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Offensive in Syrien: „Ein Drama und ein Verbrechen“

Die Kurden sind nicht die einzigen Opfer des türkischen Einmarsches im Norden von Syrien. Wie Papst Franziskus in einem Appell am Sonntag erwähnt hat, leben auch viele Christen in dem betroffenen Gebiet, das der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in eine „Sicherheitszone“ verwandeln will.

„Wir sind sehr besorgt über diese Offensive“, sagt der Bischofsvikar von Aleppo, Georges Abu Kazen, im Interview mit Radio Vatikan. „In diesem Gebiet sind alle christlichen Minderheiten vertreten: Assyrer, syrische Chaldäer, Armenier. Viele ihrer Vorfahren sind vom Ende des 19. Jahrhunderts an bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in der Türkei abgeschlachtet worden; hier leben die Nachkommen derer, die sich vor den Massakern retten konnten. Die erleben jetzt, wie die Türken in ihr Land einfallen. Das sehen wir wirklich mit großer Sorge – das ganze Blut, das da vergossen wird…“

Zum Nachhören

Wieviele Christen genau im fraglichen Gebiet leben, ist schwer zu sagen; viele sind zwischen 2004 und 2007 vor der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ geflohen. Jetzt löst Erdogans Offensive eine neue Flüchtlingswelle aus.

„Wie wollen sie das denn anstellen?“

Der türkische Präsident will in der „Sicherheitszone“ Syrer ansiedeln, die wegen des Kriegs in die Türkei geflohen sind. Aber Abu Kazen ist da skeptisch. „Wie wollen sie das denn anstellen? Viele Leute sind ja in diesem Gebiet geblieben: arabische Stämme, die Kurden, die Christen… Wie will man denn andere Leute an ihrer Stelle da ansiedeln? Wenn die Türken tatsächlich so etwas vorhaben, dann wird das dazu führen, dass man die Einheimischen wegschickt, um da andere Personen anzusiedeln!“

„Gerade in dieser Region ist Krieg keine Lösung“

Und dann gebe es ja offenbar noch zehntausend frühere IS-Kämpfer in den kurdischen Gefängnissen. „Was wird die Türkei mit denen machen? Sie freilassen? Natürlich sind wir sehr besorgt. Krieg legt doch nur einen Grundstein für weitere Kriege; gerade in dieser Region, wo es all diese ethnischen und religiösen Gruppen gibt, ist er keine Lösung. Das ist ein menschliches Drama, das wir da erleben, und auch ein Verbrechen!“

Die schwarze Fahne

Von einem Frieden sieht der Bischofsvikar sein Land noch weit entfernt. „Das Problem Syriens ist ja, dass das kein internes Problem ist. Wissen Sie: Syrien besteht aus 23 verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen. Früher ergab das ein schönes Mosaik, alle lebten zusammen. Aber jetzt will man mit der Hilfe der westlichen Großmächte alles auf eine einzige Fahne reduzieren, auf eine schwarze Fahne. Das macht uns Angst.“

Die Christen in Syrien lehnen sich traditionell an das Regime an, von dem sie sich Schutz erhoffen. Entsprechend scharf ist ihre Kritik am Westen, vor allem an den USA. Präsident Donald Trump hat die US-Soldaten vor ein paar Tagen aus Nordsyrien abgezogen und damit den türkischen Einmarsch überhaupt erst ermöglicht. Mit einer schwarzen Fahne (mit weißer Aufschrift) hat im Nahen Osten vor allem der IS auf sich aufmerksam gemacht.

„Wir werden ja sehen, wie das einmal enden wird“

Abu Kazen dankt allen, die der Kirche in Syrien jetzt helfen. „Dank Ihnen können wir anderen beistehen. Es gibt viele Anfragen, erst recht jetzt mit diesen neuen Flüchtlingen; manche sprechen von 100.000, andere von 200.000 Flüchtlingen durch die türkische Offensive. Wir tun, was wir können… Und wir werden ja sehen, wie das einmal enden wird.“

(vatican news – sk)
 

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14. Oktober 2019, 11:22