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Christen im Südosten der Türkei: Zurückgekommen, um zu bleiben

Der heutige Südosten der Türkei gilt als Heimat der Urchristen, mit den ältesten Klöstern und Kirchen der Welt. Die Gläubigen gehören vor allem der syrisch-orthodoxen Kirche an. Vor vielen Jahren flohen sie vor Verfolgung durch den Staat und regionale Gruppen, viele ihrer Grundstücke wurden vom Staat konfisziert. Doch langsam kehren die Christen zurück.

Marion Sendker - Köln/Istanbul

Gebete und Gesang in einem Kloster im Südosten der Türkei, nahe der Grenze zu Syrien. Gesungen wird auf Aramäisch. Das ist die Sprache Jesu und die Muttersprache der Menschen, die hier leben. Sie gehören der syrisch-orthodoxen Kirche an.

Die Christen, die in den vergangenen Jahrzehnten vertrieben wurden, kehren langsam wieder zurück. So wie Yahkup, wenn auch nur für ein paar Monate im Jahr. Er pendelt zwischen der Türkei und Deutschland, wo seine Frau und Kinder leben. Doch Yahkups Heimat ist hier, im Zweistromland Mesopotamien. Sein Dorf heißt Echo. Dort hat er das Haus seiner Kindheit wiederaufgebaut – und die Kirche des Dorfes.

„Denn wir wollen unsere Dörfer nicht verlassen, wir wollen wieder zurück in die Heimat“

Und diese Heimat mussten sich die Christen in den vergangenen Jahren teuer in Gerichtsprozessen zurückerstreiten. Denn nachdem sie geflohen waren, konfiszierte der Staat viele ihrer Felder, Klöster und Kirchen. Enteignet zu werden, die Heimat zu verlieren – das passiere ihnen nicht noch einmal sagt Yahkup:

„Zum Beispiel im Winter: Da kommen zwei drei Personen, so als Aufpasser. Wir haben ja Angst, dass fremde Leute reinkommen und dann nicht mehr aus den Häusern rausgehen, dass sie die Häuser besetzen, hier in der Türkei ist das normal.“   

Die Angst, wieder vertrieben zu werden, sitzt tief im kollektiven Gedächtnis der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei. Dabei gehe es ihnen dort heute viel besser als früher.

„Im Moment ist es nicht so schlimm, wie früher: Da standen wir Christen zwischen Türken und Kurden.“

Zum Nachhören

Von beiden Seiten seien die Christen früher bedrängt, diskriminiert und vertrieben worden, sagt Yahkup. In seiner Kindheit lebten noch 900 Familien in seinem Dorf Echo, mit den Jahren wurden es weniger. Er erinnert sich, wie damals immer wieder auch Kämpfer der Terrororganisation PKK in sein Dorf kamen. Sie wollten die Jungs rekrutieren, doch die Christen weigerten sich. Als Yahkup 19 Jahre alt war, floh er nach Deutschland. Sein Cousin und sein Onkel blieben in Echo, sie gehörten zu den letzten Christen in der Gegend. Doch dann stand eines Tages das türkische Militär vor der Tür – mit Maschinengewehren und einer klaren Botschaft: Wenn die Bewohner von Echo nicht in 24 Stunden weg seien, würden die Soldaten wiederkommen, alle erschießen und sagen, es sei die PKK gewesen, erzählt Yahkup. Und so flüchteten auch sein Cousin und Onkel nach Deutschland, wo sie noch heute leben.

„Das liegen Welten zwischen der Türkei und Deutschland. Natürlich ist es in Deutschland für uns viel viel besser. Aber leider ist das hier auch unsere Heimat.“

Yahkup auf dem Weg nach Echo
Yahkup auf dem Weg nach Echo

Hin und her gerissen zu sein zwischen ihrem Leben im Ausland und der Heimat Türkei, das kennt auch die Familie Can. Vor 40 Jahren sind sie nach Berlin gegangen, haben sich dort ein Leben aufgebaut, und als Kieferorthopäden gleich mehrere Praxen eröffnet. Doch ein oder zwei Mal im Jahr kommen sie zurück in die Heimat ihrer Kindheit, in die Region Tur Abdin. So heißt die gebirgige Landschaft nördlich der syrischen Grenze in der Türkei.

„Tur Abdin“ bedeutet „der Berg der Knechte Gottes“. Es gibt unzählige Kirchen und Klöster dort. In einem Kloster, hoch oben in den Bergen macht die Familie Can Urlaub. Das sei wichtig, erklärt die Mutter Selva Can – schon allein, damit ihre Tochter Feride die Sprache ihrer Religion – Aramäisch – lernt und erfährt, wo ihre Wurzeln sind. Ob die Familie aber eines Tages einmal ganz zurückkommen möchte? Das liege allein in der Hand Gottes, sagt Selva Can:  

„Wenn wir dann auch hier sehen, dass Enteignungen und Prozesse laufen, das ist schon beängstigend, weil wir jetzt in den Genuss der Selbstbestimmung gekommen sind und so auch wirken und leben wollen – ohne auch andere zu beschneiden in ihren Rechten.“

Das Leben in Deutschland

Auf Stippvisite in der Türkei erzähle sie den Christen auch immer wieder von ihrem Leben in Deutschland. Damit möchte sie Mut machen, frei und selbstbestimmt in der Heimat Türkei zu leben. Schließlich sei das ihr gutes Recht, denn die Christen habe es schon immer im Tur Abdin gegeben: Sie seien zuerst dort gewesen.

„Wir sind hier der Ursprung, missionieren müssen wir uns nicht, nein, das ist nicht unser Gedanke, sondern einfach ein Stück in Frieden leben zu können, mit den Kurden, mit den Yesiden, mit den Türken, also in Freundschaft.“

Befreundet ist Selva Can aber mit keinem der muslimischen Nachbarn – auch wenn die Familie mehrmals pro Jahr immer wieder an denselben Ort fährt. Für einen echten Dialog könne sie auch einfach nicht genug Türkisch, sagt sie. Die Türen der Köster und Kirchen seien dennoch für alle offen, Muslime und Christen. Selva Can gibt sich gastfreundlich, auch wenn sie selbst nur zu Besuch ist. Was passiert, wenn tatsächlich mal ein paar Türken anklopfen, erzählt Tochter Feride:

„Wenn sie hier reinkommen, dann können wir sie zwar führen, auch während des Gebetes, aber sie können keinen Aufstand machen in der Kirche, weil (lacht) wir die ganze Konzentration für uns brauchen. Und manche sind auch mit ihren Kindern hineingekommen, das war auch ein bisschen laut. Es gibt auch Zeiten wo wir zur Kirche gehen und beten und dann nach der Kirche essen - dann müssen sie auch langsam wieder gehen, weil wir dann keine Zeit mehr haben.“

Einsam in den Bergen

Viele Klöster und Dörfer liegen einsam in den Bergen. Aber selbst in den Städten bleiben sie eher unter sich, so wie Daniel, ein Aramäer in der Stadt Nusaybin, direkt an der Grenze zu Syrien. Dort lebt er seit einigen Jahren mit seiner Familie. Sie sind die einzigen Christen hier.

„Das ist schon ganz gut so, kein Problem. Ist echt so, habe ja meine Kinder hier.“

Daniel lächelt, seine Worte klingen ein bisschen einstudiert und abgespult. In Nusaybin hat er eine wichtige Aufgabe: Er kümmert sich um einen Schatz der Aramäer: die Jakobskirche, erbaut wohl im vierten Jahrhundert nach Christus. Ihre Ruinen befinden sich neben einer Moschee, direkt auf dem Gelände der Schule von Nusaybin. Das sei die erste Universität der Welt, sagt Daniel stolz. Ihre Mauern und Säulen reichen einige Meter bis nach Syrien hinein. Vor zwei Jahren musste Daniel seine Arbeiten abbrechen – es herrschte Krieg in Nusaybin. Kurdische PKK-Milizen und türkische Sicherheitskräfte lieferten sich heftige Straßenschlachten – die Schusswechsel fanden zum Teil auch direkt vor der Kirche statt

Er floh und kam wieder. Während er ganze Stadtviertel verwüstet wiederfand, blieben die Jakobskirche und die Moschee nebenan nahezu unversehrt.

„Ich habe die Kirchen, Klöster und die historischen Stätten schon immer sehr geliebt. Deswegen bin ich gekommen, ich wurde ja nicht gezwungen. Und wie jeder sonst, der diese Kirche sieht, liebe auch ich sie.“

Die Aramäer haben in den vergangenen Jahren viel Geld in den Südosten der Türkei investiert. 20 bis 25 Millionen Euro mindestens, schätzt Yahkup. Selten gebe es auch Unterstützung von der türkischen Regierung. Dabei wäre es ganz in deren Interesse, die Infrastruktur auszubauen, um schließlich wieder mehr Touristen in die Gegend zu locken, findet er.

„Wir erwarten von der türkischen Regierung, dass sie unsere Straßen reparieren. Denn wir haben ein Problem, da kann kein Mensch gehen, denn es ist ja alles kaputt. Und mit dem Strom haben wir dasselbe Problem.“

Die Regierung versprach immer wieder Abhilfe, zuletzt etwa vor den Kommunalwahlen Ende März. Da schickte Ankara ein paar LKW-Ladungen Sand für den Straßenbau – doch als die Wahlen vorbei waren, war es auch mit der Unterstützung vorbei.

(vatican news)

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17. August 2019, 11:27