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Papst Franziskus bei seinem Besuch in der römischen Synagoge mit Oberrabbiner Riccardo Di Segni Papst Franziskus bei seinem Besuch in der römischen Synagoge mit Oberrabbiner Riccardo Di Segni 

Shoah in Rom: Gedenken wir Gemeinsam

In Rom findet die Woche der Erinnerung an die Deportation der römischen Juden statt, die ihren schrecklichen Höhepunkt vor 75 Jahren fand, am 16. Oktober 1943. Am Sonntag gibt es eine Gedenkveranstaltung und einen Trauermarsch im Ghetto.

Den Trauermarsch organisiert die Gemeinschaft Sant’Egidio.

Christina Höfferer - Vatikanstadt

Die Gründer des Vereins „Gedenken wir gemeinsam“ sind das aus Deutschland stammende und in Rom lebende Ehepaar Friederike und Tobias Wallbrecher. Ausschlaggebend für ihr Engagement war die Begegnung mit den drei jüdischen römischen Schwestern Grazia, Rivka und Sara Spizzichino in einem Kartuschenladen in Rom. Der Name Spizzichino fiel den Wallbrechers auf. Er erinnerte sie an den Namen der einzigen Frau, die die Deportation vom 16. Oktober 1943 aus Rom überlebt hatte: Settimia Spizzichino.

Friederike Wallbrecher erinnert sich: „Wir sind Großnichten dieser Frau, sagte mir Grazia, und so entspann sich beim Kartuschenkauf ein immer intensiveres Gespräch, das uns dann dahin führte, dass wir vor gut sechs Jahren beschlossen, gemeinsam im Oktober je zwei Gedenkveranstaltungen zu organisieren. Eine vor und eine nach dem 16. Oktober. Unsere Freundschaft ist gewachsen und wir staunen jedes Jahr, welch positiver Geist aus unserem Ringen um ein angemessenes Gedenken bei unseren Veranstaltungen entsteht.“

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Tausend Schritte

Jedes Jahr werden es mehr, vor allem Christen und Juden, die der Einladung Folge leisten und sich an dem Trauermarsch beteiligen, erzählt Tobias Wallbrecher: „Wir versammeln uns auf dem Petersplatz, nahe des Obelisken, danach gehen wir zu den Kolonnaden Richtung Glaubenskongregation." Von dieser Stelle aus sind es noch genau tausend Schritte durch den dunklen, stickigen, unangenehmen Tunnel Richtung Tiber, den es auch schon 1943 gab. Erleichtert tritt man dann in die Sonne und biegt nach rechts ab. Noch 200 Schritte zum Palazzo Salviati, wo die über tausend Juden zusammengepfercht und brutal festgehalten wurden.

Kinder der Shoah und Kinder der Nazis

Für die Gedenkbegegnung am Sonntag bereitet die Familie Wallbrecher einen Saal vor, in dem alle Gäste sich angenehm daheim fühlen sollen. Positiven, tröstlichen Glanz soll der Raum ausstrahlen, mit Lampen , Teppichen und Blumenschmuck und musikalischer Untermalung durch die Band des Gitarrenlehrers der Kinder der Familie. Die Band ist jüdisch-christlich, der Schlagzeuger ist Jude, Enkel eines neapolitanischen Rabbiners. Der ehemalige Oberrabbiner von Florenz, Rav Joseph Levi, wird in den Dokumentarfilm von Israel Cesare Moscati „Auf der Suche nach den Wurzeln des Bösen“ einführen, ein Film, der Kinder der Shoah, und Kinder und Enkel der Nazis einander begegnen lässt.

„Meine Mutter, 80jährig aus Berlin, Frau eines bekannten Neutestamentlers, Rudolf Pesch,“ erzählt Friederike Wallbrecher, „wird ihre Erkenntnisse über ihre eigene Familie während der Nazi-Diktatur schildern. Danach hören wir ein Stück Akkordeon-Musik, und nach einem koscheren Mittagessen werden wir von einem Laienorchester, in dem Rifka Spizzichino Geige spielt, mehrere Stücke hören. Dann werden Spizzichinos uns ihren Video-Still „Wieviel Erinnerung muss denn noch sein?“ vorstellen. Eine Hand schreibt jeden einzelnen Namen der Opfer, wischt diesen wieder weg. Der Film wird rückwärts projiziert, sodass der Name sekundenlang entsteht und dann wieder verschwindet. Währenddessen hören wir vier Zeugen, die aus ihrer persönlichen Familiengeschichte berichten.“

Nostra Aetate

Als die Familie Wallbrecher vor vielen Jahren aus Deutschland nach Rom zog, stellte sich ihnen die brennende Frage, was die Shoah für die katholische Kirche bedeute? Fast alle Wächter und sonstigen Handlanger in den Konzentrationslagern wurden als Kinder getauft und wuchsen in einem christlichen Umfeld auf. Wie konnte ihr Gewissen so abgestumpft werden? Diese Frage wach zu halten bewegt Friederike und Tobias Wallbrecher bis heute und treibt sie zum Handeln im Zeichen des Gedächtnisses an, so Tobias Wallbrecher: „Im Erschrecken über die Shoah erkannte die Kirche, dass sie umdenken, ja neu denken musste, was die Juden betrifft, und legte ihre Einsicht im Konzilsdokument Nostra Aetate vor. Wenige Menschen kennen dieses Dokument und die seitdem noch dazu gekommenen Erkenntnisse. Es gibt noch so viel zu tun.“

(vatican news)

 

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19. Oktober 2018, 15:50