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Formell hat die aktuelle Regierung die Kandidatur zurückgezogen, doch diese Entscheidung liegt auch ganz auf seiner Linie: Der designierte Präsident Brasiliens Jair Bolsonaro Formell hat die aktuelle Regierung die Kandidatur zurückgezogen, doch diese Entscheidung liegt auch ganz auf seiner Linie: Der designierte Präsident Brasiliens Jair Bolsonaro 

Misereor in Sorge über Brasiliens Absage der COP25-Ausrichtung

Die Klimakonferenz COP24 im polnischen Kattowitz startet an diesem Montag mit einer schweren Hypothek: Der designierte Gastgeber für die Konferenz im kommenden Jahr, Brasilien, hat seine Kandidatur für die Ausrichtung kurzfristig zurückgenommen. Was diese Entscheidung bedeutet, haben wir die Referentin für Klimaschutz und Entwicklung des Hilfswerkes Misereor gefragt.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Am vergangenen Mittwoch hat das Außenministerium mitgeteilt, dass das Land die für Ende 2019 geplante Konferenz nicht organisieren könne. Anika Schröder ist Referentin für Klimaschutz und Entwicklung des katholischen Hilfswerkes Misereor. Sie unterstreicht im Gespräch mit Vatican News die Bedeutung, die der Gastgeberrolle bei der Klimakonferenz zukommt: 

„Man muss in diesem Zusammenhang wissen, dass die Gastgeberrolle sich nicht allein darin erschöpft, die Verhandlungen ins eigene Land zu holen, sondern dass die Gastgeber einer Klimaverhandlung auch diejenigen sind, die die diplomatische Leitung der Verhandlungsrunde übernehmen,“ so die Expertin.

„Ich bin mir sicher, dass die diplomatischen Drähte jetzt heiß laufen, um ein neues Land zu bestimmen“

„Insofern ist das eine sehr wichtige Rolle, die man nicht kleinreden kann. Normalerweise wird diese Rolle bei den Klimaverhandlungen im Vorjahr festgelegt, und dann gibt es eine offizielle Stabübergabe. Die Gastgeber des Vorjahres und des Folgejahres arbeiten in der Übergangsphase auch zusammen, um die Zwischenverhandlungen zu gestalten und zu begleiten. Insofern ist es sehr wichtig, dass jetzt relativ schnell ein neuer Gastgeber bestimmt wird. Turnusgemäß wird das ein lateinamerikanisches Land sein, und ich bin mir sicher, dass die diplomatischen Drähte jetzt heiß laufen, um ein neues Land zu bestimmen.“

„Unsere Partner werten die Absage als klares Signal, dass die kommende Regierung keinerlei Bereitschaft zeigt, sich international für Klima, für Umwelt und für Menschenrechte einzusetzen“

Am Mittwoch letzter Woche wurde bekannt, dass Brasilien COP25 entgegen der ursprünglich signalisierten Bereitschaft nicht ausrichten will. Haushaltszwänge und die Übergabe der Regierungsgeschäfte an Bolsonaro, der mit seiner Regierung im kommenden Januar die Zügel in Brasilien übernimmt, seien die Gründe für die Absage, hieß es lapidar aus dem brasilianischen Außenministerium.

„Unsere Partner hingegen werten die Absage als klares Signal, dass die kommende Regierung keinerlei Bereitschaft zeigt, sich international für Klima, für Umwelt und für Menschenrechte einzusetzen,“ sagt Schröder. „Und das steht ja auch in einer Linie damit, was Bolsonaro bereits im Wahlkampf angekündigt hat, nämlich dass er das Pariser Klimaabkommen aufkündigen will, was bisher allerdings noch nicht passiert ist und wahrscheinlich auch nicht mehr stattfinden wird.“

Denn nach markigen Ankündigungen, dass auch Brasilien sich nach dem Beispiel der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ausklinken wolle, folgte nun eine Relativierung: Nur wenn die „nationale Souveränität eingeschränkt“ werde, wolle man aus dem Vertrag aussteigen, hieß es zuletzt aus dem Lager Bolsonaros. Ein Rückzug vom Rückzug also, für den zuletzt wohl wirtschaftliche Interessen ausschlaggebend sind.

„Die Überlassung der Natur und der Menschenrechte an Agrar- und Rohstoff-Multis wird jetzt einfach nur offizielles Regierungsprogramm“

Allerdings dürfe man sich auch angesichts der aktuellen Empörung über die kurzfristige Verabschiedung Brasiliens von der Ausrichtung der nächsten Klimakonferenz „nichts vormachen“, mahnt Schröder. Denn diese Absage stehe nicht nur ganz auf einer Linie mit Bolsonaros Politik, sondern sei vielmehr Ausdruck eines Prozesses, der schon viel früher begonnen habe: „Spätestens mit der Regierung Temer. Und der wird jetzt einfach nur offen und ehrlich offizielles Regierungsprogramm, nämlich die Überlassung der Natur und der Menschenrechte an Agrar- und Rohstoff-Multis… Man hat ja jetzt schon gesehen, dass die Aussicht auf Straffreiheit im Fall von Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstößen dazu geführt hat, dass die Abholzungsraten in Amazonien massiv in die Höhe gegangen sind.“

Auch in der jetzigen Regierung werde derartiges Verhalten wenig öffentlich verurteilt, geschweige denn verfolgt, gibt Schröder zu bedenken. Dementsprechend sei der Übergang zu einer neuen Regierung zwar Fakt, doch die kritische Haltung den Klimaverhandlungen und dem Umweltschutz insgesamt gegenüber sei „nichts Neues“: „Insofern ist das sicher auch gemeinsam beschlossen worden“, so die Analyse Schröders.

„Menschenrechtsvereinigungen setzen ihe Hoffnung jetzt auf die Amazonassynode im Vatikan“

Große Enttäuschung habe die Absage jedenfalls bei Menschenrechtsbewegungen im Land ausgelöst, betont die Miseoreor-Referentin. Denn diese hätten mit der Klimakonferenz die Hoffnung verbunden, innerhalb des eigenen Landes für ihre Anliegen zu werben und Unterstützer aus anderen Reihen zu finden. Damit verbunden die Hoffnung, zunehmenden Druck auf die brasilianische Regierung aufzubauen, erläutert die Expertin. „Diese Gelegenheit entfällt jetzt natürlich, und umso mehr Hoffnung setzen sie auf die große Amazonassynode, die im nächsten Jahr im Vatikan stattfinden soll.“

„Diese Bildungsfunktion, die durch die Amazonassynode innerhalb der brasilianischen Gesellschaft entstehen kann, ist sicherlich nicht zu unterschätzen“

Ob die Hoffnung der Menschenrechtler gerechtfertigt ist, dass sich mit der Amazonassynode tatsächlich positive Auswirkungen auf die Situation im Land erreichen lassen, sei „extrem schwierig“ zu beantworten, so die Expertin für Klimaschutz und Entwicklung. Allerdings könnten die Synode selbst und der damit verbundene Prozess im Vor- und Nachfeld „wichtige Signale“ sein und vor allem die Zivilgesellschaft in Brasilien neu motivieren, sich für Klimaschutz und Menschenrechte einzusetzen, meint Schröder. Dazu gehöre auch, noch einmal dafür werben, die Amazonasregion nicht nur unter dem Aspekt von Natur-, sondern auch von Menschenschutz zur Kenntnis zu nehmen.

„Also diese Bildungsfunktion, die darüber innerhalb der brasilianischen Gesellschaft entstehen kann, ist sicherlich nicht zu unterschätzen. Ob das wiederum dazu führt, dass die brasilianische Regierung ihr Verhalten ändert, ist eine Frage, die ich nicht zu beantworten vermag, aber wir hoffen schon, dass sie an dem Stimmungsbild innerhalb der neuen Regierung gegenüber der Politik Bolsonaros etwas ändern kann.“

Die Absage der Gastgeberschaft für das kommende Jahr werde die Verhandlungen von Kattowitz jedenfalls massiv beeinflussen, gesteht die Expertin ein. 

„Wenn die Brasilianer ausscheiden, dann sollte mein Staat die Klimaziele vielleicht auch noch einmal überdenken und keineswegs erhöhen“

„Ich fange mal mit den negativen Aspekten an. Brasilien ist ja nach den USA die zweite Regierung, wo eine Wende zur Leugnung des Klimawandels vollzogen worden ist. Bisher haben ja die US-amerikanischen Entwicklungen eher zu einem Jetzt-erst-recht geführt. Fraglich ist, ob das weitere Ausscheiden von Brasilien aus der Spitze der Klimadiplomatie dazu führt, dass diese Rhetorik weitergeführt wird oder ob andere Regierungen, die sowieso skeptisch sind oder in denen noch viele Beharrungskräfte vorherrschen, nicht auch sagen: Wenn die Brasilianer ausscheiden, dann sollte mein Staat die Klimaziele vielleicht auch noch einmal überdenken und keineswegs erhöhen. Und das wird die Atmosphäre in Kattowitz natürlich massiv vernebeln. Und das ist sicherlich nicht unwichtig für das Verhandlungsklima und die Erfolgsaussichten.“

Mehr noch: „Ich hatte schon erwähnt, dass die Gastgeber die Klimakonferenzen auch leiten und damit sehr großen Anteil am Erfolg oder Misserfolg einer Verhandlungsrunde haben. Brasilien war grundsätzlich ein Akteur, der viel Potential hat. Denn in den vergangenen 20 Jahren haben sie mit sehr großen Delegationen und sehr guten Fachkenntnissen und Kontakten agiert.“

„Vielleicht hätten die brasilianischen Verhandlungsführer Order von oben bekommen, die Konferenz auf ungute Gleise zu setzen“

Doch in der jetzigen Situation sei es völlig offen, ob diese Fachkräfte im nächsten Jahr überhaupt mit dabei sein werden, so Schröder. Sie denkt da an Bolsonaros Wahlversprechen, das Umweltministerium ganz abzuschaffen. „Und vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob diese Fachkräfte überhaupt noch bleiben - und sicher ist auch offen, ob sie dann nicht von oben die Order bekommen, die Klimaverhandlungen auf ein ungutes Gleis zu setzen.“

Insofern könne die Absage der alten Regierung an die Klimaverhandlung jetzt dazu führen, dass eine viel ambitioniertere Verhandlungsführung das Ruder übernehmen werde, zeigt sich Schröder hoffnungsvoll. Da scheint also doch auch ein möglicher positiver Effekt auf.

„Wer das sein wird, ist offen: Klar ist, dass die lateinamerikanischen Regierungen eine große Aufgabe haben, diese neue Gastgeberschaft auszuloten, weil normalerweise die großen Marktwirtschaften in Frage kommen. Allerdings waren Mexiko und Peru erst dran, und Argentinien kämpft gerade mit dem G20-Gipfel. Deshalb sucht man eher unter den kleineren Ländern nach einem neuen Gastgeber.“

(vatican news)

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30. November 2018, 17:09