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Der heutige Erzbischof von Luxemburg, Jean Claude Hollerich, war lange Zeit in Japan tätig Der heutige Erzbischof von Luxemburg, Jean Claude Hollerich, war lange Zeit in Japan tätig 

Kardinal Hollerich: „Papstbesuch gibt Menschen in Japan Mut"

Die Reise nach Japan freut Franziskus „ganz besonders“: Das hat der Papst, der als junger Jesuit gerne in das Land der aufgehenden Sonne gegangen wäre, dem luxemburgischen Kardinal Jean-Claude Hollerich verraten. Hollerich, Jesuit mit mehr als 20 Jahren pastoraler Erfahrung in Japan, erzählt im Interview mit Radio Vatikan über die zweite Reiseetappe der päpstlichen Asienreise. An diesem Samstag trifft Franziskus in Tokio ein.
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Was für einer Kirche begegnet Franziskus in Japan? - wollte Radio Vatikan zunächst von dem Kardinal wissen.

„Die japanische Kirche ist eine sehr kleine Kirche, die auch mit Problemen zu kämpfen hat. Auf dem Land geht die Zahl der Katholiken sehr stark zurück. Einzelne Menschen sind getauft worden und werden alt. Und es rückt niemand mehr nach. In den Städten gibt es Pfarreien, die wachsen – andere nicht. Es fehlen ganze Generationen von Priestern und Ordensschwestern, die Missionare waren und heute verschwunden sind.

Es gibt zwar einen großen japanischen Nachwuchs: Besonders, wenn man die Zahl der Katholiken ansieht, gibt es ungeheuer viele Priester und Ordensleute. Aber diese Zahl reicht nicht, um alle zu ersetzen, die den Dienst quittiert haben. Es gibt sehr viele katholische Institutionen, Schulen, die Sophia-Universität. Da geschieht eine teilweise Entchristlichung der Institutionen, weil die Träger nicht mehr direkt präsent sind. Man probiert das zwar irgendwie aufzufangen, aber so ganz wird das doch nicht gelingen, glaube ich. Der Besuch des Papstes gibt den Leuten Mut und vielleicht auch die Kraft, wieder neu aufbrechen zu können.“

„Der Besuch des Papstes gibt der Kirche Mut und vielleicht auch die Kraft, wieder neu aufbrechen zu können.“

Da hört man heraus, dass die Christen einen besonderen Beitrag in der japanischen Gesellschaft leisten. Was ist das Spezifische, das Christen in der japanischen Gesellschaft beizutragen haben?

„Die japanische Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die funktioniert. Und die Leute sind sehr beschäftigt. Man weiß sowieso, dass das Leben in einer Großstadt meistens sehr hektisch ist. Tokio ist eine Großstadt, aber daneben arbeitet der Durchschnitts-Japaner viel mehr als der Durchschnitts-Europäer. Er hat dann eigentlich keine Zeit, sich die Fragen des Lebens zu stellen. Er hat auch keine Zeit für Religion. Wenn ein Mann jeden Tag bis in die Nacht hinein arbeitet und am Sonntag frei hat, dann wird er morgens schlafen. Dann wird er nur seine Frau in die Kirche gehen lassen. Aber gerade weil man diese Zeit nicht hat, erwartet man vom Papst Worte, die wirklich den Sinn des Lebens erschließen.“

„Der Durchschnitts-Japaner hat eigentlich keine Zeit für Religion.“

Die Christen sind vor allem engagiert im Bildungsbereich. Was ist da ihr Beitrag?

„Es gibt eine ungeheure Zahl von christlichen Schulen, von Kindergärten angefangen bis zur Universität. Die christlichen Schulen sind bekannt für ihre Qualität: Eine katholische Schule muss eine gute Schule sein, sonst braucht man damit gar nicht anfangen. Die Menschen lernen dort viel über das Christentum. An unserer Universität (der Sophia-Universität in Tokio, Anm.) haben wir 14.000 Studenten, 98 Prozent davon sind nicht katholisch. Aber diese Studenten kommen in Kontakt mit der Bibel und christlicher Philosophie durch Vorlesungen, die angeboten werden. Die Japaner sind sehr neugierig und aufnahmefähig. Diese intellektuelle Neugier ist etwas Wunderbares. Ich vermisse die Zeit an der Universität doch sehr.“

Papst Franziskus wollte als junger Jesuit auch gerne nach Japan. Können Sie diese Faszination also nachvollziehen?

„Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Als ich Papst Franziskus einmal getroffen habe, war das Erste, was er mir gesagt hat: ,Ich gehe nach Japan!‘ Diese Reise ist etwas, auf das er sich sehr freut. Er freut sich sicher auf jede Reise, weil es ja eine apostolische Reise ist, wo er das Wort Gottes verkünden kann. Aber ich glaube, dass er sich auf die Reise nach Japan ganz besonders freut. Er wird dort auch Bekannte treffen. Als er Provinzial war, hat er junge argentinische Jesuiten nach Japan geschickt. Einer davon hat mit mir Japanisch gelernt und ist jetzt Provinzial der japanischen Provinz. Mein Nachfolger als Rektor der Jesuitenkommunität an der Universität ist ein anderer dieser Jesuiten. Wenn ich diese Mitbrüder in Japan sah, hatten sie etwas ganz Besonderes. Sie hatten immer sofort einen apostolischen Eifer für die Armen. Nachdem ihr Provinzial und Erzbischof von Buenos Aires dann Papst wurde, kann ich nachvollziehen, dass sie wirklich Schüler des Papstes sind und so leben, wie der Papst es tut und predigt.“

Kann man sagen, dass die Jesuiten und Asien eine besondere Beziehung haben?

„Ich glaube schon, weil man Hochkulturen begegnet. Man ist nicht der Europäer oder Amerikaner, der da hinkommt und wo alle Leute auf eine neue Technologie schauen, die der Pater oder die Schwester mitbringt. Wir stoßen in Japan auf eine Technologie, die entwickelter ist als unsere und auf Hochkulturen – auf Menschen, die sehr moralisch handeln. Franz Xaver (1506-1552) (Wegbereiter christlicher Mission in Ostasien und Mitbegründer der Gesellschaft Jesu, Anm.) war erstaunt, dass Nichtchristen so viel moralischer waren als die Christen in Europa zu jener Zeit. Das hat immer fasziniert. Da kann man natürlich keine Massenkonversionen machen - aber durch Freundschaft sind es doch viele, die die Taufe angefragt haben und getauft werden. Ich hatte jedes Jahr die Freude, zwei oder drei Studenten taufen zu können. Ich war im Januar in Tokio mit Jugendlichen und hatte dort die Freude, drei Erwachsene zu taufen – eine davon war die Frau eines ehemaligen Studenten, den ich damals auch getauft hatte. Er hat seinen Glauben an seine Frau weitergegeben. Das macht dann ungeheuer froh, zu sehen, wie lebendig doch das Christentum, trotz aller Krisen, in Japan ist.“

„Franz Xaver (1506-1552) war erstaunt, dass Nichtchristen so viel moralischer waren als die Christen in Europa zu jener Zeit.“

Japan - ein hochentwickeltes, hochkultiviertes Land, aber: Es gibt dort auch noch die Todesstrafe. Vor ein paar Wochen wurden wieder zwei Menschen hingerichtet. Die Mehrheit der Bevölkerung scheint das zu befürworten. Wie positioniert sich die Kirche dazu? Gibt es Möglichkeiten, auf die Politik einzuwirken?

„Die Kirche positioniert sich sehr deutlich. Die japanische Kirche hat sich von Anfang an gegen die Todesstrafe gestellt. Die Bischöfe sind sehr mutig in ihren Veröffentlichungen in Japan. Ich freue mich über diese Position der japanischen Kirche. Die Bevölkerung – da hatte ich viele Diskussionen mit Studenten – steht hinter der Todesstrafe. Die Menschen sehen das als Wiedergutmachung für die Familie. Meistens werden ja Menschen hingerichtet, die einige andere getötet haben. Einer genügt nicht, aber bei zwei fängt es dann an. Da meint man, das sei eine Genugtuung für die Familie. Das sehen wir als Christen anders, und das müssen wir auch mitteilen.“

Ist in Japan das Konzept der Vergebung völlig fremd?

„Es gibt ja auch eine menschliche Erfahrung von Vergebung, auch in Japan. Aber man sieht wie die christliche Kultur in Europa der Vergebung eine zentrale Stellung gegeben hat. Das sehen wir in der Europäischen Union. Ich hatte in meiner Familie viele Widerstandskämpfer. Es sind in meiner Familie auch viele Menschen umgekommen durch die Nazi-Invasion im Zweiten Weltkrieg. Heute ist Deutschland ein befreundetes Land, und das ist echte Freundschaft – die Luxemburger schätzen Deutschland. Aber das geht nur, weil wir Politiker hatten, die diesen Sinn von Vergebung hatten. Japan und Korea sind auch heute noch keine Freunde, obwohl sie gemeinsame Interessen haben. Und ja, da ist ein Stück Christentum, das fehlt.“

Kann die Papstreise auf diesem Kanal etwas mitgeben in Japan?

„Das glaube ich. Es gibt ja Vergebung im Leben und jeder Mensch, der ehrlich ist, braucht Vergebung und hat auch schon Vergebung erfahren. Auch die Japaner haben diese Erfahrung gemacht und können davon ausgehend die Worte des Papstes verstehen - genau wie in Europa, wo das Vergeben vielleicht schwerer fällt als in einer Zeit, wo es mehr Christen gab.“

„Es ist klar, dass die nukleare Bedrohung heute viel größer ist als früher.“

Der Papst will in Japan eine Botschaft gegen Atomwaffen lancieren, an den Schauplätzen der Bombenabwürfe. Wird dies einen Effekt haben auf die Welt, wo viele Staaten diese Waffen noch besitzen, damit drohen und sie möglicherweise auch einsetzen?

„Es wird sicher einen Effekt haben. Ob die Politiker jetzt zu den Menschen gehören, die dem Papst am meisten zuhören und ihr Herz öffnen, wage ich zu bezweifeln. Aber es ist klar, dass die nukleare Bedrohung heute viel größer ist als früher. Und auch in Europa werden frischfröhlich Waffen, wenn auch keine Nuklearwaffen, produziert, exportiert und benutzt. Das ist zutiefst unmoralisch. Die Japaner sind friedliebend. Sie haben zwei Atombomben erfahren und man kann Hiroshima und Nagasaki und ihre Gedenkstätten nicht besuchen, ohne tief betroffen zu sein. Die vielen japanischen Schulen, die dorthin fahren, bewirken, dass die Japaner tief betroffen sind und aktiv für den Frieden eintreten.“

Das Interview führte Anne Preckel

 

Mit Japan verbunden

Jean-Claude Hollerich (geboren 1958) trat 1981 in die Gesellschaft Jesu ein. Nach seinem Studium in Tokio in den 1980er Jahren war er in den 1990er Jahren nach Japan zurückgekehrt: das Land ließ den jungen Jesuiten einfach nicht los. Er unterrichtete an der katholischen Sophia-Universität in Tokio und war dort als Uni-Kaplan tätig, bevor er an der renommierten Hochschule 2009 zum Vize-Rektor für Allgemeine und Studentische Angelegenheiten aufstieg. Zudem war er als Leiter der dortigen Jesuiten-Kommunität tätig. Nach seiner Ernennung zum Erzbischof von Luxemburg im Jahr 2011 wirkte Hollerich wieder in Europa. Papst Franziskus erhob Hollerich am 5. Oktober 2019 im Vatikan zum Kardinal. Seit Frühjahr 2019 ist Hollerich Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäische Union (Comece).

 (vatican news – pr)

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23. November 2019, 08:00