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Pater Dario Bossi, Comboni-Missionar in Brasilien, macht auf die Nöte der Indigenen aufmerksam (hier auf einem Archivfoto während der Amazonien-Synode) Pater Dario Bossi, Comboni-Missionar in Brasilien, macht auf die Nöte der Indigenen aufmerksam (hier auf einem Archivfoto während der Amazonien-Synode) 

Brasilien: Indigene unter immer stärkerem Druck

Luftaufnahmen aus dem Regenwald in Zeiten der Pandemie zeigen es deutlich: Der Lockdown gilt offensichtlich nicht für illegale Goldschürfer und Geschäftemacher, die skrupellos Narben in den Wald schlagen und dabei die schützende Hand des brasilianischen Präsidenten über sich spüren. Besonders die indigene Bevölkerung leidet unter den Aktivitäten, die nicht nur ihren Lebensraum vernichten, sondern auch das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus erhöhen – und das in einer Gegend, in der medizinische Versorgung oft nur rudimentär geleistet werden kann.

Christine Seuss und Fabio Colagrande - Vatikanstadt

Papst Franziskus hatte bei seinem Regina Coeli an Pfingsten die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zum wiederholten Mal auf die besondere Verletzlichkeit der Indigenen gelenkt, die die „grüne Lunge“ des Planeten bevölkern und bewahren. Besonders in Brasilien haben sich die Lebensbedingungen für diese Menschen in Zeiten der Pandemie nochmals deutlich verschärft. Über 700.000 Brasilianer sind bereits an dem Virus erkrankt, und in all dem unterliegen die indigenen Völker der Gefahr, einen Genozid zu erleiden, schlug erst kürzlich das kirchliche Amazonasnetzwerk REPAM Alarm.

Dies gilt insbesondere für die Gegenden, in denen Minenabbau betrieben wird. Darauf reagierte auch die Kirche des Landes – indem sie sich mit rund einhundert zivilen und Menschenrechtsorganisationen für eine gemeinsame Aktion zusammengeschlossen hat, in der eine Aussetzung des Abbaus gefordert wird, bis die Pandemie vorüber ist. „Minentätigkeit ist nicht wesentlich, das Leben schon“ heißt die Class Action, deren Initiatoren unterstreichen, wie unnütz der Minenabbau für das Überleben der indigenen Völker ist – und wie sehr er im Gegenzug zu einer Verbreitung des Coronavirus beiträgt. Vor allem der illegale Abbau, der in dieser Phase besonders durch die Regierung Bolsonaro toleriert zu werden scheint, stellt dabei ein Risiko für die Bevölkerung dar.

„Einigen scheint das Chaos ganz gelegen zu kommen“

Der Comboni-Missionar Pater Dario Bossi ist Provinzial seiner Ordensgemeinschaft in Brasilien und macht sich schon lange für die Recht seiner Ureinwohner stark. Er war unter den Teilnehmern der Amazonassynode im Vatikan, an deren Ausklingen vor sieben Monaten Papst Franziskus bei seinem Mittagsgebet erinnert hatte. Im Gespräch mit Radio Vatikan spart Bossi nicht mit deutlichen Worten:

„Die Corona-Pandemie macht Brasilien völlig orientierungslos. Wir können nicht einmal ihre Entwicklung und ihr Ende absehen. Wir befinden uns in einer Situation komplett fehlender Organisation, was gesundheitliche und politische Themen betrifft, und in einem Umfeld, in dem mittlerweile sogar die Leugnung der Situation gestattet ist. Es scheint uns sogar, dass es es einigen recht gelegen kommt, das Chaos in den Strukturen und Beziehungen aufrecht zu erhalten, um selbst an der Macht zu bleiben.“

Systemrelevanter Bergbau?

In dieser Phase gebe es immer wieder Hinweise durch Mitglieder indigener Völker, dass ihre gesundheitliche Versorgung absichtlich verschleppt werde. Diese Anzeigen hätten nicht nur in Brasilien für Aufsehen gesorgt, sondern seien in mindestens zwei Fällen auch in Anzeigen vor dem Internationalen Strafgerichtshof gemündet, berichtet Pater Bossi, der auf das politisch und wirtschaftlich motivierte Paradox der Minentätigkeit in Brasilien und im gesamten Amazonasraum hinweist. Denn in vielen Ländern Lateinamerikas sei der Minenabbau als systemrelevante Tätigkeit eingestuft worden und somit von den Beschränkungen, denen andere Industriezeweige unterliegen, befreit:

„Das ist zumindest für den Fall Brasiliens absurd, denn der Anteil der Minentätigkeit am Bruttoinlandsprodukt beträgt 0,66 Prozent, während zwischen 70 und 90 Prozent der abgebauten Materialien exportiert werden. Die Frage ist also: Für wen sind diese Aktivitäten lebensnotwendig?“, legt Pater Bossi den Finger in die Wunde.

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In den Minen-Gebieten höhere Todesrate

Für die indigenen Völker hingegen stelle der Abbau sowie die damit zusammenhängenden weiteren Aktivitäten eine große Gefahr dar, wie auch durch statistische Daten deutlich werde, betont der Missionar: „Die durchschnittliche Todesrate unter den Infizierten in Brasilien liegt bei sechs Prozent, aber in den Bezirken, in denen Minenabbau betrieben wird, steigt dieser Wert deutlich an. In meiner Region Pará, in Parauapebas, haben wir acht Prozent an Todesopfern, und im Bezirk von Marabá 18 Prozent. Das beweist, dass Menschen, die in Gegenden leben, die bereits durch die Minentätigkeit gezeichnet und verschmutzt sind, wesentlich sensibler auf das Virus reagieren.“

Die indigenen Gebiete seien dabei besonders gefährdet, unterstreicht der Missionar. Denn dort werde nicht nur der legale Abbau von Rohstoffen weiterhin betrieben, sondern auch der illegale Abbau vor allem von Gold. Die Goldschürfer verwenden bei ihren Aktivitäten nicht nur hochgiftige Chemikalien, die die Flüsse verschmutzen, sondern übertragen auch das Virus auf die Ureinwohner.

Indigener aus dem Amazonasgebiet
Indigener aus dem Amazonasgebiet

„Minentätigkeit ist nicht wesentlich, das Leben schon“

Die Kirche setze sich mit Kraft für die Rechte dieser Menschen ein, unterstreicht Pater Bossi: „Ich selbst bin als Berater für die Umweltkommission der Bischofskonferenz tätig, die sich auch mit dem Minenabbau befasst. Wir bieten viele Überlegungen an, weisen auf Misstände hin... während der Laudato si'-Woche haben wir einen Themenpfad zum Thema Minenabbau angeboten. Aber auch andere Kommissionen der brasilianischen Bischofskonferenz sind sehr aktiv, so wie die Kommission für Amazonien oder die Kommission für soziale Transformation, genauso wie unser ökumenisches Netzwerk ,Iglesias y Minería'.“

Darüber hinaus habe sich die Kirche mit einer Serie von weiteren Organisation und Privatpersonen aus der Zivilgesellschaft zusammengeschlossen, die sich in der Kampagne „Minentätigkeit ist nicht wesentlich, das Leben schon“ für einen Stop der Minentätigkeit während des Pandemie-Notstands einsetze, berichtet der Comboni-Missionar. Dabei gehe es jedoch nicht nur um den lebensnotwendigen Stopp dieser Tätigkeiten, sondern eine der Forderungen sei es darüber hinaus, dass die internationalen Konzerne den betroffenen Arbeitern ihr Gehalt auch weiterhin bezahlten und der Export der Rohstoffe eingeschränkt werde, um den Teufelskreis des immer schnelleren Abbaus in Zeiten der Pandemie zu unterbrechen, präzisiert Bossi.

Leere Gebiete?

„Ich glaube, dass jede Art von Kampagne oder Anzeige über die direkten Ergebnisse hinaus auch zum Nachdenken anregt und dazu, eine Basis für einen Neuanfang zu schaffen. In der Tat ist das wahrscheinlichste Szenario für die Zeit nach der Pandemie nicht nur hier in Brasilien, sondern in ganz Lateinamerika die Rückkehr zu einem gewaltsamen Rhythmus des Raubbaus, um mit den anderen Wirtschaftsmächten der Welt mitzuhalten. Mit der Perspektive einer Wirtschaftskrise ist es praktisch mit den engstirnigen Visionen einer interessengeleiteten Politik am wahrscheinlichsten, dass Amazonien und der Rest des brasilianischen Territoriums als leere Gebiete angesehen werden, die es zu erobern gilt. Damit wird eine kolonialistische Logik, eine Logik des Raubbaus für den Export, heute aufs Neue wiederholt und intensiviert.“

Dies entspreche nicht der Linie, die Laudato si' oder die Amazonassynode vorgeschlagen hätten, aus denen man viel eher den Impuls erhalte, diese Art von Raubbau in Zeiten der Corona-Pandemie auszusetzen, betont Bossi. „Wir müssen Nein sagen können! Es gibt andere Wege, denen wir folgen müssen, und diese Wege, das sagt sehr deutlich die Enzyklika Laudato si', gehen davon aus, dass die indigenen Völker in ihren Territorien die Hauptrolle spielen, denn sie kennen sie am besten und wissen gefühlsmäßig, welches die Zukunft der Gegenden sein kann, in denen sie ihre Wurzeln geschlagen haben.“

Amazonien steht vor dem Kipp-Punkt

Papst Franziskus habe bereits vor Ausbruch der Pandemie auf die Gefährlichkeit von Wirtschaftsmodellen hingewiesen, die die Würde des Menschen missachten und untergraben, uns sogar an den Rand des Abgrunds gebracht hätten, betont Bossi. „Ich erinnere daran, dass Amazonien kurz vor dem Kipp-Punkt steht, nach dessen Überschreiten ein unkontrollierbarer und unaufhaltsamer Mechanismus der Selbstzerstörung und Verödung dieses Lebensraums einsetzt“, macht Pater Bossi keinen Hehl aus seiner Sorge. An Pfingsten habe Papst Franziskus gerade mit Blick auf Amazonien und die Synode wiederholt, dass die Wirtschaft nicht „der Tempel des Geistes“ sei – vielmehr seien dies der Mensch und die Schöpfung, die Orte, „die der Heilige Geist bewohnt“:

„,Diese Wirtschaft tötet', steht in der Exhortation Evangelii Gaudium. Es scheint uns, dass die Intuition, die jungen Menschen für das Event ,Economy of Francesco' zusammenzurufen, eine prophetische Intuition war, denn sie hilft uns, Dynamiken wiederzuentdecken, die übrigens eine starke weibliche Prägung haben, eine zirkuläre Wirtschaft, die die lokale und gemeinschaftliche Dimension wertschätzt,“ betont Pater Bossi. In Brasilien sei diese Initiative des Papstes übrigens vom Fleck weg „Wirtschaft nach Franziskus und Klara“ umgetauft worden, berichtet der Pater mit Blick auf die umfassende Philosophie, die hinter dem Projekt steckt: „Die Dimension des Allgemeinguts, des Reichtums der Intuition von einem nachhaltigen Leben, die wirtschaftliche Dekonzentration und vor allem, wie es Laudato si sagt, die Politik als höchste Kontrollinstanz über die wirtschaftlichen Interessen einiger weniger.“

(vatican news)

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10. Juni 2020, 13:53