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Ukraine/Heiliger Stuhl: „Internationale Konflikte an Wurzeln angehen"

Drei Monate Krieg in der Ukraine, und kein Ende in Sicht. Das ist nicht die Schuld der UNO oder der OSZE, sagt Francesca Di Giovanni, Unterstaatssekretärin für multilaterale Beziehungen im Staatssekretariat. Die Stärke der UNO hänge schließlich vom guten Willen der einzelnen Staaten ab. Überhaupt ließen sich Konflikte nur im großen Maßstab lösen: im Bewusstsein, alle „im selben Boot“ zu sitzen.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Der Einmarsch russischer Truppen im Nachbarland begann am 24. Februar, und immer noch ist es weder den internationalen Organisationen, noch der Diplomatie noch gar einzelnen Staaten gelungen, auch nur einen Waffenstillstand zu erzielen. Der vatikanische „Außenminister“ Paul Richard Gallagher kam soeben zurück aus Kiev, eine für die Ukraine wichtige Reise, und abermals hat der Leiter der Abteilung der Beziehung zu den Staaten eine vermittelnde Tätigkeit des Heiligen Stuhles zwischen Russland und der Ukraine angeboten. Demgegenüber ist die Rolle der UNO und der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, in diesem Krieg nicht die stärkste, was auch Papst Franziskus jüngst öffentlich bedauerte.

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„Organisationen wie die UNO können und müssen weiterhin eine Rolle in den internationalen Beziehungen spielen“, stellt indessen Francesca Di Giovanni klar, sie ist Untersekretärin für multilaterale Beziehungen im Staatssekretariat und verantwortet damit die Zusammenarbeit des Heiligen Stuhles mit den internationalen Organisationen. In die pauschalen Vorwürfe an die Adresse von UNO und OSZE stimmt sie nicht ein. Sicherlich sei derzeit eine Krise in den multilateralen Organisationen beobachtbar, die gehe aber hauptsächlich auf deren Mitgliedsstaaten zurück. „Das größte Problem ist die Tatsache, dass die Staaten nicht mehr in der Lage sind, einander zuzuhören, sondern stattdessen ihre eigenen Vorstellungen oder Interessen durchsetzen, die sie in Wirklichkeit einengen“, erklärte die Juristin die Sicht des Heiligen Stuhles. Papst Franziskus spreche da von „ideologischer Kolonisierung", und genau diese finde in den internationalen Organisationen derzeit fruchtbaren Boden, sagte Di Giovanni, ohne einzelne Länder beim Namen zu nennen.

„Die Trägheit oder Lähmung der UNO ist in einigen Bereichen, sogar in den wichtigsten, offensichtlich, aber in anderen geht die Arbeit weiter“

Allerdings nahm die Staatssekretärin das Wirken der Organisationen auch in Schutz. Die dort vorangetriebenen Anliegen seien extrem vielfältig, es gehe nicht nur um Friedenssicherung und Sicherheit, sondern auch um Entwicklungsfragen, Klimawandel, die friedliche Nutzung der Kernenergie und anderes mehr. „Die Trägheit oder Lähmung der UNO ist in einigen Bereichen, sogar in den wichtigsten, offensichtlich, aber in anderen geht die Arbeit weiter, auch wenn ihre Müdigkeit deutlich zu spüren ist.“

Helfen im Konflikt Waffen? Oder schaden sie?

Helfen im Konflikt Waffen? Oder schaden sie? Schwierige Fragen für den Heiligen Stuhl, drei Monate nach Beginn des Krieges in Europa. „Wir müssen an die Wurzeln der internationalen Konflikte gehen“, weitet Francesca Di Giovanni zunächst den Blick. Internationale Konflikte entstünden oft aus einem Mangel an Vertrauen, Vertrauen, das Geduld und verlässliches Handeln brauchen würde, um zu wachsen. Weil dies zwischen Russland und der Ukraine fehlte, sei es zu dem Konflikt und schließlich zum Krieg gekommen. Waffen würden den Mangel an Vertrauen aber eher verschärfen und internationale Sicherheit noch weiter entfernen, erklärte die Untersekretärin.

„Ein schlechter Umgang mit unserem gemeinsamen Haus wird unweigerlich zu schädlichen Folgen für alle führen“

Was aber fördert dann das Vertrauen zwischen Staaten? Sich bewusst machen, dass alle „im selben Boot sind“, sagt di Giovanni. „Dieses Boot ist unser gemeinsames Zuhause, und es wird immer wichtiger, dass wir Wege finden, um es zu pflegen und gemeinsam zu verwalten.“ Staaten seien im umfassenden Sinn aufeinander angewesen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch, sozial und gesundheitlich. „Ein schlechter Umgang mit unserem gemeinsamen Haus wird unweigerlich zu schädlichen Folgen für alle führen, unabhängig davon, wie viele Waffen oder Ressourcen jeder Einzelne besitzt. Denken Sie zum Beispiel an Phänomene wie Klimawandel oder Pandemien. Entweder wir bekämpfen sie gemeinsam, oder wir werden alle verlieren.“

Vatikan wirbt für „ganzheitliche Sicherheit"

Aus diesem Grund mahne der Heilige Stuhl alle Staaten und Organisationen beständig dazu, eine ganzheitliche Ökologie und auch eine „ganzheitliche Sicherheit" zu fördern. Ganzheitliche Sicherheit? Damit meine der Heilige Stuhl eine Abkehr von der Vorstellung, allein Rüstung und Waffen könnten die Verteidigung und damit die Sicherheit garantieren. Ganzheitliche Sicherheit bedeute, auch Nahrungsmittel-, Umwelt-, Gesundheits-, wirtschaftliche und soziale Sicherheit in den Blick zu nehmen und deren „tiefgreifende gegenseitige Abhängigkeit“ zu begreifen. „Auf diesem Weg ist es notwendig, Vertrauen durch einen multilateralen, aber auch interkulturellen Dialog aufzubauen und zu festigen, der auf dem Respekt zwischen verschiedenen Kulturen beruht und eine gegenseitige Bereicherung ermöglicht.“

Um den Krieg in der Ukraine jetzt endlich beizulegen, braucht es nach den Worten der Untersekretärin „eine internationale Mobilisierung, die getragen ist von gutem Willen, der Bereitschaft zu einem echten Dialog und vor allem von dem unbedingten Willen, diese Konflikte zu beenden und sich für die Wiederherstellung des Friedens einzusetzen.“ Viel Kraft sei auch zu investieren, „um das Vertrauen zwischen den Nationen wiederherzustellen, damit nicht nur scheinbarer Frieden, sondern tatsächliche Harmonie im täglichen Leben erreicht wird“. Das allerdings würde einen neuen weltpolitischen Absatz erfordern, erklärt Francesca Di Giovanni, einen Ansatz, „der die Logik von Macht und Herrschaft beiseite lässt und eine Politik verfolgt, die die Würde der menschlichen Person in den Mittelpunkt allen Handelns stellt.“

„Der Heilige Stuhl hat das System der Vereinten Nationen, das sich auf den Inhalt ihrer Charta stützt, stets als ein vielversprechendes Instrument betrachtet“

Und die Krise der multilateralen Organisationen? Die Staatssekretärin empfiehlt den UN-Mitgliedsstaaten eine Rückbesinnung auf „den Buchstaben und Geist der UN-Charta“, um zumindest nicht die Fehler der beiden Weltkriege zu wiederholen. Die Charta der Vereinten Nationen, eine Art Verfassung der UN von 1945, ist ein völkerrechtlicher Vertrag und damit verbindlich für Länder, die sie unterschrieben haben. Ziel ist es, Frieden und Sicherheit in der Welt zu bewahren und die friedliche Beilegung von Konflikten zu garantieren. Diese Charta sollte „nicht nach der attraktivsten politischen Position ausgelegt werden“, sondern ganz ursprünglich. Bei ihrer Unterzeichnung noch unter dem Eindruck des Krieges ging es darum, künftige Generationen vor dem Horror des Krieges zu bewahren, Menschenrechte zu schützen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau und von großen und kleinen Nationen zu wahren, die Basis für Gerechtigkeit, sozialen Fortschritt und einen höheren Lebensstandard in größerer Freiheit zu legen. „Der Heilige Stuhl hat das System der Vereinten Nationen, das sich auf den Inhalt ihrer Charta stützt, stets als ein vielversprechendes Instrument zum Aufbau von Beziehungen zum gegenseitigen und gemeinsamen Nutzen innerhalb der internationalen Gemeinschaft betrachtet“, erklärt Di Giovanni. „Und das haben die Päpste immer wieder bekräftigt.“

(vatican news)

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23. Mai 2022, 12:29