Das Buch VI des Kirchenrechts wurde grundlegend reformiert Das Buch VI des Kirchenrechts wurde grundlegend reformiert 

Vatikan reformiert das kirchliche Strafgesetzbuch

Der Vatikan hat das kirchliche Strafgesetzbuch reformiert. Es ist die erste Generalüberholung von Buch VI im Codex des katholischen Kirchenrechts (CIC). Der neue Text wurde an diesem Dienstag im Vatikan vorgestellt.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Wir sprachen darüber mit dem deutschen Salesianerpater Markus Graulich; er ist Kirchenrechtler und Untersekretär im Päpstlichen Rat für Gesetzestexte. Wenn er die Neuerungen in einem Satz auf den Punkt bringen müsste, dann würde er sagen „Die Liebeskirche straft wieder“, so Monsignore Graulich.

Radio Vatikan: Monsignore Graulich, worum geht es denn bei dieser Reform des Kirchenrechts? Was wird neu?

Graulich: „Es gibt viele Neuerungen, die sich im neuen Buch finden werden. Wir haben mal nachgezählt: Praktisch zwei Drittel des Buches haben sich in der einen oder anderen Weise verändert. Sei es, dass die ‚Canones‘ eine neue Nummerierung bekommen haben, sei es, dass neue Inhalte hinzugekommen sind oder dass Formulierungen geändert wurden, damit das Recht klarer wird – und dadurch hoffentlich besser anwendbar.

Das Ganze ist ein Prozess, der schon sehr lange im Gange ist. Der erste Anstoß kam 2007, als Papst Benedikt den damals neuen Präsidenten und Sekretär des Rates empfangen hat: Da kam die Idee auf. Dann wurde alles vorbereitet, und am 24. März 2009 war dann die erste Sitzung der Expertenkommission (der noch weit über 60 folgen sollten), die sich mit der Erarbeitung des Textes für den Papst befasst hat.

Der Kirchenrechtler und Untersekretär im Päpstlichen Rat für Gesetzestexte Markus Graulich
Der Kirchenrechtler und Untersekretär im Päpstlichen Rat für Gesetzestexte Markus Graulich

„Wir müssen das kirchliche Strafrecht klarer machen in dem Sinne, dass Formulierungen wie ‚kann mit einer gerechten Strafe bestraft werden‘ wegfallen“

Eine Grundintention bestand darin, zu sagen: Wir müssen das kirchliche Strafrecht klarer machen in dem Sinne, dass Formulierungen wie ‚kann mit einer gerechten Strafe bestraft werden‘ wegfallen. Die sind nicht hilfreich, denn so hat derjenige, der das Strafrecht anwenden muss, zwei Probleme: Soll ich strafen oder nicht? Und was eigentlich ist eine gerechte Strafe? Da ist jetzt immer klar gesagt: ‚wird gestraft‘. Und dann gibt es im neuen Gesetzbuch und im neuen Strafrecht einen langen ‚Canon‘, in dem alle möglichen Strafen aufgezählt werden. Dort sind auch neue Strafen hinzugekommen; so kann die Bischofskonferenz jetzt auch eine Ordnung feststellen, nach der Geldstrafen oder Gehaltskürzungs-Strafen verhängt werden können.

Dann der zweite Anlass – wie soll man das sagen? Das Strafrecht war so geschrieben, dass man es eigentlich nicht anwenden sollte… Das war der eine Punkt: dass man es klarer machen musste! Der andere Punkt war, dass es etwa durch Gesetze der Glaubenskongregation oder anderer Kongregationen, die bestimmte Gesetzgebung gemacht hatten, vereinzelt weitere Straftaten gab, die sich so im Codex noch nicht fanden; die sollten dann integriert werden. Und dann hat man vor allen Dingen diesen zweiten Teil des Strafrechts-Buches, wo es um die konkreten Straftaten geht, ganz neu geordnet, also die Straftaten besser gruppiert, andere Titel geschaffen usw..“

„Strafrecht wirklich als ein Mittel, das der kirchlichen Leitung hilft“

Radio Vatikan: Ist das ein Kulturbruch? Konnte früher der kirchliche Richter sagen: Naja, ich drücke jetzt mal ein Auge zu – und jetzt muss er strafen?

Graulich: „Na ja, ‚Kulturbruch‘ würde ich nicht sagen. Sagen wir: Es ist eine Rückkehr, indem man das Strafrecht wirklich als ein Mittel sieht, das der kirchlichen Leitung hilft. Das wird in den ‚Canones‘ betont, es wird aber auch von Papst Franziskus in der ‚Apostolischen Konstitution‘, mit der er das neue Recht formuliert, sehr stark unterstrichen.

Er wünscht sich ein flexibleres Strafrecht – flexibel im Sinne der Anwendbarkeit –, das dann als therapeutisches und auch als präventives Mittel wirklich eingesetzt werden kann, und beklagt, dass es vorher nicht eingesetzt wurde und sich dadurch Verhaltensweisen gefestigt haben, die zum Schaden der Kirche gereicht haben – oder zum Schaden der Gläubigen.“

Radio Vatikan: Große Aufmerksamkeit wird das neue Strafgesetzbuch vor allen Dingen für den Bereich Missbrauch bekommen. Ich muss zugeben, dass ich im bisher gültigen Buch VI das Wort Missbrauch nicht gefunden habe; nur eine Formulierung, die vielleicht in die Richtung geht.

„Es wird viele geben, die nachher fragen werden: Warum sind Sie bei dieser alten Formulierung geblieben, also ‚Straftat gegen das sechste Gebot‘?“

Graulich: „Ja, Missbrauch war bisher in einem „Canon“ geregelt, in dem es ungefähr heißt: Wer eine Straftat gegen das sechste Gebot begeht, und zwar mit Gewalt, öffentlich und mit Minderjährigen, der wird bestraft. Dieser ‚Canon‘ stand in dem Bereich, wo das Strafrecht Verstöße gegen besondere Verpflichtungen behandelt. Dort haben wir den Teil, der die Minderjährigen angeht, herausgenommen und haben durch Verschiebung von ‚Canones‘ einen neuen Titel schaffen können, der heißt: Straftaten gegen Freiheit, Würde und Leben des Menschen. Darin finden sich jetzt diese Delikte des Missbrauchs Minderjähriger...

Es sind dort auch die Delikte, die mit Pornographie und mit Internet-Pornografie zu tun haben, klar benannt: also Aufbewahrung von pornographischen Bildern und so weiter. Und im ersten Teil ist dann die Formulierung geblieben: Wer eine Tat mit einem Minderjährigen gegen das sechste Gebot begeht…

Zum Nachhören: Vatikan-Kirchenrechtler Pater Markus Graulich zur Reform des kirchlichen Strafgesetzbuches

Es wird viele geben, die nachher fragen werden: Warum sind Sie bei dieser alten Formulierung geblieben, also ‚Straftat gegen das sechste Gebot‘? Diese Entscheidung ist deshalb gefallen, weil das sechste Gebot moraltheologisch so gefüllt und auch vom Katechismus so gut definiert ist, dass man damit rechtlich arbeiten kann. Wenn wir eine andere Formulierung gewählt hätten, hätte sie immer den Straftatbestand eingeschränkt.

Im (Apostolischen Schreiben) ‚Vos estis lux mundi‘ (des Papstes von 2019) ist zum Beispiel die Rede von einer ‚sexuellen Handlung‘. Und dann haben sich einige beschwert, bei denen es nicht zu sexuellen Handlungen kam, wo aber der Missbrauch in anderer Weise festgestellt wurde. Die haben dann gesagt: Ja, weshalb bin ich bestraft worden? Es war keine sexuelle Handlung! – Also, man muss diesen Begriff beibehalten, um die Weite der Straftat auch weiterhin entsprechend bewerten zu können.“

„Neu ist auch die Sensibilität, dass man die Menschenwürde auch als Gut, als schützenswertes, kirchenrechtlich-strafrechtlich schützenswertes Gut betrachtet“

Radio Vatikan: Es ist zwar nicht Ihre Aufgabe, knallige Überschriften zu formulieren, aber wie würden Sie das Neue in einen Satz oder in eine Überschrift packen? Kann man zum Beispiel sagen: ‚Menschenrechte ziehen ins Kirchenrecht ein‘?

Graulich: „Nein, ich würde es anders nennen. Ich würde sagen: ‚Die Liebeskirche straft wieder!‘ Die Menschenrechte ziehen auch ein, indem z.B. erstmals im kirchlichen Strafrecht die Unschuldsvermutung drinsteht. Jemand gilt also so lange als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist – das stand vorher nicht drin, das finden wir aber in der ‚Erklärung der Menschenrechte‘. Neu ist auch die Sensibilität, dass man die Menschenwürde auch als Gut, als schützenswertes, kirchenrechtlich-strafrechtlich schützenswertes Gut betrachtet.“

Radio Vatikan: Sind noch Desiderata offen geblieben?

Graulich: „Nein. Es gab ja lange Konsultationsprozesse, und dabei gab es Wünsche der Bischofskonferenzen oder einzelner Organe, die befragt wurden, sei es der Kurie oder der Fakultäten für Kirchenrecht – aber da ist, glaube ich, alles eingearbeitet.

Allerdings gab es zum Beispiel im Hinblick auf die neuen Straftaten gegen das Kirchenvermögen, also Veruntreuung, Korruption und so weiter, Formulierungswünsche, die dann nicht akzeptiert werden konnten, weil sie zu weitgehend waren…

„In einem Jahr oder in anderthalb Jahren wird es auch ein Vademecum geben, ein Handbuch für die Anwendung“

Was jetzt natürlich wünschenswert ist, ist, dass es sich auch umsetzt in der Rechtsprechung und in der Gerichtspraxis. Da müssen wir eben abwarten, wie das laufen wird. In einem Jahr oder in anderthalb Jahren – je nachdem, wie lange man dafür braucht – wird es auch ein Vademecum geben, ein Handbuch für die Anwendung, das dann hoffentlich den Richtern und den Bischöfen hilft, das neue Strafrecht anzuwenden.“

Radio Vatikan: Eine Front im Einsatz gegen Missbrauch im kirchlichen Raum betrifft die Rechnungslegung, die Verantwortung der Bischöfe. Spiegelt sich das jetzt auch im neuen Strafgesetzbuch wider, oder war das schon drin?

Graulich: „Das war ein bisschen versteckt drin. Es ist jetzt deutlicher formuliert; so wird mit einer Strafe belegt, wer eine Anzeige nicht weitergibt, wenn ihn das kirchliche Recht dazu verpflichtet hätte. Das ist drin. Und das heißt natürlich: nicht nur kirchenintern, sondern auch kirchenextern. Denn viele Ordnungen der Bischofskonferenzen und so weiter sehen auch vor, dass man etwa beim Missbrauch die Straftat den zivilen Behörden anzeigt. Daher ist das jetzt da drin.“

(vatican news)
 

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01. Juni 2021, 11:30