Adolfo Pérez Esquivel: dem Landsmann von Papst Franziskus wurde 1980 der Friedensnobelpreis verliehen Adolfo Pérez Esquivel: dem Landsmann von Papst Franziskus wurde 1980 der Friedensnobelpreis verliehen 

Argentinischer Nobelpreisträger: Für eine solidarischere Welt

Adolfo Peréz Esquivel hat in seinem Leben viele Krisen erlebt. Doch die Corona-Pandemie stellt auch für den 88-jährigen Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger ein beispielloses Ereignis dar. Im Interview mit der Vatikanzeitung LʼOsservatore Romano erklärt er, wie er der Krise sein leidenschaftliches Engagement für die Ärmsten der Armen und seinen „franziskanischen“ Glauben entgegensetzt.

Silvia Kritzenberger und Piero Di Domenicantonio - Vatikanstadt

1980 erhielt der Landsmann von Papst Franziskus für seinen friedlichen Widerstand gegen Argentiniens Militärdiktatur (1976-1983) den Friedensnobelpreis. Und mit dem argentinischen Papst verbindet ihn auch die Sorge um die Ärmsten der Armen. Jene Menschen, die besonders leiden müssen, seit die Coronakrise auch Lateinamerika erreicht hat.

„Am stärksten betroffen sind die sozial Schwachen, denen es an Wasser, Sanitärdiensten und Nahrung fehlt,“ stellt Peréz Esquivel fest. „Ich denke an die villas miserias, die favelas, die callampas, die tugurios: Armut hat in jedem Land einen anderen Namen, aber überall das gleiche Gesicht.“

Die Gefahr der Hungerpandemie...

Auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent, wie auch im Rest der Welt, wirke sich der Gesundheitsnotstand natürlich auch auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung aus, zieht Peréz Esquivel Bilanz. Man habe nicht nur Millionen von Toten zu beklagen, auch Arbeitslosigkeit und Armut hätten deutlich zugenommen. Und durch den zunehmenden Druck der Auslandsverschuldung könne leicht eine Situation entstehen, die der Welt eine „Hungerpandemie“ beschert.

„Wir stehen am Ende einer Ära der Menschheit,“ warnt der Argentinier. „Wir müssen also darüber nachdenken, welche Wege wir in Zukunft beschreiten wollen und dabei berücksichtigen, was uns die Pandemie hinterlassen wird. Wir müssen wissen, was am „Tag danach“ zu tun ist, damit wir mit dem Aufbau neuer Paradigmen der menschlichen Entwicklung beginnen können.“

Das Problem der anderen ist das Problem aller

Die Covid-19-Pandemie habe uns weltweit mit einer beispiellosen Situation konfrontiert. Da es derzeit weder Impfstoffe noch ein Gegenmittel gebe, seien auch Länder mit großen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Ressourcen Opfer der Pandemie geworden, so sein Fazit.

„Angesichts von Gesellschaften, die von Individualismus und Konsumdenken geprägt sind, angesichts von Megalopolen mit sehr hoher Bevölkerungsdichte und einer schier unüberbrückbaren Distanz zwischen Reich und Arm, ist es notwendig, eine Kultur der Solidarität und des Teilens der Güter mit den Bedürftigsten zu fördern. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Problem der anderen das Problem aller ist.“

Die von den Regierungen verhängten Maßnahmen hätten sich nicht nur auf Schulen und Bildungszentren ausgewirkt, sondern auch zur Schließung von Fabriken und Geschäften geführt, beklagt der Argentinier. All dies habe bei den Betroffenen große Besorgnis und Ängste ausgelöst und zur Zunahme von Hunger und Ausgrenzung geführt. Neue sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen seien erforderlich, um auf die Situation zu reagieren, in der sich Tausende von Arbeitslosen auf der ganzen Welt befinden.

Die Gleichgewichte wiederherstellen

„Viele soziale, politische und wirtschaftliche Verhaltensweisen, die bisher alltäglich schienen, sind nun tiefgreifenden Veränderungen unterworfen, die die Beziehungen unter den Menschen und Völkern, aber auch unsere Beziehung zu Mutter Erde verändern,“ stellt der Bürgerrechtler fest. „Die von der Pandemie ausgelöste unbeabsichtigte ,Gefangenschaft' hat die Notwendigkeit gezeigt, das Gleichgewicht mit der Natur wieder herzustellen, einen Dialog in der Familie zu beginnen, den Individualismus zu überwinden und neue kulturelle, politische und soziale Beziehungen aufzubauen, die die Solidarität fördern und Hoffnung bringen.“

Um hoffnungsvoll in die Zukunft blicken zu können, müssten sich die Menschen ihre eigenen Ängste vor Augen halten und mit den Bedürftigen und Flüchtlingen solidarisch sein. „Es ist notwendig, dass die Regierungen und die Internationale Gemeinschaft für eine Politik einstehen, die Schutzsuchende geschwisterlich aufnimmt und keine Mauern errichtet, die letztendlich doch nur Gewalt hervorbringen.“

Die Kraft des Gebets

Er selber suche oft Kraft im Gebet, betont der argentinische Nobelpreisträger und verweist auf ein Gebet des Franz von Assisi: „Herr, mach mich zu einem Werkzeug des Friedens“. Ein Gebet, das auch zu den erklärten Lieblingsgebeten von Papst Franziskus gehört.

Hintergrund

Adolfo María Pérez Esquivel, Jahrgang 1931, ist ein argentinischer Architekt und Bürgerrechtler.
1987 übernahm er das Präsidentenamt der „International League für the Rights and Liberation of the Peoples“. Von 2004 bis 20016 war er Mitglied der Jury des „Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises“.

(L`Osservatore Romano - skr)

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28. Mai 2020, 16:09