, 08:05