November 2014: Papst Franziskus trifft Präsident Erdogan bei seiner Apostolischen Reise in die Türkei November 2014: Papst Franziskus trifft Präsident Erdogan bei seiner Apostolischen Reise in die Türkei 

Missionar lädt zu differenziertem Blick auf Türkei ein

In der Türkei lebende Christen sind derzeit „betrübt über die extreme Schwarz-Weiß-Zeichnung ohne Differenzierung, die gegenüber der Türkei erfolgt“ - auch er selbst. Das hat der seit 1977 in Istanbul wirkende österreichische Lazaristen-Pater Franz Kangler in einem Interview der Wochenzeitung „Tagespost" erklärt.

Es gebe zwar viele Probleme im Land am Bosporus. Verbesserungen seien aber „nicht mit offen gezeigter Feindseligkeit oder Verachtung, wie sie gerade in deutschsprachigen Ländern - oft aus kurzsichtigen innenpolitischen Motiven - zu finden ist“, zu erzielen, warnte Kangler. Türkische Gegenreaktion sei dann die „Abschottung gegenüber einem als kolonialistisch empfundenen Westen“.

„Erdogan wie ein Volkstribun verehrt“

Kangler gehört den Lazaristen des Hl. Vinzenz von Paul an, die Träger des Istanbuler St. Georgs-Kollegs - einer von sechs österreichischen Auslandsschulen - sind. Der Türkei-Kenner, dem 2010 das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen wurde, erinnerte an der Gründungszeit der türkischen Republik unter Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938), als der damals durchgesetzte Laizismus „nicht in demokratischer Entwicklung, sondern aus der Überzeugung von Führungsgestalten heraus entworfen“ worden sei. „Solche Prozesse werden bis heute von breiten Bevölkerungsgruppen akzeptiert“, deshalb werde „Erdogan wie ein Volkstribun verehrt“, so Kangler. Die Präsidentschaftswahl in der Türkei wird am 24. Juni gleichzeitig mit der nächsten Parlamentswahl stattfinden.

Europäische Gesprächspartner hätten oft nur mit bestimmten Gruppen aus urbanen, westlich orientierten Schichten Kontakt. Die AKP habe erstmals bewusst „den vielen namenlosen Menschen Anatoliens“, von denen viele heute in großen Städten leben, eine Stimme gegeben. Die Person des Staatsgründers Atatürk werde von der AKP zwar nicht in Frage gestellt, allerdings werde „vieles, was er tat, relativiert", berichtete der Lazarist. Die von Atatürk in den Hintergrund geschobene osmanische Geschichte werde wieder bewusst in Erinnerung gerufen. „Ähnliches gilt für islamische Werte, vor allem im Curriculum des staatlichen Schulwesens, allerdings mit steter Betonung der türkischen nationalen Komponente.“

 

Viele Haltungen der Türkei sind „Reaktionen“ 

 

Viele Haltungen in der gegenwärtigen Türkei sind nach Einschätzung Kanglers „Reaktionen auf unsere Verhaltensweisen, die manchmal bei uns von Enttäuschungen über anders verlaufende Entwicklungen genährt sind“. Vor dem Hintergrund von Verhandlungen sogar mit Ländern wie Nordkorea und dem Iran, wo die Menschenrechtssituation ungleich schlechter sei, werde deutlich, „dass wir der Türkei gegenüber mit besonders hartem Urteil auftreten“. Der Westen nehme mit großer Selbstverständlichkeit in Anspruch, aufgrund seiner historischen geistigen Vorreiterrolle – „die aber oft politisch und wirtschaftlich exekutiert wird“ - Einfluss auf viele Länder der Erde auszuüben, wies Kangler hin: „Oft zum Guten, aber oft aus eigennützigen Motiven.“

Um den derzeit so aufgeschaukelten Emotionen zu begegnen, brauche man Geduld und die Bereitschaft zu kleinen positiven Schritten, „vor allem auch Respekt vor den vielen liebenswerten Menschen dieses Landes“, unterstrich Kangler. „Es braucht Menschen, die zeigen, dass das alte türkische Sprichwort 'Der einzige Freund des Türken ist der Türke' nicht zutrifft.“ Im Blick auf die türkische Jugend „können wir nur versuchen - und das sage ich als alter Schulmeister, der 33 Jahre als Lehrer in Istanbul tätig war - möglichst ausgewogen Haltungen zu vermitteln, die ein eigenständiges Denken auch in neuen Zeiten möglich machen“.

 

AKP brachte für Christen Fortschritte

 

Über die Haltung der AKP gegenüber den christlichen Kirchen in der Türkei zeichnete der Ordensmann in der „Tagespost“ ein differenziertes Bild: Die Regierungspartei habe religiöse Fragen im öffentlichen Leben wieder bewusst sichtbar machen wollen, das habe auch für Christen vorher nicht bestehende Möglichkeiten eröffnet. Davor habe das französische laizistische Modell vorgeherrscht - mit anfangs strengen Auflagen wie dem Verbot religiöser Kleidung in der Öffentlichkeit, dem islamischen Gebetsruf auf Türkisch statt in der Offenbarungssprache Arabisch oder der Aufhebung religiöser Gruppen wie der Derwische.

Die AKP habe den davor als „griechischer Oberpfarrer von Istanbul" abgewerteten Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., als Gesprächspartner ernst genommen: Der Patriarch habe wichtige Fragen Erdogan persönlich vorlegen können, die türkische Staatsbürgerschaft für 13 Erzbischöfe habe die  „für das Patriarchat lebenswichtige Einrichtung eines Heiligen Synods" möglich gemacht. Erleichterungen habe es auch für die armenische, für die aramäische Kirche und die orientalisch-unierten Kirchen gegeben. Keine Fortschritte gab es laut Kangler bei den westlichen Kirchen mit fast ausschließlich ausländischen Mitgliedern.  „Hier hoffte man ursprünglich auf Fortschritte im Zusammenhang mit der EU-Annäherung, die allerdings von vielen EU-Ländern im Lauf der Jahre immer kritischer gesehen wurde."

Das Verhältnis zu den Kirchen werde von der AKP oft in einen politischen Kontext gestellt, sagte Kangler. Er wies darauf hin, dass etwa in Griechenland nicht-orthodoxe religiöse Gruppierungen diskriminiert würden, auch die katholische Kirche. Ein Moscheebau in Athen für die große Zahl der dort lebenden Muslime sei bis heute mit vielen Problemen verbunden. Für die Türkei gelte hier das „Gegenseitigkeitsprinzip, das im Prinzip für religiöse Grundrechte nicht gelten sollte".

(kap - cs)

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21. Juni 2018, 13:10