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Ukrainischer Caritaspräsident: „Der Krieg fordert täglich Opfer“

Im äußersten Osten der Ukraine tobt seit 2014 ein blutiger Krieg, der von der internationalen Staatengemeinschaft kaum noch beachtet wird. Dabei ist das alles andere als ein „eingefrorener“ Konflikt. Denn: „Dieser Krieg fordert bis heute täglich Opfer. Menschen sterben durch Minen oder werden erschossen.“ Das sagt der ukrainische Caritaspräsident Andrij Waskowycz im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress.

Bei einem Lokalaugenschein direkt an der Frontlinie zwischen der Ukraine und dem von „Separatisten“ kontrollierten Gebiet rund um Luhansk machte Waskowycz auf die humanitäre Katastrophe im Osten Europas nach sieben Jahren Krieg aufmerksam. Die Frontlinie quer durch die ostukrainischen Regionen („Oblaste“ genannt) Luhansk und Donezk, die verharmlosend „Kontaktlinie“ genannt wird, erstreckt sich über 430 Kilometer Länge. Die unmittelbar angrenzende Zone auf beiden Seiten wird „Pufferzone“ genannt. Ein Gebiet, in dem immer noch 600.000 Menschen leben müssen, vor allem Alte und auch viele Kinder.

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Eine stille Katastrophe

„Hier ereignet sich tagtäglich eine stille Katastrophe, die endlich wieder unsere Aufmerksamkeit braucht“, so Caritas-Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner bei dem Lokalaugenschein zusammen mit österreichischen Journalisten im Frontgebiet. „Es sterben zwar fast täglich Menschen, aber zynisch gesprochen sterben scheinbar einfach nicht genug, damit sich der Westen wieder für die Menschen hier interessiert“, so Schwertner wörtlich. Er zeigt sich vor allem vom Schicksal der Kinder betroffen, die im Kriegsgebiet aufwachsen müssen: „Zigtausende Kinder sind schwer traumatisiert und brauchen dringend Hilfe.“

In Staniza Luganska, wenige Kilometer von der von „Separatisten“ besetzten Stadt Luhansk entfernt, versuchen pro Tag zwischen 5.000 bis 15.000 Zivilisten die Frontlinie zu überqueren. Es handelt sich um einen von insgesamt fünf Übergängen an der gesamten Front. Insgesamt seien es an allen fünf Übergängen rund 30.000 Menschen pro Tag, die diese Linie überschreiten wollen, berichtete Waskowycz: „Die Leute aus den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten müssen herüberkommen, um sich hier ihre Pension abzuholen oder sich mit Lebensmitteln und anderen Produkten einzudecken.“ Die Versorgungslage in den Separatistengebieten sei äußerst schlecht „und was es gibt, ist sehr teuer“. Viele Zivilisten stünden freilich auch nur für Geschäftsleute im Separatistengebiet in der Schlange, kaufen in deren Auftrag auf der ukrainischen Seite Obst und andere Sachen, bringen es zurück und verdienen sich damit etwas Geld.

Stundenlange Kontrollen

Eigentlich ist es laut Caritaspräsident Waskowycz ein Sonderfall, „dass im Krieg eine Frontlinie so oft überquert wird und die Menschen die Verbindung zwischen den beiden Teilen so stark halten können.“ Dabei sei es sehr schwierig für die Zivilisten, von der einen auf die andere Seite zu gelangen. Über den örtlichen kleinen Fluss führt nur eine schmale Behelfsbrücke, insgesamt müssen die Menschen von der einen zur anderen Seite der Front rund einen Kilometer zu Fuß zurücklegen und sie werden dann auf beiden Seiten mehrmals vom ukrainischen Militär bzw. den Separatisten kontrolliert. Bei jedem Wetter, bei Kälte und Hitze müssen die Leute, darunter vor allem auch Alte und viele Behinderte, viele Stunden anstehen, bis sie alle Kontrollen geschafft haben.

Die Kinder seien schwer traumatisiert, so Schwertner von der Caritas Österreich. Sie bräuchten dringend mehr Hilfe. Doch die Mittel der Caritas seien begrenzt. Schon 2018 habe es weniger Spenden und vor allem auch weniger staatliche Mittel für die Hilfe in der Ukraine gegeben, zeigte sich Schwertner besorgt. Damit die Caritas 2019 alle ihre Vorhaben für die notleidende ukrainische Bevölkerung umsetzen kann, bräuchte es eine Million Euro. Schwertner: „Ich appelliere in diesem Zusammenhang auch dringend an die österreichische Bundesregierung, Mittel aus dem Auslandskatastrophenfonds für die notleidende Bevölkerung der Ukraine bereit zu stellen. Was sich hier abspielt, ist eine immense menschliche Katastrophe.“

Tagsüber eher ruhig, nachts wird geschossen

Der Übergang von Staniza Luganska lag in letzter Zeit nicht mehr unter Beschuss, ringsum kommt es freilich immer noch zu Kampfhandlungen. Laut Maxim Skripal, Sicherheitschef der Caritas-Ukraine, gab es allein in diesem Februar mehr als 60 Zwischenfälle. Unter Tags ist es meist ruhig. In der Dunkelheit wird dann geschossen. Die größte Gefahr geht derzeit von Scharfschützen aus, erzählt ein ukrainischer Soldat. Die würden in der Dunkelheit einfach in Richtung des Übergangs schießen. Deshalb ist die Passage auch nur von 7 bis 17 Uhr geöffnet. Wer es von den tausenden Menschen in diesem Zeitfenster nicht schafft, hat für diesen Tag Pech gehabt.

„Damit dürfen wir uns nicht abfinden“

Waskowycz zeigte sich gegenüber Kathpress skeptisch, dass es bald eine politische Lösung zur Beendigung des Konflikts in der Ostukraine geben wird. Die Konsequenz: „Die Leute werden weiter leiden. Und die Caritas wird sich weiter bemühen, so gut es geht zu helfen.“ Dabei konzentriert sich die Caritas in zahlreichen Projekten in der Region auf die traumatisierten Kinder und Erwachsenen. „600.000 Menschen müssen in dieser Pufferzone leben und sind tagtäglich mit dem Krieg konfrontiert.“ Jederzeit könne etwas passieren, und das bedeute enormen Stress für die Betroffenen, so der Caritaspräsident: „Sie wissen nicht, wann der Beschuss wieder losgeht und vor allem: Sie haben keine Perspektiven. Was macht das vor allem mit den vielen Kinder, die so aufwachsen? Damit dürfen wir uns nicht abfinden.“

Insgesamt sind laut Caritas 5,2 Millionen Menschen von den Wirren des Konflikts in der Ostukraine betroffen, 3,5 Millionen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen; davon sind laut Schätzungen 70 Prozent ältere Menschen, Kinder und Frauen. Mehr als 13.000 Tote hat der Krieg bereits gefordert, darunter rund 3.000 Zivilisten. 1,5 Millionen Ukrainer wurden zu Binnenflüchtlingen, mehr als 1,1 Millionen flohen ins Ausland.

(kap – mg)

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04. März 2019, 13:44