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Vergewaltigung als Kriegswaffe: Der Arzt, der Frauen ins Leben zurück hilft

Er ist Gynäkologe – und Träger des Friedensnobelpreises: Denis Mukwege. Der Arzt aus dem Kongo bekam die Auszeichnung letztes Jahr für die Arbeit des Panzi-Hospitals, das er in Bukavu im Osten des Landes aufgebaut hat. Dort werden seit etwa zwanzig Jahren Mädchen und Frauen behandelt, die Opfer sexueller Kriegsgewalt geworden sind.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Immer wieder vergewaltigen Rebellen und Soldaten in Ost-Kongo systematisch Frauen. Doktor Mukwege versucht nicht nur, sie physisch zu heilen, er weist auch die Weltöffentlichkeit auf den Skandal der Vergewaltigung als Kriegswaffe hin.

Letzte Woche traf der Arzt, der übrigens der Sohn eines freikirchlichen Pastors ist, in Rom mit Papst Franziskus zusammen. „Der Papst kennt die Probleme meines Landes sehr gut“, sagte er uns hinterher in einem Interview; „er interessiert sich für die Schwachen, für die Armen. Er ist ein Mann Gottes. Ihm zu begegnen, ist eine Ermutigung in unserer Arbeit für die Verwundbaren.“

„Wir sind dabei, die Würde einzubüßen“

Mukwege wäre bereit, mit dem Vatikan in Sachen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zusammenzuarbeiten. „Absolut! Darum bin ich ja auch hier. Wenn man sieht, wofür der Vatikan einsteht, nämlich für den Respekt vor der Menschenwürde, dann ist das sehr wichtig. Bei uns in der Demokratischen Republik Kongo hat das menschliche Leben überhaupt keinen Wert mehr. Schon aus den nichtigsten Gründen werden Menschen umgebracht.“

Zum Nachhören

Eigentlich sei der Kongo ein christliches Land. „Man sollte die Menschen also lehren, welchen Wert die Liebe hat, und die Tatsache, dass wir nach dem Bild Gottes erschaffen sind… Wir sind dabei, die Würde einzubüßen, die wir eigentlich besitzen sollten. Darum müssen wir uns zusammentun, wir müssen mit den Menschen Gottes zusammenarbeiten, die an diesen Wert glauben, den Gott den Menschen gibt!“

Frauen – unser gottgeschaffenes Gegenüber

Mukwege ist nicht glücklich darüber, dass man ihn gemeinhin den Mann nennt, „der Frauen repariert“: „l’homme qui répare les femmes“. „Leider gibt man mir diesen Namen, weil diese Frauen gemeinhin nicht die Hilfe erhalten, die wir ihnen zukommen lassen! Was diese Frauen eigentlich bräuchten, wäre Respekt. Und das würde bedeuten, dass man sie als gleichwertig anerkennen müsste. Aber wir machen einen Unterschied zwischen Mann und Frau, der dazu führt, dass die Frau als ein minderwertiges Wesen angesehen wird. Dadurch bereiten wir einem Prozess den Weg, der zu ihrer Zerstörung führt – und wir vergessen vollkommen, dass sie uns gleich ist, dass sie unser Gegenüber ist, dass Gott sie nach seinem Bild erschaffen hat.“

Er sei mit seinem Pfarrer in den Vatikan gekommen, erzählt Dr. Mukwege: Das sei Pater Nicolas, mit dem er gut zusammenarbeite und dessen Pfarrei vor allem durch das Engagement von Frauen lebendig sei. Womit der Doktor wieder bei seinem Thema ist.

„Die Frauen brauchen endlich ihren Platz“

„Ich finde, in unserer kongolesischen Gesellschaft wird man keine Fortschritte machen, solange man der Frau nicht den Platz einräumt, den sie verdient. Die Frauen sind überall – auf dem Markt, auf dem Feld, im Transportwesen, im Handel. Sie sind unglaublich rührig. Leider akzeptiert man zwar ihre Arbeit, aber lässt sie dann nicht an den Früchten ihrer Arbeit teilhaben. Da liegt der Fehler, den wir begehen! Im Kongo, in Afrika, in der Welt braucht die Frau endlich ihren Platz.“

2012 versuchten Unbekannte, Mukwege zu ermorden, nachdem er in einer Rede vor der UNO in New York über sexuelle Kriegsgewalt gesprochen und dabei auch der Führung seines Heimatlands Kongo eine Mitschuld gegeben hatte. Ein paar Monate lang ging der Arzt mit seiner Familie aus Sicherheitsgründen nach Belgien, kehrte aber 2013 zurück in die Kivu-Provinz. Hier ist sein Platz, im OP von Bukavu.

Ich habe die Mütter behandelt, dann die Töchter, jetzt die Enkelinnen…

„Ich bin Gynäkologe. Ich arbeite viel, ich stehe oft im OP, und ich habe die Mütter behandelt, dann die Töchter, und mittlerweile die Enkelinnen – das finde ich nicht hinnehmbar. Darum bin ich aus dem OP herausgekommen und habe ganz einfach versucht, die Welt darauf aufmerksam zu machen, was in der Demokratischen Republik Kongo vorgeht.“

1994 begann der Völkermord in Ruanda. Mehr als eine Million Menschen flüchteten damals in den Kongo; mit ihnen kamen Bewaffnete, die Rebellengruppen bildeten. Die Folge war das, was manche einen „afrikanischen Weltkrieg“ nennen: Mehr als sechs Millionen Tote durch Massaker oder Hunger. Und mehr als 200.000 Opfer von gezielten Vergewaltigungen.

Traum von einem Land des Friedens

„In diesem Moment, wo ich mit Ihnen rede, gibt es im Kongo vier Millionen Binnenflüchtlinge. Und damit meine ich nicht Menschen, die in irgendwelchen Flüchtlingslagern leben und denen man dort zu essen gibt, sondern Menschen, die völlig sich selbst überlassen sind. Sie sind aus ihren Dörfern geflohen, haben aber woanders keine Sicherheit oder Hilfe gefunden. Am Schluss verstecken sie sich irgendwo, um zu sterben. Und dazu Hunderttausende von vergewaltigten Frauen – das ist wirklich eine sehr ernste Situation.“

Mittlerweile verbringt der Arzt nur noch die Hälfte seiner Arbeitszeit im OP; die andere Hälfte widmet er seinem menschenrechtlichen Einsatz. „Ich glaube aber, das mache ich nur für eine Weile so. Ich hoffe sehr, dass die Kongolesen und alle, die uns in ihren Gebeten und mit ihren Taten begleiten, eines Tages endlich sagen können: Der Kongo ist ein Land des Friedens, wo die Kinder in Ruhe aufwachsen können, ohne den Tod fürchten zu müssen, wo sie zur Schule gehen können usw. Das ist es, worauf wir hoffen.“

„Das ist kein Stammes- und kein Religionskrieg“

Man rede zwar inzwischen häufiger von der „Sache der Frauen“, urteilt Mukwege, „aber immer noch nicht genug“. „Die Welt müsste aufstehen und sagen: Wir können nicht gleichgültig bleiben, wenn die Menschenwürde mit Füßen getreten wird! Diese Bewegung haben wir noch nicht.“

Dass es ständig Krieg und Gewalt in seiner Heimat gibt, hat nach Ansicht des Nobelpreisträgers ausschließlich mit ihrem Reichtum an natürlichen Bodenschätzen zu tun. „Das ist also kein Stammeskrieg, lassen Sie sich da nichts vormachen! Das ist auch kein Krieg der Religionen, und es ist kein Krieg um Land. Das ist ganz einfach nur ein Krieg um die Ausbeutung der Reichtümer, die Gott uns gegeben hat.“

Migration? „Es gäbe für alles eine Lösung“

Er komme im Augenblick viel in Afrika herum, erzählt Mukwege. „Was Sie da sehen, ist folgendes: Erst zerstört man in einem Land alles. Und dann, wenn alles kaputt ist, was passiert dann? Dann emigrieren die Jungen, und damit entsteht eine Bewegung, die man nicht mit Mauern und Stacheldraht wird aufhalten können. Dabei gäbe es für alles eine Lösung… Die erste Lösung ist der Friede. Die zweite Lösung besteht darin, diesen jungen Leuten vor Ort eine Ausbildung zu verschaffen, dann werden sie auch zuhause innovativ werden und kein Interesse mehr daran haben, Wüsten zu durchqueren, um irgendwie Europa zu erreichen.“

Seinem Land werde „ein extremes Leid auferlegt“, sagt er dann. „Jeder, der heute ein Smartphone hat, hält ein kongolesisches Produkt in Händen… Es gibt Lösungen. Was wir haben, brauchen wir ja nicht für uns selbst zu behalten, wir können alles teilen – aber gerecht. So gerecht, dass Menschen im Kongo ruhig bei sich zuhause leben, arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen können. Wenn man heute um Minenprodukte Krieg führt, muss man sich nicht wundern, wenn die Jungen diese Kriegszonen verlassen und woanders Sicherheit suchen.“

Das rührt an unser Menschsein selbst

Wer die Leiden von vergewaltigten Frauen einmal aus der Nähe gesehen habe, der könne diese Bilder nicht mehr vergessen, sagt Doktor Mukwege. Er habe Frauen behandelt, denen man nach der Vergewaltigung noch in die Vagina geschossen habe. Oder deren Genitalien verbrannt worden seien.

„Das ist sehr hart. Man müsste schon kein Mensch sein, um da nicht seine Emotionen zu spüren. Das rührt mich an, das rührt an das, was uns das Heiligste ist, das rührt an unser Menschsein selbst. Wenn man diese Frauen richtiggehend zerstört – wenn man sieht, wie barbarisch sogar Kinder völlig zerstört werden – also, wer da nichts fühlt, der hat Probleme mit sich selbst und der Art und Weise, wie er andere Menschen sieht.“

„Es reicht nicht, wenn ich alleine schreie“

Um sexualisierte Gewalt zu ächten und dem Kongo zu einer lichteren Zukunft zu verhelfen, sollte man vor allem vernehmlich aufschreien, findet Doktor Mukwege. „Ich glaube, es reicht nicht, wenn ich alleine schreie – ich brauche andere Leute, die ebenfalls schreien. Je mehr wir sind, wir Kongolesen und Freunde des Kongo, und je lauter wir ‚Es reicht!‘ schreien, desto eher wird man uns hören. Ich bin sicher, dass man unsere Schreie über das Drama, das wir erleben, eines Tages hören wird.“

Mit Verve setzt sich der Mann, der Frauen repariert, dafür ein, dass etwas gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverbrechen im Osten des Kongo getan wird. Er spricht von „justice“ – das meint auf Deutsch sowohl „Gerechtigkeit“ wie „Justiz“.

„Die Justiz kann auch reparieren“

„Das ist mein Appell heute: Sorgen wir für Frieden, ohne dass die Gerechtigkeit dran glauben muss. Wenn wir von Justiz sprechen, ist es sehr wichtig, dass die Leute verstehen, dass das nicht nur etwas Repressives ist. Die Justiz kann auch reparieren, sie kann dafür sorgen, dass sich solche Gewalt nicht mehr wiederholt! Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, dann kracht alles ein. Dann bricht die ganze Gesellschaft zusammen…“

(vatican news)

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04. Juni 2019, 09:03