Menschenhandel: Opfer durchlaufen eine Extremform von Gefangenschaft Menschenhandel: Opfer durchlaufen eine Extremform von Gefangenschaft 

8. Februar: Franziskus und der Kampf gegen Menschenhandel

Zum siebten Mal sind katholische Gläubige weltweit am Montag, den 8. Februar, zu Gebet und Besinnung auf das Thema Menschenhandel eingeladen. Papst Franziskus hat diesen Gedenktag 2015 eingeführt. Seine Initiativen im Kampf gegen Menschenhandel und moderne Sklaverei sind zahlreich. Ein Überblick.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Dass Franziskus den Kampf gegen Menschenhandel mit großer Energie aufnehmen würde, stellte er bald nach seiner Wahl klar. In „Evangelii Gaudium“, der geistlichen „Regierungserklärung“ seines Pontifikats, schrieb der Papst im November 2013: „Immer hat mich die Situation derer mit Schmerz erfüllt, die Opfer der verschiedenen Formen von Menschenhandel sind. Ich würde mir wünschen, dass man den Ruf Gottes hörte, der uns alle fragt: ,Wo ist dein Bruder?´ (Gen 4,9). Wo ist dein Bruder, der Sklave? Wo ist der, den du jeden Tag umbringst in der kleinen illegalen Fabrik, im Netz der Prostitution, in den Kindern, die du zum Betteln gebrauchst, in dem, der heimlich arbeiten muss, weil er nicht legalisiert ist? Tun wir nicht, als sei alles in Ordnung! Es gibt viele Arten von Mittäterschaft. Die Frage geht alle an! Dieses mafiöse und perverse Verbrechen hat sich in unseren Städten eingenistet, und die Hände vieler triefen von Blut aufgrund einer bequemen, schweigenden Komplizenschaft.“ (211)

Zuvor schon, wenige Wochen nach seinem Amtsantritt, hatte Franziskus in wenigen Zeilen einen Landsmann im Vatikan gebeten, in der Frage Menschenhandel programmatisch aktiv zu werden. Dem argentinischen Bischof Marcelo Sánchez Sorondo, Kanzler der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und der Sozialwissenschaften, schrieb er: „Marcelo, ich glaube es wäre gut, Menschenhandel und moderne Sklaverei zu untersuchen. Organhandel könnte man in Verbindung mit Menschenhandel untersuchen. Danke sehr. Franziskus“.

Vatikan arbeitet mit NGOs und Polizeibehörden zusammen

Diese Anregung griffen gleich mehrere Stellen im Vatikan auf. Zentral war von Anfang an die die Zusammenarbeit mit anderen Religionen, mit nichtkirchlichen NGOs und mit staatlichen Kräften, sodass im Lauf der Jahre ein dichtes, durchaus vielstimmiges Netzwerk mit dem gemeinsamen Ziel wuchs, Menschenhandel und moderne Sklaverei wirksam zu bekämpfen und den Opfern zu helfen. Der Vatikan wurde zu einer Art Denk- und Schaltzentrale für Strategien gegen Menschenhandel.

Die Päpstliche Akademie für Wissenschaft nahm ihre Arbeit zum Thema zeitgleich zum Erscheinen von Evangelii Gaudium im November 2013 auf. Im Jahr darauf lud man hochrangige Vertreter der Weltreligionen in den Vatikan, um Kräfte im Kampf gegen den Menschenhandel zu bündeln. Sie unterzeichneten am 2. Dezember 2014 mit Papst Franziskus eine Erklärung gegen Menschenhandel und moderne Sklaverei, der erste Text dieser Art mit Vatikan-Beteiligung. In der Erklärung brandmarkten die Religionsvertreter Menschenhandel und moderne Formen der Sklaverei als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und riefen alle Staaten dazu auf, dagegen vorzugehen. Zugleich verpflichteten sie sich, Gläubige und alle „Menschen guten Willens“ für den Kampf gegen diese Verbrechen zu mobilisieren. Ehrgeizig war das erklärte Ziel: Es lautete, die „moderne Sklaverei weltweit bis 2020 und für alle Zeiten abzuschaffen“, was leider als vorerst gescheitert gelten muss.

Erklärung gegen Menschenhandel: Sklaverei abschaffen

Zu den Unterzeichnern zählten neben dem Papst unter anderen das Ehrenoberhaupt der Anglikaner, Erzbischof Justin Welby, ein Vertreter des Ökumenische Patriarchen von Konstantinopel Bartholomaios, der Rabbiner David Rosen für das American Jewish Committee, zwei alte Freunde des Papstes aus Argentinien, Rabbiner Abraham Skorka und Scheich Omar Abboud, sowie die Inderin Mata Amritanandamayi, genannt Amma, die in ihrer Heimat viele Hilfsprojekte initiierte. Bemerkenswert ist, dass auch der Kairoer Großimam von Al-Azhar, Ahmed Al-Tayyeb, durch einen Gesandten seine Unterschrift unter die Erklärung setzte. Er hatte 2011 nach einer als streitbar empfundenen Aussage von Papst Benedikt XVI. zum Schutz von Kopten vor Anschlägen in Ägypten die Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. Dennoch hatte sich die Al-Azhar-Universität und die anglikanische Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl bereits im März 2014 zu einem „Global Freedom Network“ zusammengeschlossen, und heute, 2021, ist Al-Tayyeb der wichtigste Verbündete von Papst Franziskus im Anliegen, Geschwisterlichkeit und Frieden zwischen Menschen jedweden Credos zu fördern.

Santa Marta Group

Im April 2014 formierte sich im Vatikan die sogenannte Santa Marta Group: Im Gästehaus Santa Marta, das dem Papst als Residenz dient, treffen sich im Kampf gegen Menschenhandel regelmäßig Bischöfe, Fachleute von NGOS und Verantwortliche internationaler Polizeibehörden aus über 30 Ländern. Sie suchen nicht nach der einen fertigen Lösung für ein außerordentlich komplexes und länderübergreifendes Problem, sondern erarbeiten opferzentrierte Maßnahmen gegen Menschenhandel anhand der Erfahrung ihrer Mitglieder mit unterschiedlichen Hintergründen. Zuletzt beschäftigte sich die Santa Marta Group auf ihrer Webseite mit der Frage, wie die Corona-Pandemie den Kampf gegen Menschenhandel verändert.

„Nicht mehr Knechte, sondern Brüder“ – unter diesem Motto stand die Papstbotschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2015. Darin bezeichnete Franziskus neue Formen der Sklaverei – Menschenhandel, Zwangsarbeit, Prostitution, Organhandel – als „Plage der Menschheit“. Bei einem Treffen mit Fachleuten und Angehörigen der Päpstlichen Akademien der Wissenschaft und der Sozialwissenschaft im April 2015 betonte der Papst, es brauche eine weltweite Strategie gegen Menschenhandel. Wer sich „zu Komplizen dieses unmenschlichen Marktes“ macht, so der Papst, sei zu bestrafen, und wer will, kann dabei auch an Freier von Zwangsprostituierten denken. Viel zu oft, so Franziskus, würden „neue Formen der Sklaverei von staatlichen Institutionen beschützt statt bekämpft.“ 

Im Vatikan zu Gast: Bürgermeister, afrikanische Richterinnen und mehr

Die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften richtete mehrere hochkarätige Konferenzen und Workshops zum Menschenhandel aus, namentlich ein Seminar zum Thema Kinderhandel. Am Sitz der Akademie, der Casina Pio IV. in den Vatikanischen Gärten (wo auch die Päpstliche Akademie der Wissenschaften zu Hause ist) trafen sich im Juli 2015 Bürgermeister und Kommunalpolitiker aus Großstädten aller Kontinente mit dem Ziel, „best practices“ im Kampf gegen Menschenhandel auszutauschen, eine weitere Konferenz im Juni 2016 brachte am selben Ort  Richter, Staatsanwälte und Juristen zusammen. Der Papst brandmarkte bei dieser Gelegenheit Menschenhandel, moderne Sklaverei, Organhandel und organisierte Kriminalität erneut als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. 2019 trafen sich auf Einladung des Vatikan afrikanische Richterinnen und Staatsanwältinnen im Vatikan. „Ihr Engagement, Ihre Integrität kann aktiv an der Rettung von Hunderten von Opfern und potenziellen Opfern des Menschenhandels in all seinen Formen mitwirken“, sagte der Papst den Afrikanerinnen. „Ihr Mut und Ihre Integrität sind zu bewundern, und es gibt auch viele, die Ihrer Konsequenz und Ihrem Engagement vertrauen und sie brauchen.“

Papst Franziskus kennt auch persönlich Opfer von Menschenhandel. Er unterhielt sich mehrfach mit missbrauchten Frauen, die ihm ihr Schicksal erzählten, unter anderem Nigerianerinnen und Südamerikanerinnen. Im August 2016 besuchte er im Rahmen der Freitage der Barmherzigkeit ein kirchliches Haus am Stadtrand von Rom, in dem sich die Gemeinschaft Papst Johannes XXIII. um frühere Zwangsprostituierte kümmert. Als er ihnen zugehört hatte, bat er die Frauen für das Fehlverhalten vieler Christen um Vergebung. Ein anderes Mal hörte er eine Stunde lang bei sich in der Residenz Santa Marta der Mexikanerin Karla Jacinto zu, eine junge Frau, die im Alter zwischen 12 und 16 Jahren als Sex-Sklavin, ein Kind noch, bis zu 30 Mal am Tag vergewaltigt worden war. Diese Begegnung erschütterte den Papst zutiefst.

2017 lud der Papst öffentlich zu einem „Kreuzweg der missbrauchten Frauen“ ein, den die Gemeinschaft Papst Johannes XXIII. in Rom veranstaltete. Und zwei Jahre später setzte er selbst nach: Er bat die italienische Ordensfrau und Anti-Sklaverei-Aktivistin Eugenia Bonetti, die Meditationen für den päpstlichen Karfreitags-Kreuzweg am Kolosseum zu schreiben. Eindringlich beklagen diese Texte die Gleichgültigkeit wohlhabender Europäer für das Schicksal dieser Frauen. Allein das Zuhören war schwer erträglich.

 

Aus dem Vatikan: Pastorale Leitlinien zu Menschenhandel

Die eine große Vatikanbehörde, die Strategien gegen Menschenhandel sucht und Opferschutz vorantreibt, ist die Abteilung für Flüchtlinge und Migranten am Entwicklungsdikasterium. Die Abteilung steht direkt unter der Leitung des Papstes, das hatte Franziskus bei der Umorganisation so verfügt. Ihn vertritt an der Spitze der kanadische Kardinal Michael Czerny. 2019 erarbeitete die Abteilung mit internationalen Fachleuten pastoralen Leitlinien zum Menschenhandel, die den Einsatz der Kirche im Kampf gegen dieses Übel noch wirksamer gestalten sollen. 

Ordensfrauen als Pionierinnen: Talitha Kum

Bei der Frage Menschenhandel arbeitet der Heilige Stuhl eng mit Talitha Kum zusammen. Das in 90 Ländern tätige Netzwerk von Ordensfrauen, die sich gegen den Menschenhandel stellen, entstand 2009 aus dem gemeinsamen Wunsch, bereits bestehende Aktivitäten von Ordensleuten gegen den Menschenhandel zu koordinieren und zu stärken. Talitha Kum ist ein Projekt der Internationalen Vereinigung der Generaloberinnen (UISG) in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Generaloberen (USG). Papst Franziskus empfing die Leiterinnen von Talitha Kum zu ihrem zehnjährigen Gründungsjubiläum 2019 und bezeichnete die Schwesterngemeinschaften, die im Kampf gegen moderne Sklaverei zusammenarbeiten, als „Avantgarde des missionarischen Handelns der Kirche gegen das Übel des Menschenhandels“. Auf diese Weise zusammenzuarbeiten, sei „ein Vorbild für die ganze Kirche, auch für uns: Männer, Priester, Bischöfe… Es ist ein Vorbild. Macht weiter so!“

#PrayAgainstTrafficking

Zum siebten Internationalen Tag des Gebets und der Besinnung gegen den Menschenhandel am 8. Februar 2021 organisiert Talitha Kum einen Online-Gebetsmarathon. Er findet von 10 bis 17 Uhr römischer Zeit statt und wird live gestreamt, der Hashtag lautet #PrayAgainstTrafficking.

(vatican news – pr/gs)



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07. Februar 2021, 06:54