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Amerikas Katholiken waren bei der Wahl gespalten

60 Jahre nach der Wahl John F. Kennedys zum ersten katholischen US-Präsidenten kommt mit Joe Biden wieder ein Katholik ins Weiße Haus. Während JFK seine Kirche hinter sich hatte, sind die Gläubigen diesmal gespalten – ein Bericht von Bernd Tenhage von der katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Biden zitiert aus Bibel

In der Nacht seines Triumphs zitiert Joe Biden aus der Bibel. Es gebe für alles seine Zeit, sagt der am Samstag zum Wahlsieger ausgerufene Demokrat vor dem Chase Center in Wilmington mit Bezug auf eine Passage aus dem Alten Testament. Und weiter: „Dies ist die Zeit zum Heilen.“ Der regelmäßige Kirchgänger belässt es in seiner Siegesrede nicht dabei. Wiederholt kehrt der 77-Jährige zum Thema Versöhnung zurück und beendet seine Ausführungen mit einer Lebensweisheit.

Sein Großvater habe ihm ans Herz gelegt, seinem Glauben treu zu bleiben. „Meine Oma trug mir auf, den Glauben zu verbreiten“. So oder so passt das Selbstbild des praktizierenden Katholiken, der den Wahltag am 3. November mit dem Besuch der Heiligen Messe begann und stets einen Rosenkranz bei sich trägt, nicht so recht zusammen mit der Karikatur, die seine Gegner von ihm zeichnen.

Skepsis wegen Haltung zu Abtreibung

Konservative Katholiken verübeln Biden seine Haltung zur Abtreibung, die er persönlich ablehnt, aber rechtlich nicht strafbar machen will. Eine extreme Minderheit ging so weit, den Glauben des irischstämmigen Kandidaten anzuzweifeln.

„Die katholische Kirche in den USA ist so gespalten wie die Politik des Landes“, erklärt der Direktor des Zentrums für Religion und Kultur der jesuitischen Fordham University, David Gibson. Die Bischöfe seien gut beraten, die Liebe Bidens zu seiner Kirche nicht infrage zu stellen. „Er verhält sich wie die große Mehrheit der praktizierenden Katholiken in diesem Land.“

Graben zwischen Lehre und Überzeugungen

Tatsächlich besteht zwischen der Lehre der Kirche und den Überzeugungen der US-Gläubigen bei kontroversen gesellschaftlichen Themen wie Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe ein wachsender Graben - wobei sich Biden auf der Seite der Mehrheit seiner Glaubensbrüder und -schwestern wiederfindet.

Die US-Bischofskonferenz schien das in ihrer ersten Reaktion zu beherzigen. Biden habe „genügend Stimmen erhalten, der 46. gewählte Präsident der Vereinigten Staaten zu sein“, heißt es in einer offiziellen Erklärung der Bischöfe vom Samstag. „Wir gratulieren Mr. Biden und erkennen an, dass er der zweite Präsident nach dem verstorbenen Präsidenten John F. Kennedy ist, der sich zum katholischen Glauben bekennt.“

Erste Vizepräsidentin

Ausdrücklich gratulierten die Bischöfe auch der von Konservativen scharf angegriffenen Kamala Harris. „Sie wird die erste Frau sein, die jemals als Vizepräsidentin gedient hat.“ Die 56-jährige Senatorin aus Kalifornien ist zudem die erste schwarze Person in dem Amt. Als Gattin eines Juden, Tochter einer Krebsforscherin aus Indien und eines Wirtschaftsprofessors aus Jamaika ist sie multiethnisch und multireligiös geprägt. Für viele verkörpert die Staatsanwältin damit den amerikanischen Traum schlechthin.

„Die Wahl Bidens schafft die Möglichkeit eines Neuanfangs“, sagt der emeritierte Politik-Professor Stephen Schneck von der Catholic University in Washington, der sich im Wahlkampf für die Demokratien engagierte. Die Spaltung, die Trump der Gesellschaft gebracht habe, spiegele sich in der Kirche wider. So gingen laut Nachwahlumfragen 50 Prozent der katholischen Stimmen an Trump, 49 Prozent an Biden.

Ein Berührungspunkt: Frage der sozialen Gerechtigkeit

Schneck ist dennoch davon überzeugt, dass es jenseits der Abtreibung nicht zu viele Reibungspunkte zwischen der Kirchenführung und Biden geben wird. „Er bietet sich als verlässlicher Partner der Bischöfe bei den Themen soziale Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Frieden an.“ Dies sind alles auch Schwerpunkte von Papst Franziskus.

Die Kritik an Biden in rechtskonservativen Kreisen der US-Katholiken bleibt dennoch toxisch. Raymond Arroyo vom katholischen Mediennetzwerk CNA/EWTN behauptete, die Amerikaner würden „vielleicht niemals das Ausmaß des Wählerbetrugs in diesen Wahlen erfahren“. Ähnlich positioniert sich „CatholicVote“, eine Lobby-Gruppe für Trump, die "eine Wolke der fehlenden Legitimität" über Biden ausmacht.

Sicher sind dies extremere Stimmen, aber die Skepsis in der gespaltenen katholischen Wählerschaft bleibt. „Es gibt weder ein Dekret noch eine Enzyklika, die diese Ansichten ändert“, sagt der Chef der Organisation Faith in Public Life Action, John Gehring. Doch der Ton aus dem Weißen Haus werde sich nun bestimmt wandeln.

(kap - pr)
 

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08. November 2020, 16:24