Olivier Savignac Olivier Savignac 

Frankreich: Bischöfe sprechen mit Missbrauchs-Opfern

Eine bedrückende, aber notwendige Premiere: Zum ersten Mal haben die französischen Bischöfe bei einer Vollversammlung mit Überlebenden von sexuellem Missbrauch gesprochen.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Im Marienwallfahrtsort Lourdes, wo die Bischöfe regelmäßig tagen, ergriffen acht Opfer das Wort. „In jeder Gruppe waren dreißig bis vierzig Bischöfe“, berichtet Olivier Savignac im Gespräch mit Vatican News; „wir haben vier Gruppen gebildet, in jeder von ihr waren zwei Missbrauchsopfer. Das Klima war sehr respektvoll, das kann ich aus meiner Gruppe sagen; es wurde sehr intensiv zugehört, man konnte sich wirklich aussprechen.“

Doch, die Bischöfe hätten die Opfer „sehr gut aufgenommen“. „Aber wir haben ihnen klar gesagt, dass wir von ihnen nicht nur Zuhören erwarten, sondern Taten! Die Bischöfe tragen große Verantwortung angesichts eines Erdbebens, das die ganze Kirche erschüttert wie noch nie zuvor, darum ging es uns darum, die Wahrheit ehrlich auszusprechen.“

Die strukturellen Probleme angehen

Der 38-jährige Savignac, heute Familienvater, ist von einem Priester sexuell missbraucht worden, als er 13 Jahre alt war. Der Täter, der Priester Pierre de Castelet, ist vor einer Woche in Orleans zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

Sie hätten den Bischöfen keine Vorwürfe gemacht, aber sie doch eindringlich dazu aufgerufen, kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen gegen Missbrauch zu ergreifen. „Denn wenn die Kirche heute nicht aus dieser Krise herauskommt – ich glaube, der einzige Ausweg liegt wirklich darin, dass die einzelnen Bistümer, vielleicht von der Bischofskonferenz koordiniert, die Geißel des Missbrauchs ausrotten, indem sie die strukturellen Probleme angehen. Die Kirche muss in den einzelnen Bistümern die Demut aufbringen, sich an Experten zu wenden, die sie begleiten.“

„Da gibt es unter den Bischöfen noch einen Graben…“

Eigentlich hatten die Missbrauchsopfer gewünscht, vor dem Plenum der Bischofskonferenz aufzutreten; um den Ablauf gab es ein bisschen Hickhack, dann einigte man sich auf das Modell der vier Gruppen. An ihnen nahmen alle Bischöfe teil, auch Kardinal Philippe Barbarin von Lyon, dem Vertuschung von Missbrauchsfällen vorgeworfen wird.

Ob die französischen Bischöfe angesichts ihrer Begegnung mit Missbrauchsopfern umgedacht haben? Es sei noch zu früh, darauf zu antworten, sagt Savignac. „Ich glaube, da gibt es unter den Bischöfen noch einen Graben – die haben ja nicht alle dasselbe Alter, dieselbe Erziehung, denselben Blick auf die Dinge. Wenn es uns gelungen sein sollte, zwanzig oder dreißig Bischöfe zu überzeugen, dann wäre das für uns schon ein Gewinn – wenn die dann einsteigen in den Kampf, der in erster Linie ein Kampf für die Opfer ist. Ob das dann immer weiter um sich greift? Ich glaube, wir sind da auf einem guten Weg.“

Opfer dürfen nicht in ihr Trauma eingeschlossen bleiben

Wie auch Papst Franziskus ist Savignac davon überzeugt, dass die Bekämpfung von Missbrauch nicht nur Kleriker etwas angeht, sondern auch die Laien. „Die Laien haben unsichtbare Loyalitäten: das Prinzip des Geheimnisses in der Familie, des Geheimnisses in der Kirche. Das hat über Jahrzehnte ein offenes Wort verhindert. Leute, die etwas wussten, haben deshalb geschwiegen. Dabei bestünde die erste Christen- und Bürgerpflicht darin, den Mund aufzumachen! Denn die Opfer leiden wirklich sehr. Und ich denke da nicht nur an Opfer, die vor kurzem missbraucht wurden, sondern auch an Menschen, die heute sechzig, siebzig, achtzig Jahre alt sind. Und die nach so langer Zeit – vielleicht sogar fünfzig, sechzig Jahre! – auf einmal aus dem Schweigen herauskommen… Offen sprechen können, das ist eine Christenpflicht. Man kann doch als Christ nicht akzeptieren, dass Opfer in ihr Trauma eingeschlossen bleiben!“

Die französischen Bischöfe denken, mit einem Seitenblick auf Deutschland, an die Einsetzung einer Kommission, um die Missbrauchsskandale der letzten Jahrzehnte wissenschaftlich aufzuarbeiten. Eine parlamentarische Untersuchungskommission, wie eine katholische Zeitschrift sie angeregt hatte, wollen die Bischöfe nicht.

Eine Erklärung der Bischofskonferenz spricht von 433 Hinweisen auf Missbrauch seit dem Jahr 2010. 212 von ihnen seien an die Staatsanwaltschaften übermittelt worden. In 36 Fällen habe es Ermittlungsverfahren gegeben; 13 Geistliche sitzen nach Angaben der Statistik derzeit in Haft.

(vatican news)
 

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05. November 2018, 12:27