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Ein Bild der Zerstörung in Brumadinho Ein Bild der Zerstörung in Brumadinho 

Dammbruch in Brasilien: Mehr als ein Unglück - ein Verbrechen

Es ist mehr als ein Unglück, es ist ein Verbrechen: Die Kirche und katholische Hilfswerke sind sich in ihrer Einordnung des Dammbruchs von Brumadinho in Brasilien einig. Auf über 80 Tote beläuft sich die vorläufige Bilanz, doch knapp 300 Menschen werden seit dem Bersten des Damms am vergangenen Freitag noch vermisst. Die Hoffnung, einen von ihnen lebend aus der Schlammwüste zu ziehen, schwindet stündlich, während der Schmerz und die Wut der Überlebenden wachsen.
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Christine Seuss - Vatikanstadt

„Es ist keine Tragödie, es ist ein Verbrechen“, unterstreicht Vicente Ferreira, der Weihbischof von Belo Horizonte, im Gespräch mit Vatican News. In seiner Erzdiözese liegt das Unglücksbergwerk, dieser Tage hatte er sich selbst ein Bild von der Lage gemacht. Der Name der Verantwortlichen sei in diesem Fall eindeutig, richtet der Weihbischof den Finger auf den Betreiberkonzern: „Vale, das größte Bergbauunternehmen der Welt und unseres Landes, das uns wieder einmal dieses Kreuz durchleben lässt, das den Tod von Hunderten von Arbeitern, Männern, Frauen, Kindern aus unserem Volk bedeutet, die bereits so sehr unter so vielen Ungerechtigkeiten leiden. Jetzt sind wir dabei, diese Brüder und Schwestern von uns, wenn möglich, zu begraben.“

Von Anfang an war die Kirche vor Ort präsent, mit Seelsorgern, Nothelfern und materieller Unterstützung, um den Menschen so schnell und effektiv wie möglich in dieser Tragödie beizustehen und auch den Dialog mit den Behörden voranzutreiben. Doch das Ziel sei es letztlich, dass Gewinnmaximierung nicht mehr vor Menschenleben gestellt werde, betont der Weihbischof:

„Für die Zukunft haben wir natürlich Forderungen. Im Einvernehmen mit unserem Erzbischof Dom Walmor wurden bereits die zuständigen Kräfte für einen ernsthaften Dialog über neue Überlegungen und neue Entscheidungen zum Bergbau in unserem Bundesstaat Minas Gerais und in unserem Land aktiviert. Die CNBB und die pastoralen Dienste, neben den öffentlichen, wirtschaftlichen und politischen Kräften, sind aufgerufen, diese traurige Seite unserer Geschichte zu ändern. Seit Jahrhunderten werden Müllreservoirs gegraben und Dämme mit Produkten geschaffen, die nicht nur unserer Natur, sondern auch unserem menschlichen Leben immensen Schaden zufügen. Deshalb (ist es notwendig), die Richtlinien zu ändern, die Gesetze neu zu gestalten und die Verantwortlichen auch zur Verantwortung zu ziehen! Es ist klar, dass wir unsere Natur erschließen können, das ist Teil unseres Überlebens, aber nicht auf diese gierige, egoistische Art und Weise, bei der nur wenige immens profitieren, die das Opfer von so vielen Menschenleben in Kauf nehmen.“

Adveniat befürchtet weitere Schäden

Wie dringlich die Problematik ist, zeigt auch die Tatsache, dass es erst vor drei Jahren zu einer ähnlichen Katastrophe kam. In Mariana, rund 120 Kilometer von der heutigen Unglücksstelle entfernt, war ein Damm gleicher Bauart gebrochen. Zwar gab es damals deutlich weniger Todesfälle zu beklagen; doch einer der wichtigsten Flüsse der Region wurde durch die Schadstoffe, die sich in dem geborstenen Rückhaltebecken gesammelt hatten, verseucht, zahlreiche Menschen verloren ihre Lebensgrundlage und warten bis heute auf Entschädigung. Ähnliches könnte auch im aktuellen Fall geschehen, zeigt sich der Brasilienreferent des katholischen Hilfswerkes Adveniat, Norbert Bolte, gegenüber Vatican News besorgt:

„Wir müssen befürchten, dass diese Schlammlawine, die am Freitag losgetreten worden ist, noch weitere Schäden anrichten wird. Sie wird in ein paar Tagen in einen großen Stausee fließen und von da aus wahrscheinlich in den Rio San Francisco, das ist der zweitwichtigste Fluss in Brasilien, und was dann dort angerichtet wird, kann man im Moment noch gar nicht absehen. Uns ist auch nicht bekannt, was in diesem Rückhaltebecken an Schadstoffen drin ist, das ist bis heute auch noch nicht klar in Bezug auf das Verbrechen in Mariana vor drei Jahren, da tappen viele noch im Dunkeln.“

„In Minas Gerais 22 weitere gefährdete Staudämme“

Grundsätzlich sei es leider zu beobachten, dass mangelnde Transparenz bei der „Aufarbeitung“ dieser Unglücke Strategie zu sein scheine, betont er: „Ich habe bei der Recherche zu diesem Thema herausgefunden, dass es in diesem Bundesstaat Minas Gerais, der reich an Bodenschätzen und etwa so groß wie Frankreich ist, eine Liste von 22 gefährdeten Dämmen ähnlicher Bauart gibt wie es der von Brumadinho war, der am vergangenen Freitag geborsten ist, aber auch derjenige, der vor drei Jahren in Mariana nachgegeben hat. Die brasilianische Presse spricht ferner davon, dass es in ganz Brasilien 55 Großdämme gibt, die alle von dieser Firma Vale betrieben werden.“

„Man müsste eigentlich stabilere Dämme bauen, das ist möglich, kostet aber mehr“

Hier müsse nun dringend nachgerüstet werden, fasst Bolte die Erwartungen der Adveniat-Projektpartner in Brasilien zusammen. In Chile beispielsweise seien Dämme nach der Bauart der Unglücksdämme bereits verboten.

„Man müsste eigentlich stabilere Dämme bauen, das ist möglich, kostet aber mehr und würde letztlich unter anderem dazu führen, dass Autos in Deutschland teurer würden wie andere Dinge auch, die durch Eisenerz aus Brasilien hergestellt werden.“

„Die Fakten müssen auf den Tisch und auf der Grundlage der Fakten müssten den Betroffenen angemessene Entschädigungen bezahlt werden“

Doch auch der Bereich der Justiz und Strafverfolgung lasse bislang deutlich zu wünschen übrig, denn die faktische Straflosigkeit für Verbrechen dieser Art schaffe keinerlei Anreize, für eine Verbesserung der Situation zu sorgen.

„Hier erwarten die Betroffenen und ihre Sprecher klare Aufklärung und Transparenz, die Fakten müssen auf den Tisch und auf der Grundlage der Fakten müssten den Betroffenen angemessene Entschädigungen bezahlt werden, damit wenigstens eine materielle Gutmachung geschieht. Von den immateriellen Schäden kann man momentan nur schweigen, immerhin gibt es vor Ort alle Anstrengungen, Seelsorger, Polizei und Feuerwehr sind im Einsatz, dennoch wird die Bevölkerung sicherlich noch über Jahre und Jahrzehnte traumatisiert bleiben.“

Enge Verwicklung auch deutscher Konzerne

Unterdessen konzentrieren sich die Untersuchungen auf den Konzern, der das Bergwerk betreibt, fünf Verdächtige wurden bisher festgenommen. Zwei davon sind Mitarbeiter der deutschen Firma TÜV-Süd, die in Brasilien einen großen Ableger betreibt: Erst im vergangenen September hatte der TÜV den geborstenen Damm geprüft und keine Mängel beanstandet. Gerade am Beispiel des Verbrechens von Brumadinho könne man sehr deutlich sehen, wie eng die Verwicklung auch deutscher Firmen sei, betont Bolte:

„Zum einen ist der Damm, um den es hier geht, ursprünglich von der Firma Thyssen Krupp gebaut worden, Mitte der 70-er Jahre, als diese Eigentümerin des Rückhaltebeckens und auch der zugehörigen Mine war. Hinzu kommt, dass die Deutsche Bank weiterhin Kredite an die Großfirma Vale gibt, die Betreiberin des Staudamms und der Mine ist, ohne irgendwelche Entschädigungsauflagen damit zu verbinden. Ferner kommt hinzu, dass auch deutsche Versicherer und Rückversicherungen bei den Haftpflichtrisiken der Firma Vale involviert sind. Im konkreten Fall von Mariana war es so, dass der Firma Schäden bezahlt wurden, die entstanden sind, die sind aber keineswegs verbunden worden mit einer Entschädigung der damals betroffenen Bevölkerung.“

„Auch wir sind verwickelt in Verbrechen, wie sie in Brumadinho und an anderen Orten passieren.“

Deutschland ist ein wichtiger Kunde für den Großkonzern Vale: 50 Prozent des hierzulande benötigten Eisenerzes werden aus Brasilien importiert, ganz vorne dabei beim Geschäft ist Brasiliens größter Minenbetreiber Vale, der allein 2017 einen Umsatz von 34 Milliarden Dollar einfuhr, 74.000 Angestellte beschäftigt und 35 Prozent des Weltmarktumsatzes von Eisenerz verantwortet. Natürlich müsse man sich in diesem Zusammenhang fragen lassen, inwieweit der internationale Preiskampf an den Umständen in Brasilien beteiligt sei:

„Dass unsere Autos hier in Deutschland nicht mehr kosten als sie tatsächlich gehandelt werden, liegt auch daran, dass wir so billigen Stahl oder Stahlbleche importieren oder hier produzieren – und die werden deshalb so billig produziert, weil an anderer Stelle Kosten sozialer und ökologischer Natur entstehen. Da hängt das eine mit dem anderen zusammen, auch wir sind verwickelt in Verbrechen, wie sie in Brumadinho und an anderen Orten passieren.“

(vatican news)

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31. Januar 2019, 11:59