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Kanadische First Nations-Vertreter beim Papst: Vergebung sehr wichtig

Im Vatikan haben am Montagvormittag die ersten Delegationen von First Nations-Vertretern aus Kanada mit Papst Franziskus gesprochen. Unter ihnen waren auch Menschen, die selbst Opfer von Missbrauch in früheren kirchlichen Schulen und Erziehungseinrichtungen waren. Sie betonten die Bedeutung von Vergebung und luden Papst Franziskus erneut nach Kanada ein, um persönlich für Vergehen in Einrichtungen der katholischen Kirche Verzeihung zu erbitten.

Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt

„Damit eine Entschuldigung mir etwas bedeuten würde, müssten mehrere Dinge enthalten sein. Zum einen sind es die absolut schrecklichen Horror-Verbrechen die begangen wurden. Körperlicher, psychischer und seelischer Missbrauch von Kindern. Das sollte jeden ekeln, der sich damit auseinandersetzt. Das ist ein Punkt. Aber selbst wenn es das nicht gegeben hätte - hätte es diesen körperlichen, psychischen, seelischen und sexuellen Missbrauch von Kindern nicht gegeben, heißt das immer noch nicht, dass Residential Schools in Ordnung gewesen wären, dass der Versuch unsere Kultur und unser Volk auszulöschen zulässig gewesen wäre“, erklärte Mitchell Case, der als Vertreter der Métis Nation of Ontario an der Begegnung mit Papst Franziskus teilgenommen hatte, anschließend bei einer Pressekonferenz in Rom. Métis-Vertreter seien bisher nur selten eingeladen worden, sich zu äußern. Dies habe sie erneut zu Opfern gemacht und erneut traumatisiert. Case sprach von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und dankte dafür, dass Vertreter der Ureinwohner und der Betroffenen nun die Möglichkeit hatten, ihre Geschichte nicht nur Papst Franziskus, sondern der ganzen Welt zu erzählen. 

Mitchell Case bei der Pressekonferenz
Mitchell Case bei der Pressekonferenz

An den sogenannten „Residential Schools" (Internaten) sollten indigene Mädchen und Jungen unterrichtet und im Auftrag des kanadischen Staates an die Gesellschaft und Kultur der christlichen europäischen Einwanderer angepasst werden. Einige dieser Schulen wurden von der katholischen Kirche betrieben. Eine unbekannte Zahl von Kindern und Jugendlichen wurde körperlich misshandelt oder sexuell missbraucht. 

Hier zum Nachhören

Diesen Montag nun gab es erstmals ein Treffen Betroffener und Vertreter der Indigenen aus Kanada mit Papst Franziskus. Acht Delegierte des Métis National Council sowie acht Mitglieder der Vereinigung Inuit Tapiriit Kanatam waren jeweils eine gute Stunde in Privataudienz beim Kirchenoberhaupt. Papst Franziskus hörte vor allem gut zu:

Eine Stunde Privataudienz beim Papst

Papst Franziskus mit der Delegation des Métis National Council
Papst Franziskus mit der Delegation des Métis National Council

„Für uns als Kirchenführer war es sehr schön, mit den Vertretern der Métis zusammen dort zu sein und ein Gebet der Ältesten in ihrer Sprache zu hören, das war ein wundervoller Moment“

„Wir haben den Eindruck gehabt, dass er sehr aufmerksam zuhörte und auf einer sehr persönlichen Ebene betroffen war, von dem was er hörte. Sehr schön war auch, dass das Treffen mit einem Gebet der Ältesten der Métis, das in Originalsprache gehalten wurde, begann. Für uns als Kirchenvertreter war es sehr schön, mit den Vertretern der Métis zusammen dort zu sein und ein Gebet der Ältesten in eigener Sprache zu hören, das war ein wundervoller Moment", berichtete der kanadische Erzbischof Donald Bolen, der ebenfalls bei der Begegnung dabei war.

Delegierte des Métis National Council und dessen Präsidentin Cassidy Caron vor Journalisten auf dem Petersplatz
Delegierte des Métis National Council und dessen Präsidentin Cassidy Caron vor Journalisten auf dem Petersplatz

„Für Versöhnung braucht es auch Schuldeingeständnisse und Anerkennung der Schuld“

Die Vorsitzende des Métis National Council, Cassidy Caron, forderte von der katholischen Kirche noch mehr Unterstützung bei der Aufarbeitung - etwa durch unbedingten Aktenzugang:

„Wir haben keinen Zugang zu allen Ereignissen, da sie als geschützt gelten. Wir fordern uneingeschränkten Zugang zu allen Akten. Wir möchten auch Zugang zu all unseren künstlerischen Artefakten, die im Vatikan und in Rom sind. Diese Kunstwerke erzählen unsere Geschichte, sie sind unsere Geschichte. Für Versöhnung braucht es auch Schuldeingeständnisse und Anerkennung der Schuld. Viele der Überlebenden sagen uns, dass sie dies brauchen, um weiter machen zu können. Es braucht auch Gerechtigkeit - eine der Aktionen, die wir uns von der katholischen Kirche wünschen, ist auch, dass die katholische Kirche keine der Übeltäter von damals, die noch leben, schützt - unabhängig ihres Alters."

Die Delgation der kanadischen Bischöfe, Papst Franziskus und die Delegation der Inuit-Vereinigung Inuit Tapiriit Kanatami
Die Delgation der kanadischen Bischöfe, Papst Franziskus und die Delegation der Inuit-Vereinigung Inuit Tapiriit Kanatami

Auch Natan Obed, Vorsitzender der Inuit-Vereinigung „Inuit Tapiriit Kanatami", forderte im Fall mutmaßlicher Missbrauchstäter aktive Unterstützung der katholischen Kirche. Die kanadischen Bischöfe betonten, einige der Akten von damals lägen auch in Generalhäusern von Ordensgemeinschaften in Rom, man habe alle um Mithilfe gebeten. Der Stellvertreter der kanadischen Bischofskoferenz, Bischof William T. McGrattan, sicherte Unterstützung jeglicher Art zu: 

„Wenn es Missbrauchsvorwürfe gibt, muss es auch Gerechtigkeit geben“

„Es geht hier nicht nur um Einzelfälle, und die Kirche will mit allen bedeutenden Rechtsinstanzen, seien sie international, seien sie kanadisch, zusammenarbeiten. Wenn es Missbrauchsvorwürfe gibt, muss es auch Gerechtigkeit geben. Dem sollte die Kirche nicht im Weg stehen, sondern die Opfer bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit und Heilung unterstützen."

Papst in Kanada erwartet

Eine weitere zentrale Forderung der Ureinwohner ist eine Entschuldigung des Papstes für die in den vergangenen Jahren zutage getretenen Skandale um Misshandlungen, Missbrauch und katastrophale Zustände in früheren Schulen und Erziehungseinrichtungen in Kanada für Kinder indigener Familien. Dafür müsse Franziskus nach Kanada kommen, sagte die Residential Schools Überlebende Martha Graig nach ihrer Begegnung mit Papst Franziskus: 

Residential Schools Überlebende Martha Graig
Residential Schools Überlebende Martha Graig

„Ich habe ihn auch eingeladen, nach Kanada zu kommen. Ich denke es wäre sehr angemessen, wenn er kommt“

„Ich habe ihn auch eingeladen, nach Kanada zu kommen. Ich denke es wäre sehr angemessen, wenn er kommt. Das würde für alle, die Residential Schools besuchen mussten, viel bedeuten. Auch für ihre Familien, denn auch die folgenden Generationen sind betroffen. Eine Entschuldigung wäre sehr bedeutend, von daher hoffen wir, dass dies geschehen wird." Sie räumte ein, dass für eine solche Geste des Papstes in Kanada vielleicht noch nicht alle bereit seien. Vielen würde es aber sicher helfen. Es brauche Heilung und Vergebung auf beiden Seiten, Respekt für einander, Liebe, viel Glaube und Gebet.  

Bis Freitag sind mehrere private Begegnungen mit dem Papst geplant. Mit den Indigenen-Vertretern befinden sich auch Familienangehörige und weitere Begleiter sowie sechs kanadische Bischöfe in dieser Woche im Vatikan. Geplant waren die Begegnungen schon für vergangenen Dezember, sie wurden aber pandemiebedingt verschoben.

Papstansprache und große Abschluss-Audienz live

Am Donnerstag ist eine private Begegnung mit den Delegierten der Assembly of First Nations vorgesehen sowie Freitag um 12 Uhr ein abschließendes gemeinsames öffentliches Treffen aller rund 150 Delegationsteilnehmer mit Franziskus. Erwartet wird eine Ansprache des Papstes, um 15.30 Uhr gibt es eine Pressekonferenz. Bei dem Treffen sind laut Angaben der Bischöfe auch Überlebende kirchlich geführter Internate sowie indigene Jugendliche aus dem ganzen Land mit dabei. Die Schlussaudienz mit dem Papst überträgt Radio Vatikan am 1. April live ab 12.00 Uhr im Internet.  

Hintergrund

Eine nationale Wahrheitskommission sprach in einem Bericht 2015 von etwa 3.200 bestätigten Todesfälle in den Internaten, bei vielen wurde die Todesursache nicht erfasst. Weit verbreitete Praxis war, die Leichname der verstorbenen Schüler nicht in ihre Gemeinden zurückzuschicken. Seit Mai 2021 wurden auf den Arealen ehemaliger Heime per Bodenradaruntersuchungen mehrere Orte gefunden, an denen unmarkierte Gräber von mehr als 1.000 Kindern von Indigenen vermutet werden. Seither steht das Thema auch öffentlich im Fokus, in Kanada und international.

„Als Bischöfe Kanadas sind wir den Delegierten dankbar, dass sie uns auf dieser Reise begleiten, sowie Papst Franziskus für seine Aufmerksamkeit für ihr Leiden und sein ausgeprägtes Engagement für soziale Gerechtigkeit“

„Als Bischöfe Kanadas sind wir den Delegierten dankbar, dass sie uns auf dieser Reise begleiten, sowie Papst Franziskus für seine Aufmerksamkeit für ihr Leiden und sein ausgeprägtes Engagement für soziale Gerechtigkeit", sagte der Vorsitzende der Kanadischen Bischofskonferenz, Bischof Raymond Poisson, zum Beginn der Treffen der Indigenen-Vertreter mit dem Papst ab diesem Montag. Kanadas Kirche hoffe darauf, dass „sowohl das anhaltende Trauma und das Erbe des Leidens, mit dem die indigenen Völker bis heute konfrontiert sind" bei den privaten Treffen mit dem Papst verdeutlicht werden können. Auch „die Rolle der katholischen Kirche im Internatssystem, das dazu beigetragen hat, dass die indigenen Sprachen, Kultur und Spiritualität nicht weitergegeben wurden", werde zur Sprache kommen.

Kanadas Kirche bat um Entschuldigung

Die katholische Kirche in Kanada hatte bereits im September um Entschuldigung für das Leid gebeten, das durch die Beteiligung der Kirche am früheren Internatssystem verursacht wurde. Eine der Maßnahmen im Rahmen der Aufarbeitung ist ein von den kanadischen Diözesen dotierter Fonds, der Projekte für indigene Opfer von Missbrauch unterstützen soll. „Die Bischöfe Kanadas sind fest entschlossen, das historische und andauernde Trauma, das durch das Internatssystem verursacht wurde, zu bewältigen", betonte der Bischofskonferenz-Vorsitzende Poisson mehrfach.

(vatican news/kap - sst)

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28. März 2022, 13:07