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Hoffnungsträger, der mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat: Sudans Premierminister Abdalla Hamdok auf einem Archivfoto Hoffnungsträger, der mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat: Sudans Premierminister Abdalla Hamdok auf einem Archivfoto 

Demokratisierung im Sudan: „Eine schwierige Umbruchsphase“

Im Sudan reißen auch nach dem Sturz des Diktators Omar al-Bashir im Jahr 2019 die Proteste nicht ab. So hat der Premierminister Abdalla Hamdok erst vor wenigen Tagen zahlreiche Minister ausgetauscht. Außerdem hatte er den Polizeichef des Landes nebst dessen Vizen entlassen, weil sie nach Auffassung der Demonstranten dem ehemaligen Regime zu nahe standen. Gleichzeitig macht der Übergangsrat mit mutigen Gesetzesänderungen von sich reden.

So war erst am vergangenen Wochenende der Apostasie-Paragraph abgeschafft worden, mit dem der Abfall vom Islam mit der Todesstrafe belangt werden konnte. Außerdem ist ab sofort der Alkoholkonsum für Nichtmuslime in dem Land erlaubt. Was das für die Religionsfreiheit im Sudan bedeutet, das haben wir den Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker mit Sitz in Göttingen, Ulrich Delius, gefragt.

Zum Nachhören

Ulrich Delius (Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker): Das ist auf jeden Fall ein großer Fortschritt und wir haben das Gefühl, dass es im Sudan jetzt doch viele Kräfte gibt, die auch im Übergangsrat gut vertreten sind, der das Land jetzt regiert, die sich um mehr Religionsfreiheit kümmern, und um eine Besserstellung der religiösen Minderheiten. Das heißt, dass nicht mehr diese Islamisierungspolitik, die wir 30 Jahre verfolgt haben, vorangetrieben wird, sondern dass man jetzt anerkennt, es gibt andere Religionen und die müssen gleich gestellt werden mit der islamischen und des darf jetzt keine Bevorzugung mehr geben.

Gleichzeitig hat der Übergangsrat im Sudan auch die Genitalverstümmelung von Mädchen unter Strafe gestellt, leider eine viel angewandte grausame Praxis in vielen afrikanischen Ländern. Könnte man also sagen, die Achtung der Menschenrechte ist im Sudan auf dem Vormarsch?

Ulrich Delius: Auf jeden Fall gilt das für Teile der sudanesischen Verwaltung und auch der Zivilgesellschaft. Die bemüht sich sehr um Respekt von grundlegenden Menschenrechten, so wie wir sie kennen aus der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen. Aber es gibt im Land eben auch immer noch Kräfte, die versuchen, diese Entwicklung aufzuhalten oder zu verwässern. Insofern ist es kein durchgehender Prozess, sondern wir erleben da ein ständiges Ringen. Bei jeder Frage, die von der Zivilgesellschaft angesprochen wird, gibt es erst einmal ein Nein von denen, die vorher an der Macht waren und den gesamten Sicherheitsapparat unter sich hatten. Und so ist es sozusagen ein ständiges Ringen um jedes Freiheitsrecht, was kann man zugestehen und wie kann man die Verfassung und die Gesetze liberalisieren… es ist ein sehr schwieriges Umfeld, in dem sich diese Menschen bewegen, die sich für eine stärkere demokratische Öffnung des Sudan einsetzen.

Sie haben gerade das Militär angesprochen, allerdings sitzen Vertreter der Sicherheitskräfte ja auch im Übergangsrat, dessen jüngste Gesetze durchaus eine positive Sprache sprechen. Wo verlaufen denn letztlich die Konfliktlinien?

Ulrich Delius: Es geht im Prinzip um die Macht im Staat und ist die alte Machtschicht bereit, darauf zu verzichten und eine Liberalisierung des Landes zuzulassen, eben auch zuzulassen, dass in Zukunft nicht mehr der Sicherheitsapparat alle Geschicke bestimmt, sondern man eben auch die Macht teilt mit demokratischen Kräften. Und dieser Machtkampf ist noch lange nicht ausgestanden, da gibt es noch viele Akteure, die versuchen, das alte System zu retten und in ein neues zu überführen. Ich denke da beispielsweise an den stellvertretenden Vorsitzenden dieses Übergangsrates, einen Milizenführer (Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemedti, Anm. d. Red.), der für viele Verbrechen unter dem ehemaligen Diktator Omar al-Bashir verantwortlich war und der jetzt versucht, sich als Öffner des Landes zur Demokratie hin zu gerieren. Doch letztlich hat er an einem Machtübergang an demokratische Parteien kein Interesse und das erleben wir alltäglich quasi, dass er versucht, diesen demokratischen Kräften immer wieder zuzusetzen und darzustellen, dass sie doch eigentlich die Belange des Landes nicht richtig im Blick haben und dass er der richtige Mann wäre, um den Sudan zu führen.

Weitere Konflikte dürften sich auf dem religiösen Sektor auftun…

Ulrich Delius: Man hat es jetzt ganz deutlich gesehen, als dieser Apostasie-Paragraph abgeschafft wurde. Da gab es klare Forderungen seitens islamistischer Prediger, dass diese Regierung jetzt abtreten müsste, weil sie die Grundfesten des Sudans in Frage stellt und die islamische Struktur missachten würde. Insofern gibt es besonders von Seiten radikaler islamischer Kräfte massiven Gegenwind und wir befürchten, dass dieser Premierminister sich mittelfristig doch nicht durchsetzen könnte, weil diese Militärs und Milizenführer doch sehr gezielt in der Bevölkerung für ihre Belange werben. Und es ist immer die Frage, wie sich die Lebenssituation der Menschen unter einer demokratischen Regierung wirklich verbessert und ob sie dann letztlich auch das Gefühl haben, dass das die richtigen seien, um das Land zu regieren, oder ob sie eher dazu neigen, das alte System fortzuführen.

Mit was für Problemen kämpft der Sudan derzeit besonders?

Ulrich Delius: Er hat natürlich enorme wirtschaftliche Probleme, es gab schwere wirtschaftliche Einbrüche in der Zeit, in der man um, Demokratisierung rang. Das ist auch eine Zeit gewesen, in der das Land viel Geld verloren hat. Wir haben nun auch das Coronavirusproblem, also es gibt enorme Herausforderungen und es gibt Kräfte, die dem Premierminister Abdalla Hamdok vorwerfen, zu sehr auf das Ausland fixiert zu sein und dort um Hilfe zu bitten, aber nicht genügend im Land selbst dafür zu werben, dass es sich auch rechnet, wenn der Sudan sich hin zu mehr Demokratie, Religionsfreiheit und Menschenrechten öffnet. Es braucht dieses Werben auch im Sudan, denn auch dort wird dieses Regime irgendwann in Wahlen bestätigt werden müssen und wir fürchten, dass man in der Fläche zu wenig präsent ist um die Menschen zu überzeugen, dass es sich für jeden Einzelnen im Sudan auszahlt, sich von dieser Diktatur abzuwenden und sich der Demokratie zuzuwenden.

Wie sollte sich die Internationale Gemeinschaft in dieser komplizierten Gemengelage verhalten?

Ulrich Delius: Sie sollte auf jeden Fall weiter diese Demokratisierung des Sudan unterstützen. Es gab ja erst kürzlich eine virtuelle Geberländerkonferenz unter der Führung von Deutschland, bei der man auch großzügig Hilfen zugesagt hat. Das ist enorm wichtig jetzt, denn wir befinden uns in einer schwierigen Übergangsperiode und wenn diese Übergangsregierung nicht jetzt Hilfe bekommt, dann kann es eben auch sein, dass die Uhren wieder zurückgedreht werden von den Kräften, die eigentlich keine Veränderung wollen.

Die Fragen stellte Christine Seuss.

(vatican news)

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15. Juli 2020, 11:32