Der Sekretär der päpstlichen Entwicklungsbehörde, Bruno-Marie Duffé, hier in Brasilien nach dem Dammbruch von Brumadinho Der Sekretär der päpstlichen Entwicklungsbehörde, Bruno-Marie Duffé, hier in Brasilien nach dem Dammbruch von Brumadinho  

Schuldenerlass für arme Länder? Warum die Kirche das begrüßt

Papst Franziskus hat in seiner Osterbotschaft zum Urbi et Orbi abermals einen Schuldenerlass für arme Länder angeregt, damit diese der Coronakrise besser begegnen können. Warum die katholische Kirche seit jeher für solche Maßnahmen eintritt? Weil erlassene Schulden aus einer Abhängigkeit in eine neue Verantwortung führen sollen, erklärt im Gespräch mit uns der Kurienpriester Bruno-Marie Duffé, Sekretär des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen.

Olivier Bonnel und Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Wenige Tage nach Ostern gewährten die führenden Wirtschaftsnationen (G20) den 77 ärmsten Ländern der Welt angesichts der Corona-Krise einen Zahlungsaufschub von einem Jahr, und der Internationale Währungsfonds kündigte an, 19 afrikanischen Staaten und sechs weiteren Ländern die Schulden zu erlassen. Entscheidungen, die wohl nicht direkt auf die Anregung des Papstes zurückgehen, aber unbestritten ist: Sie helfen den Ärmsten.

„Die Abhängigkeit, die aus der Verschuldung entsteht, erlaubt es den Personen, Völkern und Gemeinschaften nicht, sich selbst und ihre Fähigkeiten zu entwickeln“

„Der Schuldenerlass ist, wenn ich so sagen darf, ein Grundzug sowohl für den Gedanken der Befreiung als auch für den der Vergebung”, erklärt Duffé unter Verweis auf die Heilige Schrift und das Sabbatjahr, in dem im Sieben-Jahres-Rhythmus auch Schulden vergeben wurden. Die Soziallehre der Kirche führe diesen Gedanken fort.

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Warum? „Weil es die Abhängigkeit, die aus der Verschuldung entsteht, den Personen, Völkern und Gemeinschaften nicht erlaubt, sich selbst und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Es ist also notwendig, die Logiken der Abhängigkeit zu beenden und stattdessen die Logiken der gegenseitigen Bestätigung und der gegenseitigen Bereicherung einzubringen, das heißt das Sich-Ergänzende der Talente und Charismen wertzuschätzen. Und in diesem Blickwinkel ist der Schuldenerlass - sowohl in Bezug auf die Befreiung als auch in Bezug auf die Entwicklungsfähigkeit - ein zentrales Thema.”

Der Schuldenerlass zielt nicht darauf, schlechte oder korrupte Politik in armen Ländern einfach zu ignorieren, so Duffé weiter. Es sei vielmehr „eine Gelegenheit, Grundüberzeugungen für eine neue internationale Solidarität zu bekräftigen”. Der ausgebildete Sozialethiker erinnert auch daran, dass Geldgeber und Gläubiger jeweils eine Verantwortung für die Schulden haben. Nicht alle Systeme seien auch vergleichbar. „Einige politische und wirtschaftliche Kräfte sind bestrebt, sich zu entwickeln, andere halten ein völlig ungleiches System aufrecht. Einige arbeiten mit Geldgebern und Helfern zusammen, andere nutzen das Schuldensystem, um ein Geflecht der Abhängigkeit und lokale Macht aufrechtzuerhalten.”

„Es geht darum, aus der Abhängigkeit in eine neue Verantwortung zu kommen“

Beim Schuldenerlass gehe es also nicht darum, die Zähler auf Null zurückzusetzen und reinen Tisch zu machen, bringt es der französische Priester auf den Punkt: „Es geht darum, aus der Abhängigkeit in eine neue Verantwortung zu kommen.” Deshalb müsse Schuldenerlass immer Hand in Hand gehen mit wirtschaftlichen und auch darüber hinaus gehenden Überlegungen, etwa zur Bürgerbeteiligung, Zugang zu Bildung und zu fairen Investitionszielen. Die Schuldenfrage sei an sich eine technische, rein finanzielle Frage – doch man müsse sie weiten zu einer Debatte über ganzheitliche Entwicklung, so der Sekretär der päpstlichen Entwicklungsbehörde.

In der gegenwärtigen Krise mahnt Duffé dazu, auf keinen Fall die wirtschaftlichen Entwicklungen aus dem Blick zu verlieren. Selbstverständlich müssten jetzt in der COVID-19-Pandemie Menschenleben gerettet werden. Die zweite Dringlichkeitsebene, die der Wirtschaft, erfordere aber eine Reihe von Entscheidungen. Unternehmen, Dienstleistungen und Finanzreserven seien bedroht, die Folgen schwer absehbar. Duffé spricht sogar schon von einer „dritten Dringlichkeit”, nämlich zu wissen, was wir mit unseren Reserven machen werden. Denn wir sind jetzt aufgerufen, unsere Reserven zu teilen – und das ist kein Wunschdenken mehr, sondern eine Notwendigkeit. Wohin werden wir das Geld stecken? Wem werden wir etwas Geld aus unseren Reserven abtreten, damit diese Wirtschaft abheben kann, im Wissen, dass die Wirtschaft in jedem Fall solidarisch sein muss.”

(vatican news)  

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22. April 2020, 10:50