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Papst Franziskus im Irak: ein historischer Besuch Papst Franziskus im Irak: ein historischer Besuch  Leitartikel

Papst Franziskus und der Islam: Drei Eckpfeiler eines Lehramts

Ein roter Faden zieht sich durch die programmatischen Papstreden in Baku, Kairo und Ur, die auf die Notwendigkeit einer authentischen Religiosität und der Geschwisterlichkeit, wie auch auf ein konkretes Engagement für Gerechtigkeit und Frieden hinweisen.

Andrea Tornielli - Vatikanstadt

Es gibt einen roten Faden, der sich durch die drei wichtigsten Stellungnahmen zieht, die Papst Franziskus zum interreligiösen Dialog gemacht hat, besonders den mit Blick auf den Islam. Die Rede ist von einem Lehramt, das auf drei grundlegenden Bezugspunkten fußt: der Rolle, die die Religion in unseren Gesellschaften spielt; dem Kriterium der authentischen Religiosität und dem konkreten Weg, den wir als Brüder und Schwestern einschlagen sollen, um Frieden zu schaffen. Wir finden sie in den Ansprachen, die der Bischof von Rom 2016 in Aserbaidschan, 2017 in Ägypten und jetzt bei seiner historischen Reise in den Irak gehalten hat, im geschichtsträchtigen Ur der Chaldäer, der Stadt Abrahams.

Die erste Rede war an die Schiiten und die anderen Religionsgemeinschaften Aserbaidschans gerichtet; die zweite an die sunnitischen Muslime in Ägypten; die dritte an ein breiteres interreligiöses Publikum –  wenn auch mit muslimischer Mehrheit –, zu dem nicht nur Christen, sondern auch Vertreter der alten mesopotamischen Religionen gehörten. Was Franziskus vorschlägt und umsetzt, ist kein Ansatz, der Unterschiede und Identitäten vergisst, um alles zu verflachen. Es ist vielmehr ein Aufruf dazu, der eigenen religiösen Identität treu zu sein, um jede Instrumentalisierung der Religion im Namen des Hasses, der Spaltung, des Terrorismus und der Diskriminierung zurückzuweisen und in unseren zunehmend säkularisierten Gesellschaften Zeugnis dafür abzulegen, wie sehr wir Gott brauchen.

In Baku erinnerte Franziskus vor dem Scheich der Muslime des Kaukasus und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften des Landes an die „große Aufgabe“ der Religionen, die darin besteht, die Menschen „auf ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens zu begleiten und ihnen zu helfen zu begreifen, dass die begrenzten Fähigkeiten des Menschen und die Güter dieser Welt niemals zu absoluten Größen werden dürfen.“ In Kairo hatte Franziskus bei der internationalen, von Großimam al-Tayyeb geförderten Friedenskonferenz gesagt, dass der Berg Sinai „uns vor allem daran erinnert, dass ein echter Bund auf Erden nicht auf den Himmel verzichten kann, dass die Menschheit nicht den Vorsatz fassen kann, sich in Frieden zu treffen, wenn sie Gott von ihrem Horizont ausschließt, und sie auch nicht auf den Berg steigen kann, um sich Gottes zu bemächtigen“. Eine sehr zeitgemäße Botschaft angesichts dessen, was der Papst ein „gefährliches Paradoxon“ nennt, nämlich einerseits die Tendenz, die Religion in die Privatsphäre zu verbannen, „ohne sie als konstitutive Dimension des Menschen und der Gesellschaft anerkennen zu wollen“; und andererseits die unangebrachte Verwechslung zwischen der religiösen und der politischen Sphäre.

In Ur hat Franziskus am Samstag, den 6. März, daran erinnert, dass, wenn der Mensch „Gott ausschließt, er am Ende irdische Dinge anbetet“. Er hat dazu aufgerufen, „den Blick zum Himmel zu heben“ und erläutert, was „wahre Religiosität“ ist: „Gott anbeten und den Nächsten lieben.“ In Kairo betonte der Papst, dass die religiösen Führer gerufen sind, „die Gewalt zu entlarven, die sich hinter einem vermeintlichen sakralen Charakter verbirgt, während sie die Egoismen verabsolutiert anstatt die authentisch Öffnung auf das Absolute hin zu fördern" und „die Verletzungen der Menschenwürde und der Menschenrechte zu brandmarken und die Versuche aufzudecken, jegliche Form von Hass im Namen der Religion zu rechtfertigen, und sie als götzendienerische Verfälschung Gottes zu verurteilen".

In Baku hob der Papst die Aufgabe der Religionen hervor, „das Gute zu erkennen und durch Werke, Gebet und die Mühe der Arbeit an sich selbst praktisch umzusetzen, dazu berufen, die Kultur der Begegnung und des Friedens aufzubauen, die aus Geduld, Verständnis und bescheidenen konkreten Schritten besteht." In einer Zeit des Konflikts müssten die Religionen – so der Nachfolger Petri in Aserbaidschan – „Morgenröte des Friedens sein, Samen der Wiedergeburt inmitten der Verwüstung des Todes, Echo des Dialogs, das unermüdlich widerhallt, Wege der Begegnung und Versöhnung, um auch dort anzukommen, wo die Versuche der offiziellen Vermittlung keine Wirkung zu haben scheinen“. In Ägypten hatte er erklärt, dass „gewaltsame Aufhetzung den Frieden nicht gewährleisten wird“ und dass, „um Konflikten vorzubeugen und Frieden aufzubauen, es wesentlich ist, sich für die Beseitigung der Situationen der Armut und der Ausbeutung einzusetzen  – hier nämlich fassen Extremisten einfacher Fuß.“ Diese Worte fanden auch in der Rede von Ur Widerhall: „Es wird keinen Frieden geben ohne Teilen und Aufnahme, ohne eine Gerechtigkeit, welche die Gleichheit und Förderung aller, angefangen bei den Schwächsten, gewährleistet. Es wird keinen Frieden geben ohne Völker, die anderen Völkern die Hand reichen.“

Die drei päpstlichen Ansprachen weisen somit auf die Rolle der Religiosität in einer Welt hin, in der Konsumdenken und Ablehnung des Heiligen vorherrschen und die Tendenz besteht, den Glauben in den privaten Bereich zu verbannen. Und dennoch verspüren die Menschen – wie Franziskus betont – das Bedürfnis nach einer authentischen Religiosität, die die Anbetung Gottes nie von der Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern trennt. Indem er an die Notwendigkeit erinnert, sich für die Sache des Friedens einzusetzen und die Probleme und konkreten Bedürfnisse der Ausgestoßenen, Armen und Wehrlosen anzugehen, zeigt der Papst einen Weg auf, wie die Religionen zum Wohl unserer Gesellschaften beitragen können: indem sie nämlich Seite an Seite gehen, „alle Brüder und Schwestern", um Handwerker des Friedens und der Gerechtigkeit zu sein, jenseits aller Unterschiede und im Respekt der Identität des anderen. Als Beispiel dafür erinnerte Franziskus an die Hilfe, die junge Muslime ihren christlichen Brüdern und Schwestern bei der Verteidigung der Kirchen in Bagdad geleistet haben. Ein weiteres dramatisches Beispiel war das Zeugnis von Rafah Hussein Baher, einer irakischen Frau der mandäischen Gemeinde, die in Ur an das Opfer von Najay, einem Mandäer aus Basra, erinnern wollte, der sein Leben hingab, um das seines muslimischen Nachbarn zu retten.

(vaticannews - skr)

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10. März 2021, 13:10