Eine Demonstration in Tunis erinnert an die friedliche Revolution vor genau acht Jahren Eine Demonstration in Tunis erinnert an die friedliche Revolution vor genau acht Jahren 

Tunesien: Acht Jahre Arabischer Frühling, eine gemischte Bilanz

Vor acht Jahren begann der Aufstand in Tunesien, der dann unter dem Etikett „Arabischer Frühling" oder „Arabellion" auch auf andere nordafrikanische und arabische Länder übergriff. Die Bilanz? So lala.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Dabei stand am Anfang ein handfester Erfolg: Die Proteste in Tunesien schlugen am 14. Januar 2011 Präsident Ben Ali in die Flucht. Seitdem gab es im Land freie Wahlen und eine fortschrittliche Verfassung mit einer beachtlichen Festschreibung der Rechte von Frauen.

Trotzdem bleiben die Probleme beträchtlich: Acht Prozent Inflation, dreißig Prozent Arbeitslosigkeit in den ärmeren Regionen, Monatsgehälter von durchschnittlich 140 Euro und ein Tourismus, der nach mehreren islamistischen Attentaten so gut wie zum Erliegen gekommen ist.

Nostalgie für den Diktator

„Trotz allem gibt es bei vielen Leuten noch viel Nostalgie für Ben Ali“, verrät uns der Erzbischof von Tunis, Ilario Antoniazzi. „Einfach, weil es damals mehr Arbeitsplätze und mehr Sicherheit gab.“ Das heutige Tunesien komme ihm wie ein „Land der Widersprüche“ vor.

Zum Nachhören

„In einigen Punkten ist das Land Vorreiter für den ganzen Maghreb und für viele arabische Staaten, und andere Punkte sind wiederum sehr problematisch. Zum Beispiel: Tunesien ist das einzige Land der arabischen Welt, in dem Frauen im Erb- und im Scheidungsrecht den Männern gleichgestellt sind und in dem eine Bürgermeisterin die Geschicke der Hauptstadt bestimmt. Auf der anderen Seite aber hat die Revolution eben nicht die gewünschten Ergebnisse gezeitigt: Es gibt mehr Armut, mehr Elend. Demokratie kann man eben nicht von außen aufoktroyieren, sie muss das Ergebnis eines längeren Weges sein.“

Zwei Selbstverbrennungen

Am 24. Dezember letzten Jahres hat sich ein junger Journalist aus Protest gegen die Behörden selbst angezündet – eine radikale Geste. Sie erinnert an den Straßenhändler Mohamed Bouazizi, der sich 2010 zur Ben-Ali-Zeit anzündete. Damals hatten die Massendemonstrationen eingesetzt, die den „Arabischen Frühling“ heraufführten.

Auch die jüngste Selbstverbrennung hat in Tunesien Demonstrationen und Unruhen ausgelöst. Erzbischof Ilario Antoniazzi sieht durchaus Analogien zwischen den zwei Verzweiflungstaten: der von 2010 und der vom letzten Dezember.

„Die Angst ist, dass alles wieder von vorne losgeht“

„Dieser Journalist hat ja, bevor er sich selbst anzündete, ein Video gedreht, in dem er das Motiv für seine extreme Tat angibt. Er sagte darin, dass der Süden Tunesiens mit seiner großen Armut von den Behörden völlig vernachlässigt werde. Im Süden gibt es schon seit einiger Zeit starke Proteste, und alle fürchten sich vor einer für den 17. Januar angekündigten Demonstration; an dem Tag wird es auch in ganz Tunesien einen Generalstreik geben. Die Angst ist, dass alles wieder von vorne losgeht. Sicher ist nur, dass die Zukunft nicht sehr hell aussieht. 2019 gibt es außerdem Präsidentschaftswahlen, und einige befürchten, dass dann ein Vertreter des extremistischen Islam ans Ruder gelangt. Dieses Jahr 2019 ist für uns alle ein großes Fragezeichen…“

Erzbischof hofft auf junge Leute und Frauen

2015 hat ein Kreis von vier Personen, der sich für einen nationalen Dialog in Tunesien einsetzte, den Friedensnobelpreis bekommen. Der Erzbischof hofft darauf, dass sich die dialogbereiten Kräfte im Land auf längere Sicht durchsetzen.

„Wenn es gelingt, sie auf die entsprechende Fährte zu setzen, dann werden es junge Leute und Frauen sein, die Tunesien zu einem demokratischen und friedlichen Übergang führen. Wenn nicht, dann wird’s gefährlich. Ich wohne an einem der großen Boulevards von Tunis. Wenn ich sehe, dass die Kaffeehäuser schon um sieben Uhr morgens voller junger Leute sind, die den ganzen Tag dort bleiben. Sie kommen und gehen und haben sonst nichts zu tun – so etwas macht mir Angst. Denn das sind junge Leute voller Energie, die gerne arbeiten würden, aber keine Stelle finden.“

Hilferuf übers Mittelmeer

Antoniazzi hofft, dass die Europäische Union sich stärker Tunesiens annimmt. Das Land ist schließlich auch einer der Hauptexporteure von islamistischen Terroristen; darum müsste man auf der anderen, europäischen Seite des Mittelmeers daran interessiert sein, dass das Land wieder auf die Beine kommt.

„Tunesien hat absolut nichts. Europa sollte in Tunesien investieren, denn von dort können positive, aber eben auch negative Ideen ausgehen, die im ganzen Maghreb Unheil anrichten können.“

(vatican news)
 

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14. Januar 2019, 14:20