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Kardinal Tagle: Wir brauchen eine Pandemie der Nächstenliebe

Er war bis vor kurzem Erzbischof von Manila, der Hauptstadt der Philippinen – und ist jetzt Präfekt der vatikanischen Missionskongregation. Außerdem leitet Kardinal Luis Antonio Gokim Tagle auch das Netzwerk „Caritas Internationalis“.

Wir baten ihn, für uns seine Gedanken zur Corona-Krise zu formulieren.

„Liebe Schwestern und Brüder, wir stehen vor einem Notfall aufgrund des Coronavirus. Notfall, vom lateinischen ‚emerge‘, bezieht sich auf ein unvorhergesehenes Ereignis, das vor uns eintritt und Aufmerksamkeit erfordert.

Notfälle sind für uns nichts Neues. Jedes Jahr erleiden wir Erdbeben, Taifune, Überschwemmungen, Dürren und Krankheiten. Aber sie sind oft auf einen Ort beschränkt und betreffen nur wenige Menschen. Der aktuelle Covid-19-Notstand wird als Pandemie bezeichnet, abgeleitet von den beiden griechischen Wörtern ‚pan‘, was ‚alle‘ bedeutet, und ‚demo‘, was ‚Menschen oder Bevölkerung‘ bedeutet. Die Pandemie betrifft alle oder fast alle Menschen. Wir können sagen, dass Covid19 ein allgemeiner oder universeller Notfall ist. Er betrifft fast alle von uns. Und er erfordert eine Antwort von uns allen.

Es ist gar nicht falsch, zuerst an sich selbst zu denken

In Notfällen denken wir instinktiv zuerst an uns selbst, an unsere Familien und an Menschen, die uns nahestehen. Wir wollen alles in unserer Macht Stehende tun, um sie zu schützen. Obwohl diese Reaktion grundsätzlich gut ist, müssen wir uns doch davor hüten, am Ende nur an uns selbst zu denken. Wir sollten vermeiden, dass uns die Angst blind macht für die Bedürfnisse anderer Menschen. Wir sollten verhindern, dass Angst die Sorge um andere tötet.

Zum Nachhören

Für einen ebenso heftigen Ausbruch der Hoffnung

In einem Notfall kommt das wahre Herz eines Menschen zum Vorschein. Von einem Notfall, der alle Menschen betrifft (Pandemie), erhoffen wir uns einen pandemie-artigen Ausnahmezustand der Fürsorge, des Mitgefühls und der Liebe. Einer unerwartet ausbrechenden Notstandskrise kann nur mit einem ebenso heftigen Ausbruch der Hoffnung begegnet werden. Die pandemische Ausbreitung eines Virus muss eine pandemische Ansteckung der Nächstenliebe hervorrufen! Die Geschichte wird unsere Generation an der Stärke der Liebe messen, die diese gemeinsame Notlage erzeugt und verbreitet hat – oder auch nicht.

Die Geste des Pilatus

Wir danken den heldenhaften Menschen, deren Liebe und Mut in den letzten Wochen eine Quelle der Heilung und Hoffnung sind. Experten sagen, dass wir uns die Hände waschen sollten, um nicht mit dem Virus infiziert zu werden und um eine Verbreitung des Virus zu vermeiden. Beim Prozess gegen Jesus ließ Pontius Pilatus Wasser bringen und wusch sich vor der Menge die Hände. Dabei sagte er: ‚Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen. Kümmert ihr euch darum!‘“ (vgl. Matthäus 27,24)

Wir sollten unsere Hände waschen – aber nicht als Pilatus. Wir können unsere Hände nicht von unserer Verantwortung gegenüber den Armen, den alten Menschen, den Arbeitslosen, den Flüchtlingen, den Obdachlosen, den Mitarbeitern des Gesundheitswesens, allen Menschen, der Schöpfung und den künftigen Generationen reinwaschen. Lasst uns in der Kraft des Heiligen Geistes beten, dass aus allen menschlichen Herzen echte Liebe hervorgehe, um dieser gemeinsamen Notlage zu begegnen!“

(vatican news – sk)
 

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26. März 2020, 13:26