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Adolf Hitler mit Kirchenvertretern in den dreißiger Jahren Adolf Hitler mit Kirchenvertretern in den dreißiger Jahren 

Liturgische Bewegung: Verlorene Unschuld?

„Kult des Volkes – eine ökumenische Revision“: Es ist ein heikles und bislang ziemlich unterbelichtetes Thema, mit dem sich in diesen Tagen eine Tagung im Vatikan beschäftigt. Es geht um den Volksgedanken in den liturgischen Bewegungen und Reformen des letzten Jahrhunderts.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

„Hat die Liturgische Erneuerung“ – und die gab es im deutschsprachigen Raum sowohl auf katholischer wie auf evangelischer Seite – „womöglich ihre Unschuld verloren, oder konnte sie sich vom völkischen Zeitgeist freihalten oder wieder lösen?“, so fragt die ökumenisch angelegte Tagung, die am Mittwochabend begonnen hat und am Samstagabend endet.

Ausrichter sind das Römische Institut der Görres-Gesellschaft, geleitet von Professor Stefan Heid, und die Fachhochschule der Diakonie Bethel. Das Melanchthon-Zentrum Rom und die Liturgische Konferenz der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) kooperieren.

Hat die liturgische Bewegung Leichen im Keller?

Unsere Frage an Monsignore Heid: Hat die liturgische Bewegung, die ja als Vorläuferin der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils gilt, sozusagen Leichen im Keller?

Heid: „Diese Frage wird zumindest gestellt. Schon vor längerer Zeit hat sie Arno Klönne (+2015) ziemlich zugespitzt formuliert mit der Frage, inwieweit die liturgische Bewegung in Deutschland und Österreich „erblich belastet“ sei. Das ist schon eine starke Formulierung! Auch Klaus Schatz SJ hat sich in ähnlicher Richtung geäußert, wenn er sagt: Es gab Vertreter der liturgischen Bewegung und der ihr entsprechenden theologischen Richtung, die aus ihrer Gemeinschaftsmystik heraus 1933 zu Brückenbauern des Nationalsozialismus wurden.“

Msgr. Prof. Stefan Heid
Msgr. Prof. Stefan Heid

Anfängliche Sympathien für die Nazis

Darüber sei „auf katholischer Seite nicht so wirklich nachgedacht worden“, so Heid. Immerhin beschäftige sich die Forschung jetzt immer mehr mit diesem heiklen Feld. Beispiel: Maria Laach. Die romanische Benediktinerabtei in der Eifel war unter ihrem Abt Ildefons Herwegen (+1946) eine wichtige Adresse der liturgischen Bewegung – und galt als Hort des Widerstands. Immerhin konnte sich hier Konrad Adenauer eine Weile vor den Nazis verstecken, die ihn als Kölner Oberbürgermeister abgesetzt hatten. Hat sich Maria Laach trotzdem mit dem völkischen Denken der Nazis kontaminiert?

Heid: „Es gab eine anfängliche Komplizenschaft, die eine Episode blieb, allerdings doch nicht zufällig zustande kam. Man muss Maria Laach in dieser Hinsicht fair behandeln. Einerseits hat die Abtei unter Ildefons Herwegen 1933 die Hakenkreuzfahnen gehisst und sich dem Führer angedient. Das blieb zwar eine Episode von einigen Monaten, doch immerhin ist das ein Sündenfall der Abtei. Andererseits kann man auf keinen Fall sagen, dass die Abtei sich nachhaltig hat infizieren lassen: Man hat es schnell bereut und hat Abstand genommen vom Nationalsozialismus. Und noch einmal eine andere Frage (und die wollen wir auch untersuchen) lautet, inwieweit die von Maria Laach ausgehende liturgische Bewegung sich vom völkischen Denken hat beeinflussen lassen oder nicht?“

Zum Nachhören: Ist die liturgische Bewegung vom völkischen Denken der Nazis infiziert worden? Ein Beitrag von Radio Vatikan

Als jüdische Texte aus der katholischen  Liturgie getilgt wurden

„Gewisse Übereinstimmungen zwischen der liturgischen und der dezidiert nationalsozialistischen Reform-Agenda“ sieht Professor Heid auf jeden Fall. Außerdem im Reform-Katholizismus „klare Anbiederungen“ an die Nazis „und sogar Übernahmen des Völkischen“. Besonders heikel: das Tilgen jüdischer Bezüge aus der Liturgie.

Heid: „Die Frage der jüdischen Texte ist äußerst unangenehm für die katholische Seite, denn in der Tat hat hier die Forderung aus der liturgischen Bewegung, die Liturgie von jüdischen Elementen zu befreien, ein Echo gefunden – sogar noch nach dem Krieg! Eine gewisse Erblast ist hier also definitiv da. Die liturgische Bewegung hat natürlich alle möglichen biblischen Texte unter die Lupe genommen, und dabei wurde ‚Rücksicht genommen‘ auf die Befindlichkeit des Volkes, die sich an jüdischen Namen wie z.B. Rebekka etwa in der Liturgie störte.“

Die Folge: Dezidiert jüdische Namen und alttestamentliche Texte verschwanden aus dem liturgischen Bereich, etwa aus dem Trauungsritual. Eine Säuberung, die bis in unsere Tage zu spüren ist. „Bis heute sind da Texte verschwunden, die Jahrhunderte lang zum katholischen Ehe-Ritual gehört haben – und zwar aus nationalsozialistischen Erwägungen heraus.“

Katholische Priester mit NS-Sympathien

Immerhin: Die liturgische Bewegung war vielfältig. Einem eher konservativen Flügel – Stichwort Maria Laach – stand, vor allem in Österreich, eine geradezu „veränderungssüchtige“ Fraktion gegenüber. Und dann gab es sogar eine „dezidiert nationalsozialistische Liturgiereform-Agenda“, die von einem Kreis katholischer Priester mit NS-Sympathien vorangetrieben wurde; ihr theologischer Kopf war ein Priester und Religionslehrer aus Duderstadt.

„Und hier sind eben neueste Forschungen wirklich ungeheuer spannend und aufschlussreich. Das war ein ganzes Netzwerk von nationalsozialistischen Priestern, die wirklich in der Partei waren und das Völkische ideologisch rezipiert haben. Sie haben auf eine Liturgiereform gedrängt, zu deren Ausführung es dann durch die Kriegs Wende von Stalingrad nicht mehr gekommen ist. Dieser Prozess wurde dann erst mal ad acta gelegt, und mit dem Untergang des Dritten Reichs ist das in den Archiven verschwunden.“

So hätte eine NS-Liturgiereform ausgesehen...

Wäre es anders gekommen, dann hätte eine, wie Heid sagt, „klar nationalsozialistische Liturgiereform“ zumindest im Raum gestanden. Er buchstabiert durch, was einzelne Kennzeichen einer solchen völkischen Liturgie gewesen wären: „Totale Verdeutschung der Liturgie, Germanisierung der Liturgie, Ent-Judaisierung der Liturgie. Die Liturgie als Inszenierung, als Gemeindefeier, nicht mehr als Kult. Das waren natürlich Anleihen an die nationalsozialistische Inszenierung; auch der Nationalsozialismus als solcher hat ja inszeniert – religiös und kultisch inszeniert.“

Allerdings habe dieser Priesterkreis bei genauerem Hinsehen zwischen allen Stühlen gesessen: „Die Nazis haben die nicht akzeptiert, und die katholischen Bischöfe auch nicht. Das war eine Minderheit, eine verschwindende Minderheit.“

Das Spannende an der Tagung vom Campo Santo Teutonico: Sie nimmt auch die liturgischen Erneuerungsbewegungen auf evangelischer Seite in den Blick, erlaubt den Direktvergleich. Dabei wird wohl auch über die Rolle der „Deutschen Christen“ gesprochen, die sich innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland ab 1932 für eine „Entjudung der kirchlichen Botschaft“ starkmachte. „Führer, Volk und Vaterland“ lautet der Titel eines Vortrags, der sich am Freitag mit dem evangelischen Kirchenlied in der NS-Zeit beschäftigen wird.

(vatican news)
 

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25. November 2021, 11:02