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Kardinal Mario Grech ist Generalsekretär der Bischofssynode Kardinal Mario Grech ist Generalsekretär der Bischofssynode 

Grech zur Synodenreform: „Unterscheidung beginnt mit Zuhören“

Sinn der Umgestaltung der Bischofssynode ist eine breitere Beteiligung der Teilkirchen und ein besserer innerkirchlicher Austausch. Entscheidungen in der Kirche begännen immer mit Zuhören, betont der Generalsekretär der Bischofssynode im Interview mit den Vatikan-Medien: „Nur so können wir verstehen, wie und wohin der Geist die Kirche führen will“, so Kardinal Mario Grech.

Andrea Tornielli - Vatikanstadt

Vatican News wollte von dem Generalsekretär der Bischofssynode zunächst wissen: Warum wurde die Synode verschoben?

Kardinal Grech: „Die Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode als solche wird im Oktober 2023 stattfinden. Die dramatische Pandemie-Situation riet zur Geduld, denn die feierliche Durchführung dieses kirchlichen Ereignisses erfordert auf jeden Fall die Anwesenheit der Bischöfe in Rom. Zum anderen bestand die Notwendigkeit, die in der Apostolischen Konstitution Episcopalis communio festgelegten Normen in einem größeren Zeitrahmen anzuwenden. Papst Franziskus hat dieses wichtige Dokument am 15. September 2018 veröffentlicht und damit die Synode von einem Ereignis in einen Prozess verwandelt.

Früher war die Synode eine kirchliche Veranstaltung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt eröffnet und beendet wurde, normalerweise drei bis vier Wochen dauerte und bei der die Mitglieder der Bischofsversammlung involviert waren. Dies war die Form, die Papst Paul VI. 1965 der Synode gegeben hatte. Im Motu proprio Apostolica sollicitudo vom 15. September 1965 errichtete der Papst ein Gremium von Bischöfen, die ,direkt und unmittelbar der Autorität des Papstes unterstehen‘ und - wie der Titel des Motu proprio sagt - an der petrinischen Funktion der ,Sorge für die ganze Kirche‘ teilnehmen sollten. Ziel der Synode war es, ,eine enge Verbindung und Zusammenarbeit zwischen dem Papst und den Bischöfen der ganzen Welt zu fördern‘; ,direkte und genaue Informationen über die Probleme und Situationen zu erhalten, die das innere Leben der Kirche und das Handeln, das sie in der gegenwärtigen Welt durchführen muss, betreffen‘; ,die Übereinstimmung der Meinungen zumindest in den wesentlichen Punkten der Lehre und der Art und Weise des Handelns im Leben der Kirche zu erleichtern‘.“

Eine Kirche des Hörens  

„Die Zeit war reif war für eine breitere Beteiligung des Volkes Gottes an einem Entscheidungsprozess, der die ganze Kirche und jeden in der Kirche betrifft.“

Vatican News: Was lehrt uns ein halbes Jahrhundert Synodengeschichte?

Kardinal Grech: „Die Geschichte der Synode zeigt, wie viel Gutes diese Versammlungen der Kirche getan haben, aber auch, dass die Zeit reif war für eine breitere Beteiligung des Volkes Gottes an einem Entscheidungsprozess, der die ganze Kirche und jeden in der Kirche betrifft. Das erste Zeichen war klein, aber bedeutsam: der Fragebogen, der bei der ersten Synodenversammlung zur Familie im Jahr 2014 an alle verschickt wurde. Anstatt den Bischöfen die von Experten vorbereiteten Lineamenta (Leitlinien, Anm.) zu schicken und um Antworten zu bitten, die es dem Synodensekretariat ermöglichen, das Instrumentum Laboris (Arbeitsinstrument für die Synode, Anm.) zu erstellen, das in der Versammlung diskutiert werden soll, wollte der Papst, dass alle kirchlichen Realitäten in ihrer Breite angehört werden sollten.

Franziskus' Rede vom 17. Oktober 2015 zum 50. Jahrestag der Einrichtung der Bischofssynode hat das Szenario der ,konstitutiv synodalen Kirche‘ vollständig eröffnet. Einer der meistzitierten Sätze von Papst Franziskus stammt aus dieser Rede: ,Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet‘, und er beschrieb die synodale Kirche als eine ,Kirche des Hörens‘, in der jeder vom anderen lernen muss: das Volk Gottes, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom. Hier ist der synodale Prozess tatsächlich angelegt, in dem ,die Bischofssynode der Konvergenzpunkt dieser Dynamik des Hörens ist, die auf allen Ebenen der Kirche stattfindet‘: in den Teilkirchen, die auf das Volk Gottes hören; auf den Zwischenebenen der Synodalität, vor allem in den Bischofskonferenzen, wo die Bischöfe ihre Funktion der Unterscheidung ausüben; und schließlich auf der Ebene der Gesamtkirche, in der Versammlung der Bischofssynode. Episcopalis communio tut nichts anderes, als diese Ideen zu verankern.“

Vom Ereignis zum Prozess

Vatican News: Was sind, kurz gesagt, die Neuerungen, die durch das jetzt veröffentlichte Dokument eingeleitet werden?

Kardinal Grech: „Die erste und größte Neuerung ist die Umwandlung der Synode vom Ereignis zum Prozess. Während die Synode früher allein in der Durchführung der Versammlung bestand, entwickelt sich jetzt jede Synodenversammlung entsprechend aufeinanderfolgender Phasen, die die Apostolische Konstitution ,Vorbereitungsphase, Durchführungsphase und Umsetzungsphase‘ nennt. Die erste Phase hat die Beratung des Volkes Gottes in den Teilkirchen zum Ziel. In seiner Ansprache zum 50. Jahrestag der Einrichtung der Bischofssynode bestand der Papst sehr darauf, auf den ,sensus fidei‘ des Volkes Gottes zu hören. Man kann sagen, dass dies eines der stärksten Themen des gegenwärtigen Pontifikats ist: Viele Beobachter betonen zu Recht das Thema der Kirche als Volk Gottes; aber was dieses Volk für den Papst am meisten charakterisiert, ist der ,sensus fidei‘, der es ,unfehlbar in credendo‘ macht. Das ist ein traditionelle Grundüberzeugung in der Lehre, die sich durch das ganze Leben der Kirche zieht: ,die Gesamtheit der Glaubenden kann im Glauben nicht irren‘ - Kraft des Lichtes, das vom Heiligen Geist kommt, der in der Taufe gegeben wird. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt, dass das Volk Gottes an der prophetischen Funktion Christi teilhat. Deshalb ist es notwendig, ihm zuzuhören, und um ihm zuzuhören, ist es notwendig, dorthin zu gehen, wo es lebt - in die Teilkirchen. Das Prinzip, das diese Beratung des Volkes Gottes leitet, ist das alte Prinzip, dass ,von allen besprochen werden muss, was alle betrifft‘. Es geht nicht um Demokratie, Populismus oder ähnliches; die Kirche ist das Volk Gottes, und dieses Volk ist aufgrund der Taufe ein aktives Subjekt des Lebens und der Sendung der Kirche.“

„Die Fragen, die die Seelsorger zu unterscheiden haben, sind die, die sich aus der Konsultation des Volkes Gottes ergeben haben, nicht andere.“

Vatican News: Warum ist diese erste Vorbereitungsphase wichtig?

Kardinal Grech: „Die Tatsache, dass diese Phase als vorbereitend bezeichnet wird, könnte einige Leute in die Irre führen und sie glauben machen, die erste Phase sei nicht Teil des synodalen Prozesses; in Wirklichkeit gäbe es ohne diese Konsultation keinen synodalen Prozess, denn die Unterscheidung der Hirten, die die zweite Phase darstellt, geschieht auf der Grundlage dessen, was sich aus dem Hören auf das Volk Gottes ergeben hat! Diese beiden Handlungen sind eng miteinander verbunden, ich würde sagen, sie ergänzen sich: Die Fragen, die die Seelsorger zu unterscheiden haben, sind die, die sich aus der Befragung (der Glaubenden, Anm.) ergeben haben, nicht andere. Das Instrumentum Laboris (Arbeitsgrundlage für die Synode, Anm.) wird auf der Grundlage dieser beiden Akte verfasst, die sich auf zwei Subjekte beziehen: das Volk Gottes und seine Hirten. Die Unterscheidung der Hirten gipfelt in der Synodenversammlung, die die Unterscheidung aller Bischofskonferenzen, der nationalen und kontinentalen, und des Rates der Patriarchen der Ostkirchen zusammenführt. Es ist wie ein Chor, der den gesamten katholischen Episkopat in den synodalen Prozess einbezieht. Wie kann man von einem so breiten und partizipativen synodalen Weg nicht große Früchte erhoffen? Und wie kann man nicht hoffen, dass die Hinweise, die aus der Synode hervorgegangen sind, durch die dritte Phase, die der Umsetzung, zu einem Vektor für die Erneuerung und Reform der Kirche werden?“

Ein fruchtbares Prinzip

Vatican News: Was war der Grund, der den Papst und das Sekretariat der Synode dazu bewegte, diesen neuen Weg einzuschlagen?

Kardinal Grech: „Der synodale Prozess wurde nicht am Schreibtisch erdacht, sondern ist aus dem Weg der Kirche in der nachkonziliaren Zeit selbst entstanden. Am Anfang war alles auf eine Versammlung von Bischöfen beschränkt. Aber schon Paul VI. hatte deutlich gemacht, dass die Synode, wie jedes kirchliche Gremium, unvollkommen ist. Das war ein Anfang. Ohne diesen Anfang würden wir hier wahrscheinlich nicht über Synodalität und die konstitutiv synodale Kirche sprechen. Das Thema der Synodalität hatte in der kirchlichen Praxis und ekklesiologischen Reflexion des zweiten Jahrtausends in der katholischen Kirche eine ungebrochene Blütezeit. Synodalität war eine typische Praxis der Kirche des ersten Jahrtausends, die in der orthodoxen Kirche fortgesetzt wird. Das Neue in der katholischen Kirche ist, dass die Synodalität als Krönung eines langen Prozesses der Lehrentwicklung wieder auftaucht. Dieser Prozess führte zur Klärung des petrinischen Primats im I. Vatikanum, zur bischöflichen Kollegialität im II. Vatikanum und heute, durch die fortschreitende Rezeption der konziliaren Ekklesiologie, insbesondere des Kapitels II von Lumen Gentium über das Volk Gottes, zur Synodalität als einer Form der Beteiligung aller am Weg der Kirche. Das ist eine große Perspektive, die die Tradition der Kirche des Ostens und des Westens vereint und der synodalen Kirche jenes Prinzip der Einheit gibt, das in der Kirche der Väter fehlte, als die Funktion der Einheit vom Kaiser übernommen wurde!

Der synodale Prozess ist der Lackmustest 

Auch auf ökumenischer Ebene können von dieser Synodenreise große Früchte erwartet werden. Der Papst hat es in seiner Rede zum 50. Jahrestag der Einrichtung der Synode gesagt: Synodalität als konstitutive Dimension der Kirche bietet auch einen angemessenen Rahmen für das Verständnis des hierarchischen Amtes, vor allem des Petrusamtes, mit dem Papst, der - so Papst Franziskus - ,nicht allein über der Kirche steht, sondern in ihr als Getaufter unter den Getauften und innerhalb des Bischofskollegiums als Bischof unter den Bischöfen steht und der - als Nachfolger des Apostels Petrus – zugleich berufen ist, die Kirche von Rom zu leiten, die in der Liebe allen Kirchen vorsteht.‘ Der synodale Prozess ist der Lackmustest für diese wirklich anspruchsvolle Vision der Kirche.“

„Es klingt wie ein Slogan, aber die Bedeutung ist präzise: Synodalität ist die Form der Gemeinschaft des Kirchenvolkes Gottes“

Teilhabe aller Glieder der Gemeinschaft

Vatican News: Welche Früchte können wir von dieser neuen Art, die Synode durchzuführen, erwarten?

Kardinal Grech: „Bei der nächsten Synodalversammlung geht es thematisch um Synodalität. Die zu erhoffenden Ergebnisse sind ja schon im Titel angedeutet, den der Papst für die Versammlung ausgesucht hat: ,Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Partizipation und Mission‘. Schon lange wird von der Gemeinschaft als einem konstitutiven Element der Kirche gesprochen. Heute scheint klar zu sein, dass eine solche Gemeinschaft entweder synodal ist oder es keine Gemeinschaft ist. Es klingt wie ein Slogan, aber die Bedeutung ist präzise: Synodalität ist die Form der Gemeinschaft des Kirchenvolkes Gottes. Im gemeinsamen Gehen des Volkes Gottes mit seinen Hirten, im synodalen Prozess, an dem alle teilnehmen, jeder entsprechend seiner Funktion - das Volk Gottes, das Bischofskollegium, der Bischof von Rom -, wird eine Wechselseitigkeit der Themen und Funktionen bestimmt, die die Kirche unter der Führung des Geistes auf ihrem Weg vorwärtsbringt.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass in der Vergangenheit vielleicht etwas viel auf der ,communio hierarchica‘ bestanden wurde: der Idee, dass die Einheit der Kirche nur durch die Stärkung der Autorität der Hirten erreicht werden könne. In mancher Hinsicht war diese Phase auch notwendig, als nach dem Konzil verschiedene Meinungsverschiedenheiten auftauchten. Aber das kann nicht die normale Art sein, kirchliche Gemeinschaft zu leben, die Zirkularität, Gegenseitigkeit, ein gemeinsames Unterwegssein in Bezug auf die jeweiligen Funktionen im Volk Gottes verlangt. Die Gemeinschaft kann daher nur in die Teilnahme aller am Leben der Kirche übersetzt werden, jeder entsprechend seiner spezifischen Bedingung und Funktion. Der synodale Prozess zeigt dies alles gut.”

„Möge eine Frucht der Synode darin bestehen, dass wir alle verstehen, dass Entscheidungsfindung in der Kirche immer mit Zuhören beginnt, denn nur so können wir verstehen, wie und wohin der Geist die Kirche uns führen will“

Vatican News: Mehrmals hat Papst Franziskus die Bedeutung des Volkes Gottes und die Notwendigkeit betont, den Frauen in der Kirche mehr Raum zu geben. Gleichzeitig hat er die Gefahr des Klerikalismus angeprangert. Wie geht das neue Vatikandokument auf diese Bitten ein? Arbeiten Sie daran, andere Neuheiten einzuführen, die eine umfassendere Beteiligung des Volkes Gottes in allen seinen Komponenten ermöglichen?

Kardinal Grech: „Das ganze Volk Gottes ist in den synodalen Prozess eingebunden. Die Bedeutung, die dem Volk Gottes beigemessen wird, zeigt sich an der Konsultation, die der Gründungsakt der Synode ist. Ich wiederhole: Die Konsultation des Volk Gottes ist bereits Teil des synodalen Prozesses, sie ist sein erster und unverzichtbarer Akt. Die Unterscheidung hängt von dieser Befragung ab. Diejenigen, die sagen, dass das nicht relevant und im Grunde nur ein vorbereitender Akt sei, verstehen wahrscheinlich nicht die Bedeutung des ,sensus fidei‘ des Volkes Gottes. Wie ich bereits gesagt habe, war dies in der frühen Kirche der einzige Fall von Unfehlbarkeit, der in der Kirche anerkannt wurde: ,die Gesamtheit der Glaubenden kann im Glauben nicht irren‘. Hier hat jeder seinen Platz und die Möglichkeit, sich auszudrücken. Der Wille des Generalsekretariats ist es, allen die Möglichkeit zu geben, sich Gehör zu verschaffen; dieses Zuhören ist die wahre ,pastorale Umkehr‘ der Kirche. Möge eine Frucht der Synode darin bestehen, dass wir alle verstehen, dass Entscheidungsfindung in der Kirche immer mit Zuhören beginnt, denn nur so können wir verstehen, wie und wohin der Geist die Kirche uns führen will.“

Wechselseitigkeit von Beratung und Unterscheidung

Vatican News: Was wird die Rolle der Bischöfe sein?

Kardinal Grech: „Wir dürfen nicht vergessen, dass der Moment der Unterscheidung vor allem den in der Versammlung versammelten Bischöfen anvertraut ist. Einige werden sagen, dass dies Klerikalismus ist, dass es der Wille ist, die Kirche in ihren Machtpositionen zu erhalten. Aber wir dürfen mindestens zwei Dinge nicht vergessen. Das erste, immer wieder vom Papst wiederholt: dass eine synodale Versammlung kein Parlament ist. Sie mit Repräsentations- oder Quotensystemen zum Funktionieren zu bringen, birgt das Risiko, eine Art von Konziliarismus wieder aufleben zu lassen, der bereits weitgehend begraben ist. Zweitens sagt das Konzil, dass die Bischöfe das ,Prinzip und die Grundlage der Einheit in ihren Teilkirchen‘ sind. Die Bischöfe haben also eine Funktion der Unterscheidung, die ihnen aufgrund des Dienstes, den sie im Namen der Kirche ausüben, zukommt. Meiner Meinung nach liegt die Stärke des Prozesses in der Wechselseitigkeit zwischen Beratung und Unterscheidung. Darin liegt das fruchtbare Prinzip, das zu weiteren Entwicklungen in der Synodalität, in der synodalen Kirche und in der Bischofssynode führen kann. Aber das können wir heute noch nicht wissen: Je mehr wir gehen, desto mehr lernen wir beim Gehen. Ich bin überzeugt, dass die Erfahrung der nächsten Synode uns viel über Synodalität und deren Umsetzung sagen wird.”

(vatican news)

 

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21. Mai 2021, 12:28