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Rom: Als Luther zu Gast in der deutschen Kirche war

Dienstbotenbücher, Namenslisten von Pilgergruppen und Rechnungen aus dem 15. Jahrhundert– im Archiv der Santa Maria dell’Anima in Rom lagern Schätze aus über 600 Jahren Geschichte. Kürzlich wurde es renoviert und erweitert. Marietta Trendl hat sich im neuen Archiv umgesehen.

Marietta Trendl – Rom

Santa Maria dell’Anima ist die Nationalkirche der deutschsprachigen Katholikinnen und Katholiken in Rom. Die Anima, wie das päpstliche Institut auch genannt wird, beherbergt neben einem Priesterkolleg ein eigenes Archiv. In ihrem über 600 Jahre langen Bestehen hatte die Anima mitunter prominenten Besuch. Von einem besonderen Gast erzählt die neue Archivarin Tamara Scheer. Er war sehr enttäuscht von der Romreise. Er meinte, alles sei nur Pomp und Protz, aber es gäbe eine Kirche, die wirklich sehr stilvoll ist - und das war Martin Luther. Martin Luther war hier zu Gast und hat sich in seinen Erinnerungen, in seinem Schriftgut sehr positiv über die Anima geäußert. Und eigentlich müsste er irgendwo in den Listen auftauchen. Ich suche immer noch danach.“

Hier zum Nachhören

Sich durch Archive zu wühlen ist die Historikerin gewohnt. Tamara Scheer hat viel zur Habsburgermonarchie und der Geschichte Zentraleuropas geforscht. Besonderen Wert legt die Österreicherin in ihrer Arbeit auf den Aspekt der Mehrsprachigkeit. Damit ist sie in der Anima genau richtig. Denn „dieses Haus war immer schon so ein Multikulti, wobei Multikulti natürlich römisch-katholisch, aber im Sinne der Herkunft, der Sprache”.

„Die Anima war immer schon Multikulti“

Im Archiv der Anima finden sich vor allem Dokumente juristischen Ursprungs; Urkunden und Rechnungen. Aber auch die erwähnten Pilgerlisten. Das Besondere sei die Vielfalt der Dokumente und was man aus ihnen herauslesen kann, wie Tamara Scheer erklärt. „Es ist nicht die schiere Größe und Masse, sondern dass wir so völlig unterschiedliche Quellen haben, aus so vielen Jahrhunderten. Also dass man beispielsweise herkommen kann und von der frühen Neuzeit an forschen, was verändert sich über die Jahrhunderte? Aber auch welche Priester haben hier gelebt, wie viel kosten die Blumen, welche Blumen, welcher Wein.“

Erst seit Kurzem, seit Oktober 2019, ist das Archiv wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Räume haben eine aufwendige Renovierung hinter sich. „Wir haben uns bemüht, dass wir das Flair einfangen aus der Zeit, als die Anima gegründet worden ist. Also 15./16. Jahrhundert. Natürlich konnten wir es nicht komplett rekonstruieren. Aber zumindest so, dass man beim Hereinkommen den Eindruck bekommt, eine kleine Zeitreise zu machen, viele Jahrhunderte zurück.”

Auf Zeitreise gehen

Die Idee der Zeitreise geht auf. Indirekte Beleuchtung taucht den Eingangsbereich in warmes Licht. Der kreisförmige Raum sieht aus, als wäre er hunderte Jahre alt - auch wenn die Marmorwände in Wirklichkeit aus Rigipsplatten bestehen. Der angrenzende Lesesaal ist mit dunklem Holz vertäfelt. In der Mitte steht ein langer Tisch. Hier sind alle Dokumente des 19. und 20. Jahrhunderts untergebracht. Das Papier aus dieser Zeit verträgt das Atmen der Besucher, das Licht und die Temperaturschwankungen.

Die älteren Archivalien werden in einem speziellen Raum aufbewahrt, erzählt Scheer. „Scherzhaft nennen wir es immer unser Allerheiligstes, wir sind ja quasi eine religiöse Institution. Für die Historiker ist das Allerheiligste ein Raum, der eine relativ konstante Temperatur hat. Da kann es draußen 40 Grad haben oder zehn und feucht sein, es bleibt immer gleich und sehr trocken und dunkel. Und dann fühlt sich das Papier wohl und hält hoffentlich auch über die nächsten 800 Jahre.“

Digitalisierung ist wichtig, reicht aber nicht

In dem schmalen Archivraum reihen sich alte Bücher und Ordner aneinander. Auf dem Boden stapeln sich Kisten. Auch wenn hier die besten Bedingungen herrschen, in manchen Fällen ist das nicht genug. Tamara Scheer veranschaulicht das Problem anhand einer Pilgerliste aus dem 17. Jahrhundert. Behutsam, mit Handschuhen, nimmt die Archivarin das Dokument aus dem Regal. „Wir haben einiges aus dem 17. Jahrhundert. Man hat eine Tinte benutzt, die hatte ein bestimmtes Metall und dieses Metall beginnt über die Jahrhunderte langsam das Papier aufzulösen. Hier werden wir schnell schauen, dass wir das noch restaurieren und über längere Zeit auch digitalisieren.“

Wer sich heute für Archivalien aus diesem Zeitraum interessiert, bekommt zwar das Original in die Hand. Aber jedes Herausnehmen schadet den Dokumenten. Deshalb ist es wichtig, die Bestände des Archivs zu digitalisieren. Das nützt sogar der Umwelt. Denn wer die Dokumente online einsehen kann, spart sich möglicherweise die Fahrt nach Rom.

Ausschließlich auf Digitalisierung zu setzen ist aber auch keine Lösung, erklärt die Archivarin. „Ich nehme da immer ein Beispiel, das ich aus den Archiven in Wien kenne. In den 60er/70er Jahren hat man begonnen, die Archivalien auf Lochkarten zu übernehmen und hat die Originale weggeschmissen. Viele dieser Archive sitzen jetzt nur noch auf Lochkarten und kaputten Lesegeräten, die heutzutage niemand mehr reparieren kann. Das heißt, dieses Archivgut ist mehr oder weniger verloren. Digitalisieren ist gut, aber die Originale sollte man tunlichst auch aufheben, nicht wegwerfen.“

Nach vergrabenen Schätzen suchen

Der Rektor der Anima, Franz Xaver Brandmayr, hat die Renovierung des Archivs veranlasst. Im Gespräch erzählt Brandmayr von zwei der wichtigsten Urkunden des Hauses. „Sehr bedeutend ist das Dokument, das uns unmittelbar dem Papst unterstellt. Und dann natürlich noch das Dokument, das uns bestätigt, dass uns der Kaiser Maximilian 1518 am Reichstag von Augsburg die Reichsunmittelbarkeit gibt.“ Als reichsunmittelbar wurden im Heiligen Römischen Reich Personen und Institutionen bezeichnet, die direkt dem Kaiser unterstanden.

Die Frage, wo denn noch weitere Schätze vergraben sein könnten, amüsiert den Rektor. „Wenn wir das wüssten, hätten wir sie ja schon gehoben. Na, also das weiß ich wirklich nicht. Das ist jetzt die Aufgabe der Archivarin vor allem, dass sie sich da hineinstürzt.“

Kostbar wäre es zweifelsfrei, den Namen Martin Luthers in einer der Pilgerlisten zu finden. Archivarin Tamara Scheer gibt nicht auf. Sie sucht weiter, auch wenn bis zu dem Fund noch einige Zeit vergehen kann. „Historiker denken nicht in Stunden, Tagen oder Wochen, sondern in Jahren und Jahrhunderten. Es passiert etwas, aber es dauert.“

(vatican news)

 

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17. Februar 2020, 11:37