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Der militärische Konflikt in der Ukraine hat auch mit der Zersplitterung der christlichen Kirchen zu tun Der militärische Konflikt in der Ukraine hat auch mit der Zersplitterung der christlichen Kirchen zu tun 

Ukraine: Neuer Vorschlag für die Kircheneinheit

Einen neuen Vorschlag zur Lösung der ukrainischen Kirchenkrise hat der emeritierte Grazer orthodoxe Theologe Grigorios Larentzakis unterbreitet. Larentzakis plädiert dafür, in der Ukraine alle Einmischungsversuche der Politik beiseite zu lassen und einen genuin kirchlichen Weg zu beschreiten, wie er gegenüber dem Pressedienst der Stiftung Pro Oriente betont. Sein Vorschlag: ein Zusammenschluss aller Christen byzantinischer Tradition zu einer unabhängigen - autokephalen - Kirche.

von Stefan von Kempis

Dabei sei ihm bewusst, so Larentzakis, dass viele Politiker in der Ukraine und außerhalb ihrer Grenzen nicht verstehen, dass die Kirche nach ihren eigenen Gesetzen leben muss, die keine „vergänglichen politischen Gesetze sind, sondern spirituelle, unverletzliche“. Sein Ansatz gehe deshalb weit über die üblichen, aus dem Kleingeld des politischen und geopolitischen Alltags geborgten Vorstellungen über „Kämpfe“ zwischen Konstantinopel und Moskau usw. hinaus. 

Der Blick von Larentzakis richtet sich auf die gesamte ukrainische Christenheit byzantinischer Tradition: Die autonome ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (die einzige derzeit von der Weltorthodoxie anerkannte Jurisdiktion), das „Kiewer Patriarchat“ (an dessen Spitze „Patriarch“ Filaret steht, einst russisch-orthodoxer Bischof in Wien, dann Metropolit von Kiew und Aspirant auf den Moskauer Patriarchenstuhl), die „autokephale ukrainisch-orthodoxe Kirche“ (die auf Bestrebungen der 1920er Jahre zurückgeht), die ukrainischen Eparchien der Diaspora in Nordamerika (die dem Ökumenischen Patriarchat zugeordnet sind) und die ukrainische griechisch-katholische Kirche (die auf der Union von Brest des Jahres 1596 beruht). Der Ansatz des aus Kreta stammenden Grazer orthodoxen Theologen besteht nun darin, dass er eine Einigung aller fünf Jurisdiktionen anpeilt. Dabei ist ihm bewusst, dass eine solche Einigung der Zustimmung sowohl des Moskauer Patriarchen als auch des römischen Papstes bedarf.

Wenn dies gelänge und eine umfassende ukrainische Kirche der byzantinischen Tradition die Autokephalie mit allen Rechten erhielte, würde das zum einen die volle Kirchengemeinschaft mit der Gesamtorthodoxie bedeuten, womit ein großes innerorthodoxes Probleme beseitigt wäre. Zugleich würden auch die besten „hoffnungsvollen Voraussetzungen“ auf dem Weg zur „vollen Communio mit Rom“ geschaffen, so Larentzakis. Denn dann wäre auch einer der gravierendsten Stolpersteine auf dem Weg zur Einheit zwischen katholischer und orthodoxer Kirche aus dem Weg geräumt: der „Uniatismus“. 

Eine umfassende ukrainische Lösung könnte Vorbildwirkung auch für andere Kirchengebiete erlangen, ohne alte und neue Wunden aufzureißen oder das Grundrecht auf Religionsfreiheit in Frage zu stellen, befindet der orthodoxe Theologe. 

Er räumt ein, dass seine Vision auf den ersten Blick utopisch erscheinen mag; was ihm trotzdem den Mut gebe, diesen Weg vorzuschlagen, sei die tiefe Gläubigkeit und Frömmigkeit der Menschen in der Ukraine, „die trotz der grauenhaften Prüfungen, von denen ihre Heimat ab 1914 betroffen war, nie ihr Gottvertrauen verloren haben“. 

„Einheit der ganzen Orthodoxie bedroht“

Larentzakis sieht in der ukrainischen Problematik eine schmerzliche Streitfrage, die nicht nur die Einheit der „Kirche von Kiew“ torpediert, sondern auch die der ganzen Orthodoxie bedroht. Daher müsse gehandelt und der mühsame Weg der geduldigen, spirituell geprägten synodalen Unterhandlung beschritten werden. 

Dass Konstantinopel dabei eine besondere Rolle und Verantwortung zukommt, ist für den dem Ökumenischen Patriarchat zugehörigen und aus der Schule von Chalki kommenden Theologen selbstverständlich. Larentzakis zitiert die Worte des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. in dessen Ansprache an in der Georgskathedrale im Phanar versammelte ukrainische Journalisten am 2. Juli dieses Jahres: „Wir beten für Frieden in der Ukraine. Unsere Hoffnung ist, dass der brudermörderische Krieg aufhört. Die Geschichte der Ukraine sollte für das ukrainische Volk heute eine Lehre sein, damit die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden.“

Die historische Bekehrung zum Christentum möge aus vor allem politischen Gründen erfolgt sein, aber die Annahme der Religion diente dazu, die Bedingungen für Frieden und Stabilität zu schaffen, damit Kultur und geistliche Entwicklung aufblühen konnten, erinnerte der Patriarch. Und das gelte auch für heute. „Einheit und Frieden sind für das Volk und die Kirche der Ukraine überaus erwünscht und essenziell“, so Larentzakis mit den Worten von Patriarch Bartholomaios. 

Die Ukrainer hätten - wie alle anderen Ostslawen - die Taufe von der Mutterkirche Konstantinopel empfangen, erinnert Prof. Larentzakis weiter. Das Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel sorge sich deshalb „wie eine Mutter“ um die Christen am Dnjepr. Aber das Patriarchat wolle das zweifellos nicht „gegen irgendjemand“ tun, sondern nur in brüderlicher Eintracht „mit allen, die für die Christen der byzantinischen Tradition in der Ukraine Verantwortung tragen“. 

Im zweiten Jahrtausend seien - etwa mit der Proklamation des Moskauer Patriarchats im 16. Jahrhundert - autokephale orthodoxe Kirchen entstanden, denen die Autokephalie (Selbständigkeit) vom Ökumenischen Patriarchat eröffnet wurde, so der Grazer Theologe.

(kap)

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29. Oktober 2017, 06:48