Demo in München für die Flüchtlinge von Moria Demo in München für die Flüchtlinge von Moria 

Asyl in der EU: Moria als Zünglein an der Waage?

Der Brand im Flüchtlingslager von Moria hat die verzweifelte Lage der Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen erneut dramatisch vor Augen geführt. Die Vorgänge auf der griechischen Insel Lesbos dürften auch im neuen Europäischen Asyl- und Migrationspakt Berücksichtigung finden, der an diesem Mittwoch präsentiert wird. Grundlegende Umwälzungen in der EU-Flüchtlingspolitik seien allerdings kaum zu erwarten, sagt Christopher Hein, Professor an der LUISS-Universität Rom, im Interview mit Radio Vatikan.

Anne Preckel und Stefan Kempis – Vatikanstadt

Die Tragödie von Moria „hat zu einer öffentlichen Beunruhigung geführt in ganz Europa, auch über die Medien“, beobachtet Hein. Deshalb hält er es für nicht ausgeschlossen, dass am neuen Asyl- und Migrationspaket bis zuletzt noch gearbeitet wird: „Es könnte sein, dass es da nochmal ein Überdenken gibt gerade in Bezug auf die Aufnahme von Asylbewerbern in den Erstaufnahmeländern und die Weiterverteilung.“

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Grundlegende Umwälzungen in der Flüchtlingspolitik sieht Hein mit dem neuen Pakt allerdings nicht kommen. So glaubt der Gründer und langjährige Leiter des Italienischen Flüchtlingsrates (CIR) nicht, dass die EU jetzt ein System der geteilten Verantwortung der Mitgliedsstaaten bei der Erstaufnahme und den Asylbitten von Flüchtlingen einführen wird: „Offen gestanden bin ich nicht besonders optimistisch. Dass Dublin abgeschafft, überwunden, verändert wird, ist seit Jahren im Gespräch...“

Hein spielt damit auf die sogenannte Dublin-Vereinbarung an, laut der das Erstaufnahmeland bis heute immer noch in erster Linie dafür zuständig ist, Migranten und Flüchtlinge zu empfangen und deren Asylanträge abzuwickeln. Versuche, dieses System zu ändern, habe es von Seiten der EU-Kommission und des EU-Parlamentes 2016 und 2017 schon gegeben – bislang zeitigten diese Vorschläge aber keinen Erfolg.

An den Außengrenzen abwickeln?

Auch Vorstöße von deutscher Seite zielen derzeit eher darauf ab, dass die Asylverfahren an den Außengrenzen der Europäischen Union abgewickelt werden sollen. Hein geht im Interview mit Radio Vatikan konkret auf ein Papier der Bundesregierung vom Februar diesen Jahres ein: „Wenn man sich das ansieht und sich vorstellt, das würde in diese Pakte auf EU-Ebene einfließen, würde das bedeuten, dass erst mal sämtliche Asylbewerber, die in der EU ankommen, egal auf welche Weise und woher, ein Vorverfahren durchlaufen müssen an den Grenzen. Wobei noch völlig unklar ist, ob das Vorverfahren in einer Art Hotspot erfolgt wie Lesbos oder Lampedusa, in mehr oder weniger geschlossenen Einrichtungen.“

Dort könne dann geprüft werden, ob die Antragsteller wieder direkt in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden könnten. Das sei etwa der Fall, wenn sie aus den sogenannten „sicheren Drittstaaten“ kommen. Deutschland definiert damit im allgemeinen Länder, in denen die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet ist. Erst nach einer solchen Vorprüfung kommt dem Vorschlag nach die Umverteilung ins Spiel, referiert Hein – „allerdings eher wohl auf freiwilliger Basis und nicht unbedingt obligatorisch, also verpflichtend für alle Mitgliedsstaaten“.

Moria, eine schnelle und solidarische Lösung?

Dass der neue Europäische Asyl- und Migrationspakt die Aufnahme von Flüchtlingen garantieren und beschleunigen wird, deren Anträge für die EU positiv entschieden würden – etwa im Fall von Kriegsflüchtlingen und Verfolgten, glaubt Hein nicht. Seiner Einschätzung nach besteht „die große Gefahr“, dass sich weiter Flüchtlinge in den Erstaufnahmeländern stauen werden.  

Das System der Umverteilung, der sogenannten „Relocation“ solcher Flüchtlinge, habe in der Flüchtlingskrise von 2015 nicht funktioniert, erinnert er an einen Versuch, eine solidarische Lösung europaweit umzusetzen. Damals war eine Verteilung von 160.000 Asylbewerbern, die sich in Griechenland und Italien aufhielten, in alle anderen EU-Länder anvisiert worden. De facto waren nach zwei Jahren davon nur 12.000 Asylbewerber umverteilt – „mit vielen Schwierigkeiten und auch langen Wartezeiten dabei“, so Hein.

„Also insgesamt kann man sagen, dass dieses Relocation-System, das damals gerade vom ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Juncker sehr favorisiert wurde und was ja im Prinzip auch ein richtiger Gedanke war, praktisch sehr wenig funktioniert hat. Auch weil eine Reihe von Mitgliedsländern entweder sowieso abgelehnt haben, daran teilzunehmen oder aber in der Praxis die Ausführung dieser Operationen blockiert haben.“

Erstaufnahmeländer tragen weiter Hauptlast?

Mit der Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen in der EU könnte es also gewohnt schwierig bleiben, prognostiziert Hein. Er sieht die Last bei einer möglichen Einrichtung von Asylzentren an den EU-Grenzen weiter vor allem bei den Erstaufnahmeländern verbleiben, die für Erstaufnahme, Prüfung der Asylanträge und mögliche Rückführungen in erster Linie verantwortlich wären.

„Das ist das, was ein bisschen zu befürchten ist, dass es erst einmal eine große Restriktion im gesamten Asylbereich geben wird mit der Begründung, dass die Asylverfahren schneller laufen sollten, eben doch vielleicht an den Grenzen behandelt werden, und dass die Erstaufnahmeländer, auch wenn im Prinzip der Grundsatz der Zuständigkeit der Erstaufnahmeländer überwunden werden soll, so hat ja auch von der Leyen gesagt, dass trotzdem das ganze Gewicht der Geschichte auf den Erstaufnahmeländern weiterhin bleiben wird...“

EU-Pakt in deutscher EU-Ratspräsidentschaft

Ein neuer EU-Asyl- und Migrationspakt sollte eigentlich im März schon vorgestellt werden. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde der erste Vorschlag der EU-Kommission dazu aber letztlich für Herbst angekündigt. Am 23. September soll das Strategiepapier der Europäischen Kommission für die nächsten fünf Jahre nun erstmals offiziell vorgestellt werden. Das Projekt ist eine Schlüsselaufgabe für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die Deutschland ab 1. Juli innehat.

(vatican news)
 

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21. September 2020, 12:04