Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak zu Konstruktion und Kritik des UNO-Migrationspakts Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak zu Konstruktion und Kritik des UNO-Migrationspakts 

Migrationspakt: Abschreckendes Beispiel Australien

Die Lösung der Migrationskrise liegt auf der Hand: Weniger Menschen sollten gezwungen sein zu migrieren, weniger Waffen sollten geliefert werden, fairerer Handel und mehr Entwicklungshilfe sollten sichergestellt werden. All das steht im UNO-Migrationspakt, der kommende Woche unterzeichnet wird. Warum aber scheren zwei so unterschiedliche und weit voneinander entfernt liegende Staaten wie Österreich und Australien aus dem UNO-Migrationspakt aus?

Christina Höfferer - Vatikanstadt

Manfred Nowak ist wissenschaftlicher Direktor am Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte in Wien und Generalsekretär des European Interuniversity Centre for Human Rights and Democratisation (EIUC) in Venedig. In unserem Interview macht er die Zusammenhänge zwischen Migration und Menschenrechten deutlich.

Vatican News: Der Vatikan ist für eine Unterzeichnung des Migrationspaktes, aber Australien will nicht unterzeichnen, und Österreich sagt schon seit langem, dass es nicht dabei ist. Was hat es jetzt auf sich mit diesem Migrationspakt?

Manfred Nowak über den Sinn des Migrationspakts, Fake News und Kritik am Pakt

Manfred Nowak: Der globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration ist ein politisches Dokument, kein rechtlich bindendes, das alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen gemeinsam in einem sehr transparenten Prozess über Jahre hinweg ausgearbeitet haben, um die Migration zu regeln, die ja besteht, ob wir das wollen oder nicht: Es gab sie immer in der Geschichte der Menschheit, es gibt sie heute und es wird sie in Zukunft geben!

Das heißt, die große Herausforderung ist: Wie können wir Migration in geordnete Bahnen bringen, wie können wir sie managen in einer Art und Weise, dass Menschen sich nicht dazu veranlasst sehen, sich in die Hände von Schlepperorganisationen zu begeben, die sie dann in nicht sehr seetüchtigen Booten ins Mittelmeer schicken, wo so viele tausend Menschen ertrunken sind, oder die durch die Sahara wandern und dort umkommen, oder von Schleppern umgebracht werden oder von Organhändlern? Im UN-Pakt geht es darum zu überlegen, wie können wir die Migration an der Wurzel bekämpfen. Niemand gibt freiwillig und leichten Herzens seine Heimat auf! Wenn sie dort eine menschenwürdige Existenz haben, dann bleiben sie in der Regel auch.

Vatican News: Flüchtlinge sind ja nur Personen, die selbst direkt aus rassischen, religiösen oder sonstigen Gründen verfolgt wurden. Aber schon sogenannte Kriegsflüchtlinge fallen nicht unter den Begriff Flüchtling im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention.

Manfred Nowak: Das heißt, das sind auch Migranten. Oder Menschen, die durch den Klimawandel zunehmend in eine Situation kommen, wo sie sich nicht mehr ernähren können und ihre Heimat verlassen müssen, Armutsflüchtlinge, all das sind Migranten. Sie haben sehr gute Gründe, warum sie versuchen, ihre Heimat zu verlassen. Wir sollten versuchen, diese Gründe zu reduzieren. Das heißt, weniger Waffen liefern in den Jemen oder in Länder wie Syrien, wo Menschen vor dem Krieg weglaufen. Wir sollten durch bessere Handelsbeziehungen, Fair Trade, verstärkte Entwicklungszusammenarbeit die Armut bekämpfen, so dass die Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben können. Wir sollten, wenn dort massive Unterdrückung ist, Menschenrechtsverletzungen, alles daransetzen, um die Menschenrechtssituation in diesen Ländern so zu verbessern, dass die Menschen bleiben wollen.

Vatican News: Welche Maßnahmen sollten also ergriffen werden?

Manfred Nowak: Das eine ist, man sollte versuchen, dass weniger Menschen sich gezwungen sehen zu migrieren. Zweitens sollte man natürlich, und das steht auch ganz deutlich im Migrationspakt, die Schlepperei und den Menschenhandel bekämpfen, der hier ja eine ganz wesentliche Rolle spielt. Drittens sollten wir auch, wenn Menschen nach Europa oder in andere, reichere Länder kommen, ihnen die Möglichkeit dazu geben - auf eine geordnete Art und Weise. Kein Mensch sagt, dass Europa alle Menschen, die aus Afrika, die aus dem Krieg wollen, aufnehmen kann. Aber wir müssen ihnen einen geordneten Weg ermöglichen, so dass sie eben nicht als illegale Migranten auf sehr gefährlichen Weg nach Europa kommen, sondern dass man sich überlegt: Wie viele Menschen wollen wir aufnehmen, wie viele Menschen brauchen wir?

„Kein Staat kann mehr alleine Migration managen“

Vatican News: Wir sind ein schrumpfender Kontinent. Das spielt ja auch eine Rolle beim Thema Flucht und Migration...

Manfred Nowak: Alle Demographen können uns genau ausrechnen, wieviel Migration wir brauchen bis ins Jahr 2030 zum Beispiel. Und dann überlegt man sich, wie viele davon sind Flüchtlinge, und welche Berufsgruppen wollen wir gerne nach Europa kommen lassen, die ja auch für die Wirtschaft eine ganz wesentliche Rolle spielen. Das heißt, die Möglichkeit der Migration ist nicht, die Migration zu verstärken, wie von den Gegnern immer wieder gesagt wird, sondern denjenigen, die migrieren wollen, auch eine rechtmäßige, geordnete, reguläre Migration zu ermöglichen. Und wenn sie dann hier sind, auch sicherstellen, dass sie Zugang zu Grundleistungen bekommen, dass die Kinder in die Schule gehen können, Menschen ins Gesundheitssystem integriert werden, dass sie generell dann, wenn sie hier sind, auch in den Arbeitsmarkt integriert werden und nicht ausgebeutet. Da denke ich jetzt zum Beispiel an die arabische Welt, die Vereinigten Arabischen Emirate und so weiter, wo Migranten die gesamte Arbeit machen, aber fürchterlich ausgebeutet werden.

Vatican News: Wie ist diese Lage zu handhaben?

Manfred Nowak: Kein Staat kann mehr alleine Migration managen. Das geht nur auf europäischer Ebene, aber am besten auf globaler Ebene, zu sehen, wo sind die größten Migrationsströme, was können wir dagegen tun. Wenn die Leute kommen - wie können wir sie auf möglichst gerechte und faire Art und Weise auf die reichen Länder, wohin sie eben wollen, auch verteilen? Auch das ist eine wichtige Form der internationalen Zusammenarbeit und globaler Partnerschaft für eine sichere und geordnete Migration.

Vatican News: Das klingt ja alles ganz vernünftig, wenn Sie sagen, weniger Menschen sollen gezwungen sein zu migrieren, weniger Waffen liefern, besserer Handel, mehr Entwicklungshilfe. Aber warum haben jetzt zwei Staaten auf beiden Seiten des Globus, wie Österreich und Australien in letzter Sekunde so eine Hysterie entwickelt und wollen jetzt unbedingt wieder raus aus diesem Pakt?

„Reiner Populismus, viele Fake News“

Manfred Nowak: Das ist eine sehr gute Frage, und es gibt eine einfache Antwort darauf: Das ist reiner Populismus. Der hat begonnen mit der Regierung Trump, die ja schon während der Ausarbeitung des Migrationspaktes dann plötzlich die Kooperation eingestellt und von vornherein gesagt hat, sie mache da nicht mehr mit. Da sind sehr viele Fake News. Es wurden viele falsche Informationen über den Migrationspakt verbreitet, als zweiter ist dann Herr Orban für Ungarn ausgeschert, von dem wir ja wissen, dass er, obwohl Ungarn ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, sehr sehr stark die Demokratie, die Menschenrechte und den Rechtsstaat in Ungarn ausgehöhlt hat und nicht bereit war, selbst bindende Beschlüsse der Europäischen Union für eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen einzuhalten. Er hat also EU-Recht verletzt, einen Stacheldraht um sein Land gebaut. Das ist keine sinnvolle Art und Weise, wie man mit Migration und Flüchtlingen umgeht.

Leider muss ich jetzt sagen: Als Österreicher bin ich sehr, sehr enttäuscht von der österreichischen Regierung, dass sie sich auf Druck der FPÖ, die sich hier wirklich nur aus rein innenpolitischem Kalkül wiederum mit dem Thema der Migranten politisches Kleingeld einhandeln will, außerhalb der Weltgemeinschaft gestellt hat. Sie ist in der schlechtesten Gesellschaft. Wenn man in einem Atemzug mit Donald Trump und Viktor Orban genannt wird, dann ist man nicht in einer guten Gesellschaft... dann hat Polen dasselbe gemacht. Polen und Ungarn sind die beiden Außenseiterländer, gegen die ja die Europäische Kommission auch rechtliche Verfahren eingeleitet hat, weil sie die Grundwerte der Europäischen Union wie Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat in Frage stellen, aber Sebastian Kurz hat durchaus damit spekuliert und gehofft, dass, wenn er diesen Schritt setzt und noch dazu als derzeitige Präsidentschaft der Europäischen Union, dann würden andere Länder auch Westeuropas folgen. Das hat sich bisher nicht bewahrheitet.

Auch in Deutschland ist eine Diskussion ausgebrochen, aber Angela Merkel hat ganz klar gesagt, sie wird den Migrationspakt unterzeichnen. Dasselbe war in Belgien, da gab es auch Überlegungen. Aber als Macron gesagt hat, sie werden unterzeichnen, hat auch Belgien gesagt, ja sie werden unterzeichnen. Zu Australien muss ich leider sagen, dass es, obwohl es ein Land mit einem hohen Menschenrechtsstandard ist, in den letzten Jahren ein extrem restriktive Flüchtlings- und Migrationspolitik eingeschlagen hat, die ja sogar dazu führt, dass Migrantinnen und Migranten menschenrechtswidrig für viele Jahre interniert werden. Wir sollten uns nicht, wie Herr Kurz einmal gesagt hat, Australien zum Vorbild nehmen. Nein. Australien ist ein ganz abschreckendes Beispiel!

(vatican news)

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07. Dezember 2018, 10:20