Ein Bild der Demonstrationen in Bamako an diesem Freitag Ein Bild der Demonstrationen in Bamako an diesem Freitag 

Mali: „Corona hat die Wut der Menschen noch mehr angestachelt“

In Mali gehen die Proteste der Opposition gegen Präsident Keïta weiter, und im Norden des Landes versetzen dschihadistische Terroristen mit Verbindungen zu al-Kaida und dem Islamischen Staat die Bevölkerung immer mehr in Angst und Schrecken. Hinzu kommt, dass im Land nach wie vor Korruption und wirtschaftlicher Stillstand herrschen.

Für den italienischen Polit-Analysten Marco Di Liddo haben die Folgen des Coronavirus die Wut der Bevölkerung nur noch mehr angestachelt. 

Die politische Krise einzudämmen, die sich in Mali mit den Wahlen vom vergangenen März und April verschärft hat, war das Ziel der Wirtschaftsgemeinschaft Afrikanischer Staaten (ECOWAS), die in der vergangenen Woche Beobachter nach Bamako schickte. Eine Regierung der nationalen Einheit sei nötig, so die ECOWAS im Anschluss an die Mission an die Adresse des Präsidenten, der von der Bevölkerung für mangelhaftes Krisenmangement angesichts der Covid-19-Krise und den häufigen Angriffen bewaffneter Gruppen im Norden des Landes kritisiert wird. Korruption und wirtschaftlicher Stillstand verschärfen den Unmut der Bevölkerung, die sich zu zehntausenden auf den Straßen versammelt.

„Schwere humanitäre Notlage“

Die Allianz, die die Proteste gegen den Präsidenten steuert, wird vom Iman Mahmoud Dicko angeführt. Ein Gesprächsangebot des Präsidenten wurde von der Opposition abschlägig beschieden. In dem Land, in dem mittlerweile knapp 2.000 Corona-Fälle und 100 Corona-Tote zu verzeichnen sind, sei eine „schwere humanitäre Notlage“ im Gang, betont Di Liddo vom italienischen Zentrum für internationale Studien (CeSi).

„In Mali leben aktuell über 4 Millionen Menschen in einer schweren humanitären Notlage. Es handelt sich um Menschen, die keinen Zugang zu grundlegenden Diensten haben, sich gerade nur so eben ernähren können und mit den Widrigkeiten eines Krieges, der mittlerweile seit 2012 andauert, und einem immer gewalttätigeren Klima im Land kämpfen müssen, das keine angemessene wirtschaftliche Entwicklung zulässt. Vor diesem Hintergrund profitieren die ethnischen Milizen und die Dschihadisten von dem Unmut der Bevölkerung. Sie tun nichts anderes, als die Wut der Menschen auszunutzen und in Gewalt umzuwandeln,“ erläutert der Beobachter.

UNO-Friedenssoldaten im letzten Jahr in Timbuktu
UNO-Friedenssoldaten im letzten Jahr in Timbuktu
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Dschihadistische Petrischale des afrikanischen Kontinents

Er hält die Sicherheitslage im Land für ausgesprochen prekär, denn die Sicherheitskräfte und Behörden zeigten sich nicht in der Lage, die Gewalt der dschihadistischen Milizen zu stoppen. Ebenso sei bislang die Aufnahme eines friedlichen Dialoges mit den ethnischen Komponenten der Bevölkerung – wie beispielsweise den Fulani und Tuareg - gescheitert, die eine Reform des Systems forderten, so Di Liddo weiter.

Eine Verbindung der dschihadistischen Gruppen des Nordens mit Terroristen aus der Sahelzone liege dabei auf der Hand: „Die Sahelzone ist seit einigen Jahren sozusagen die dschihadistische Petrischale des afrikanischen Kontinents, ein Ort, an dem sich die dem Dschihadismus zugrundeliegenden Ideologien aus Nordafrika mit den ethnischen Problematiken und Verletzlichkeiten der Subsahararegion vermengt haben. Damit ist eine Mischung entstanden, die auf dem Kontinent beispiellos ist und die sowohl die südlichen als auch die nördlichen Regionen beeinflusst.“

Imam Mahmoud Dicko winkt seinen Anhängern zu
Imam Mahmoud Dicko winkt seinen Anhängern zu

Terroristen, Migranten, Rohstoffe

Erst in den vergangenen Tagen war es französischen Truppen gelungen, den al-Kaida-Anführer Abdelmalek Droukdel zu töten. Die internationale Präsenz in Mali ist eindrucksvoll, so stehen den Soldaten der UNO-Friedensmission MINUSMA weitere europäische Kräfte bei, deren Aufgabe vor allem in der Ausbildung der lokalen Sicherheitskräfte besteht. Und schließlich gibt es die „Task Force“ des „G5 Sahel“: Mali, Burkina Faso, Niger, Mauretanien und Tschad sind dort mit Soldaten engagiert. Nicht zu vergessen das französische Kontingent, das mit über 3.000 Soldaten vor Ort ist.

„Frieden im Sahel zu schaffen ist unter verschiedenen Gesichtspunkten enorm wichtig“, meint dazu der Analyst. „Der erste betrifft die gemeinsamen Interessen Afrikas und Europas, den Terrorismus und die ethnischen Spannungen zu stoppen, die jede Art der Stabilisierung der Region und Programme der wirtschaftlichen und humanitären Verbesserung schwierig machen. Zweitens besteht das Interesse, die Dynamiken der illegalen Migration zu stoppen, was nicht nur eine politische Frage für Europa ist,sondern auch ein Sicherheitsproblem für die Sahelzone ist, denn das verstärkt den Zufluss von Geld in terroristische und kriminelle Vereinigungen. Und außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass die Länder der Sahelzone über wertvolle Rohstoffe verfügen, wie seltene Erden, Gold oder in einigen Fällen auch Brennstoffe.“

Zwei Fulani (Vater und Sohn) in Bamako
Zwei Fulani (Vater und Sohn) in Bamako

Oppositionsführer will mit Aufständischen und Radikalen reden

Der Vorwurf, den die Demonstranten dem Präsidenten und seiner Regierung machten, bestehe vor allem darin, dass er keine angemessene Antwort auf diese Probleme gefunden habe, aber auch, dass er die öffentlichen Belange praktisch im Alleingang entscheide, erläutert Di Liddo. Dies sei darüber hinaus ein Problem, das viele afrikanische Präsidenten betreffe... „Natürlich hat der Coronavirus mit seinen wirtschaftlichen Folgen die Wut der Bevölkerung weiter angestachelt, denn das hat die Wirtschaft getroffen und vor allem den Agrarsektor ärmer gemacht. 70 Prozent der malischen Arbeitskraft konzentriert sich in der Landwirtschaft. Mit den Bestimmungen des Lockdown haben die Arbeiter in der Landwirtschaft und im Primarsektor ihr Einkommen verloren und deshalb ist die Wut der Bevölkerung immer weiter gestiegen.“

Die Opposition werde derzeit durch den im Land sehr bekannten Imam Mahmoud Dicko angeführt, erläutert der Experte. Dieser stammt aus Timbuktu im Norden des Landes und leitete die wichtigste Moschee des Landes in Bamako. Darüber hinaus verfüge der Imam über große politische Erfahrung: „In der Vergangenheit hat er die Kandidatur von Keita als Präsident unterstützt, auch wenn er sich dann von ihm distanziert hat. Heute führt er die Opposition an, und auf dem internationalen Parkett ist er vor allem als führender Vertreter des Dialogs mit den dschihadistischen Gruppierungen bekannt. Er vertritt die Ansicht, dass für eine Lösung der Krise in Mali die Einrichtung eines Verhandlungstisches nötig sei, um mit diesen Aufständischen und radikalen Bewegungen in Dialog zu treten.“

(vatican news - cs)

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22. Juni 2020, 11:54