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Kardinal Kurt Koch Kardinal Kurt Koch 

Kardinal Koch: Papst hält in Dialog zur Ukraine-Krise „alle Türen offen“

Der Schlüssel zum Frieden in der Ukraine liege in Moskau. Deswegen halte Papst Franziskus beim Dialog „alle Türen offen“: Das sagt Kurienkardinal Kurt Koch mit Blick auf die Vatikan-Diplomatie in einem Interview mit unseren Kollegen von der Schweizer Agentur kath.ch. Er sei erschüttert, dass Patriarch Kyrill den Krieg religiös legitimiere.

Kath.ch: Der Heilige Stuhl und die Schweiz intensivieren ihre Zusammenarbeit. Wie erleben Sie Ihr Heimatland im Ukraine-Krieg?

Kurienkardinal Kurt Koch: Wir erleben eine neue Situation. Die Schweiz diskutiert die Frage der Neutralität neu. Bundespräsident Cassis ist in Bern an einer Friedensdemonstration aufgetreten, zu der Präsident Selenskyj zugeschaltet wurde. Nationalratspräsidentin Kälin ist in die Ukraine gereist. Sie begründet ihre Reise damit: Wir müssen auf der Seite des Völkerrechts stehen. Bereits früher haben Bundesräte betont, dass Neutralität und Solidarität zusammengehören. Dies finde ich richtig.

Kath.ch: Ist Papst Franziskus ein Putin-Versteher?

Kardinal Koch: Papst Franziskus will den Krieg beenden – auch indem er alle Türen offen lassen will, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn man die Türe zuschlägt zu Akteuren, die den Schlüssel für den Frieden in der Hand haben, kommt man dem Frieden nicht näher. Der russische Präsident ist zweimal in Rom beim Papst gewesen. Direkt nach Beginn des Kriegs ist der Papst zur russischen Botschaft beim Vatikan gegangen. Das macht sonst kein Staatsoberhaupt. Normalerweise werden die Botschafter einbestellt. Der Papst tut alles, was in seiner Macht steht, um auf den Frieden hinzuwirken.

„Wir sind nicht Kleriker des Staates, wir sind Hirten für das Volk – und müssen gemeinsam Lösungen für den Frieden finden“

Kath.ch: Sie waren bei der Video-Konferenz dabei, als der Papst mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill und Metropolit Hilarion gesprochen hat. Wie haben Sie das Gespräch erlebt?

Kardinal Koch: Der Papst hat zuerst den Patriarchen reden lassen. Er hat ausführlich seine Sicht von den Ursachen für den Krieg dargelegt. Der Papst ist auf diese politische Sicht nicht eingetreten, sondern hat klargestellt: Wir sind nicht Kleriker des Staates, wir sind Hirten für das Volk – und müssen gemeinsam Lösungen für den Frieden finden. 

Kath.ch: Dem «Domradio» haben Sie gesagt, Sie sind sich nicht sicher, ob diese Botschaft beim Patriarchen angekommen ist.

Kardinal Koch: Was ich damit meinte: Ich kann nicht in das Herz des Patriarchen sehen. Ich kann nur sehen, wie er reagiert.

„Wir müssen dranbleiben“

Kath.ch: Was ist das für ein Gefühl, an einer Video-Konferenz teilzunehmen, die Weltgeschichte schreiben könnte – man das Gegenüber aber nicht überzeugen kann?

Kardinal Koch: Der Krieg in der Ukraine ist schrecklich und, wie der Papst immer wieder betont, absurd. Und er ist für so viele Menschen tödlich. Man muss deshalb alles tun, um diesen furchtbaren und sinnlosen Krieg zu beenden. Auch wenn man bei diesem Bemühen Rückschläge in den diplomatischen Beziehungen in Kauf nehmen muss, muss man dranbleiben.

Kath.ch: Eines Ihrer Highlights als Kardinal war die Begegnung von Franziskus und Kyrill auf Havanna und die Unterzeichnung der Erklärung von Havanna. Müssen wir diese Begegnung nun relativieren?

Kardinal Koch: Ich zähle die Begegnung von Havanna nicht zu meinen Verdiensten. Ohne die Initiative und den Willen von Patriarch Kyrill wäre es nicht zu diesem Treffen gekommen. Heute haben die Beziehungen einen völlig anderen Charakter erhalten. Denn wenn ein derart furchtbarer Krieg sogar religiös legitimiert wird, muss ein solches Verhalten jedes ökumenische Herz erschüttern. Ich bin deshalb froh, dass Papst Franziskus das im Juni vorgesehene Treffen mit Patriarch Kyrill abgesagt hat. Es wäre wohl zum grössten Teil missverstanden worden. Dennoch muss der Dialog weitergeführt werden.

Kath.ch: Wann wird der Papst nach Moskau reisen, um Putin zu treffen?

Kardinal Koch: Bislang hat der Papst vom russischen Präsidenten keine Antwort auf seinen Wunsch erhalten.

„Weitere Gespräche haben nicht mehr stattgefunden“

Kath.ch: Was sagt Metropolit Hilarion, der Aussenbeauftragte des Moskauer Patriarchats?

Kardinal Koch: Nach dem Zoom-Meeting habe ich dem Metropoliten nur noch die Absage des Treffens im Juni mitgeteilt. Weitere Gespräche haben nicht mehr stattgefunden.

Kath.ch: In den letzten Tagen hatten Sie die Vollversammlung des vatikanischen Ökumenerates. Welchen Impuls nehmen Sie aus der Ukraine mit?

Kardinal Koch: Wir hatten eine lange Zoom-Sitzung mit Grosserzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, der uns eingehend über die Situation in der Ukraine berichtet hat. Diese hybride Begegnung ist sehr bewegend gewesen. Er hat uns auch mitgeteilt, dass sein Name oben auf der Liste der Menschen, die umgebracht werden sollten, gestanden hat. Aber er lebt in einer grossen Zuversicht. Ich erlebe die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine als eine sehr gläubige Gemeinschaft, die auch in den dramatischen Ereignissen aus dem Glauben Hoffnung schöpft.

„Wenn mein Kommen in der Ukraine gewünscht wird und der Papst damit einverstanden ist, werde ich nach Kiew reisen. Aber darüber entscheidet der Papst und nicht Pater Werlen.“

Kath.ch: Der frühere Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, stellt öffentlich die Frage: Wann reisen Sie nach Kiew?

Kardinal Koch: Er hat meines Wissens nicht gefragt, sondern den Papst aufgefordert, auch mich nach Kiew zu schicken. Meine Antwort: Wenn mein Kommen in der Ukraine gewünscht wird und der Papst damit einverstanden ist, werde ich nach Kiew reisen. Aber darüber entscheidet der Papst und nicht Pater Werlen. Zudem teile ich seine Meinung nicht, dass man in Moskau auf mich hören würde, wenn man dort nicht einmal auf den Papst hört.

Die Fragen stellte Raphael Rauch.

(kath.ch - cs)

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08. Mai 2022, 12:03