Pastor Jens-Martin Kruse mit Frau und drei Kindern auf Abschiedsbesuch beim Papst Pastor Jens-Martin Kruse mit Frau und drei Kindern auf Abschiedsbesuch beim Papst 

Rom: Pastor Kruse zieht Bilanz

Zehn Jahre in der Papststadt als deutscher lutherischer Pfarrer, mit Frau und drei Kindern und, ja, privilegierter Vatikananbindung: Jens-Martin Kruse blickt zurück auf eine reiche Zeit mit auch sehr beachtlichen Entwicklungen in der Ökumene.

Gudrun Sailer – Vatikanstadt

Drei, viermal pro Jahr traf Pastor Kruse den Papst persönlich, zuletzt am Donnerstag zur Abschiedsaudienz. Vatican News bat Jens-Martin Kruse danach zum Interview und wollte zunächst ganz einfach von ihm wissen: Wie wars bei Franziskus?

Kruse: „Es war sehr herzlich, vertrauensvoll, eine wunderbare Begegnung, der Papst war ja auch in unserer Kirche 2015 zu Besuch. So hat sich sofort eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre eingestellt, ich habe mich beim Papst bedankt für seinen Dienst als Bischof von Rom und als Papst der römisch-katholischen Kirche, für seine Verkündigung und die Weise, wie er seinen Glauben lebt. Und ihm gesagt, dass es aus meiner Sicht etwas wie ein ökumenischer Primat ist, den er lebt. Und mit dem er einen wichtigen Beitrag zur Annäherung an unsere Kirchen leistet. Das hat den Papst sichtbar gefreut und wir haben uns über verschiedene ökumenische Aktivitäten verständigt und am Ende gesagt: bis zum nächsten Mal! Alla prossima!“

Frage: Gab es auch etwas, das Papst Franziskus Ihnen sagen wollte?

Kruse: „Wir haben kurz, aber intensiv über die ökumenische Lage gesprochen, das Verhältnis zwischen den lutherischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche. Der Papst hat nochmals bestätigt, dass es zwischen der lutherischen und der römisch-katholischen Kirche sehr viele Übereinstimmungen gibt, die es möglich machen, auch an bestimmten Stellen in der nächsten Zeit ein Stück weiter zu kommen.“

Frage: Welche Stellen meint er damit?

Kruse: „Es geht sicher um die Frage, wie es möglich ist, dass konfessionsverbindende Ehepaare gemeinsam am Abendmahl, an der Eucharistie teilnehmen. Da haben sich in den letzten Jahren eine Menge Dinge in eine gute Richtung entwickelt. Und da ist der Papst offensichtlich sehr hoffnungsfroh, dass das auch noch weitergeht.“

Frage: Sie sagten: Alla prossima! Haben Sie den Papst nach Hamburg eingeladen, wohin Sie jetzt zurückgehen?

Kruse: „Wir haben auch über Hamburg gesprochen! Ich habe erzählt, wo ich arbeiten werde ab dem 1. Februar, als Hauptpastor an der St. Petri-Kirche in Hamburg, und von Pietro nach Sankt Peter ist es ja nicht so weit…! Und der Papst hat strahlend davon erzählt, dass er Hamburg gut kennt, dass er mehrmals dort war und auch Freunde dort hat, und – so Gott will – vielleicht gibt es da auch einmal eine Gelegenheit, sich wieder zu begegnen.“

Frage: In der evangelisch-lutherischen Christuskirche, Ihrer Kirche in Rom, waren drei Päpste zu Gast. Der erste war der heilige Papst Johannes Paul II. im Jahr 1983, vor 35 Jahren. Da tut sich ein großer Bogen auf an Entwicklungen. Wie sieht dieser Bogen von heute aus betrachtet aus?

Kruse: „Wenn man sich ansieht, was zu unseren Lebzeiten sich im Bereich der Ökumene entwickelt hat, dann kann man nur staunen und von ganzen Herzen dankbar sein. Das hätte vermutlich vor 50 Jahren niemand erwartet. Der Besuch von Johannes Paul II. von 1983 zeigt vermutlich, wie prophetisch und visionär Johannes Paul II. gewesen ist, dass er auch in einem Lutherjahr bereit war, zum ersten Mal nach fast 500 Jahren Trennung in eine evangelisch-lutherische Kirche zu kommen und dort die Tür zu öffnen, zu sagen, wir stehen am Morgen eines Neubeginns, das Morgenrot ist zu sehen – das zeigt, dass er da sehr weit vorausgeschaut hat. Der Besuch 2010 durch Benedikt XVI. war ein weiterer wichtiger Schritt auf diesem Weg, auch Papst Benedikt hat wichtige Impulse zur Ökumene gegeben, indem er uns beim Besuch in der Christuskirche daran erinnert hat, dass es viel wichtiger ist, auf das zu achten, was wir gemeinsam haben und auch gemeinsam tun können, als über das zu jammern, was uns im Moment noch trennt; um dann 2015 den Besuch von Papst Franziskus zu erleben, der sich auch nochmal von der Form sehr unterschieden hat. Da sieht man auch, dass wir nochmal einen Schritt weiter aufeinander zugegangen sind, denn Papst Franziskus wollte tatsächlich mit der Gemeinde ins Gespräch kommen. Und so hat es zum ersten Mal in der Geschichte der Ökumene einen Dialog zwischen einem Papst und einer evangelischen Gemeinde gegeben, mit Fragen, die aus der Gemeinde gestellt wurden, auf die der Papst dann geantwortet hat, und er hat auch gestern bei der Audienz nochmal klargemacht, wie dankbar er für die Begegnung bei uns in der Kirche war; er sagte, das war der Anfangspunkt, um jetzt bei den Fragen, die noch ungelöst sind, wie dem gemeinsamen Abendmahl, weiterzukommen. Andate avanti, hat Papst Franziskus bei uns der Kirche gesagt, und er hat gestern nochmals unterstrichen, dass er das ganz, ganz ernst meint.“

Frage: Er hat Ihrer Gemeinde diesen Abendmahlskelch geschenkt, das ist ja ein geradezu unglaubliches Gastgeschenk eines Papstes an eine evangelische Kirche. Wie kann es denn jetzt weitergehen mit der Abendmahlsgemeinschaft – einfach machen?

Kruse: „Der Kelch ist ein Zeichen, das uns zum einen daran erinnert, das wir in derselben Weise Abendmahl, Eucharistie feiern und überzeugt sind, dass dasselbe geschieht, nämlich dass Jesus Christus gegenwärtig ist unter Brot und Wein; und zugleich ist es ein Zeichen das uns erinnert, wir müssen noch ein Stück gemeinsam gehen auf dem Weg, wir sind noch nicht am Ziel, und wir feiern jetzt jeden Abendmahlskelch Abendmahl, um uns daran zu erinnern, dass wir noch eine Verpflichtung haben: das, was noch nicht möglich ist, möglich zu machen, aber zugleich erinnert uns der Kelch auch daran, dass diese Ziel nahe ist.“

Frage: Kurz zurück zum ersten Besuch eines Papstes in einer evangelischen Kirche: Johannes Paul 1983 in der römischen Christuskirche. Es lässt sich leicht vorstellen, dass mit diesem Schritt damals nicht alle Christen hüben und drüben glücklich waren, nicht?

Kruse: „Das ist in der Tat so gewesen, sowohl in der römisch-katholischen Hierarchie als auch in der evangelisch-lutherischen Kirche und Hierarchie hat es 1983 doch sehr viel Stirnrunzeln und Zurückhaltung gegeben. Die Mitglieder des Vorstands unserer Kirchengemeinde, die damals dabei waren, erzählen das schön, wie es zu der Begegnung mit Johannes Paul gekommen ist. Er war nämlich im Jahr vorher, 1982, in der (katholischen) Nachbargemeinde Santa Teresa d´Avila zu Besuch, und da wir in dem Viertel, wo unsere Kirche ist, schon lange ausgezeichnete Beziehungen zu den unterschiedlichen Pfarreien haben, war eben auch unser Gemeindevorstand eingeladen zu dieser Begegnung mit Johannes Paul II. Nach der Messe wurden alle Teilnehmenden dem Papst vorgestellt, und einer unserer evangelischen Kirchenvorsteher damals fasste sich ein Herz und sagte, Heiliger Vater, kommen Sie doch einmal auch uns besuchen! Dann soll Johannes Paul II. gesagt haben: Ja, lassen Sie uns gehe – und wollte sofort in die Christuskirche über die Straße gehen. Doch dann kriegten die Prälaten rundherum und unser Gemeindevorsteher kalte Füße und man verständigte sich darauf, das in aller Ruhe vorzubereiten. Ein Jahr später kam es zu dieser Begegnung, und sowohl der damalige Pfarrer als auch der Gemeinderat mussten eine Menge Kritik einstecken: Von der EKD in Deutschland, vom lutherischen Weltbund in Genf, was sich eigentlich diese kleine Gemeinde in Rom erlaubt, hier so einfach Ökumene zu machen. Daran sieht man, wie das vor 35 Jahren noch eine andere Atmosphäre war. Ich bin sehr dankbar für diesen ersten Besuch, auch Papst Johannes Paul II., weil er einfach so visionär gewesen ist, sich von so kleinlichen Bedenkenträgern nicht hat hindern lassen, auch in seiner eigenen Kirche, und hat gesagt, es ist wichtig, dass wir als Christen zusammenkommen, und noch viel stärker entdecken, was wir gemeinsam haben.

Frage: Mut und Weitsicht hat aber auch Papst Benedikt XVI. bewiesen, als er Erfurt besuchte und in Luthers Augustinerkloster Luther ausdrücklich würdigte. Sie haben von den sieben Jahren des Pontifikats von Benedikt fünf in Rom miterlebt, wie schätzen Sie seinen Beitrag zur Ökumene mit den Lutherkirchen ein?

Kruse: „Ein durchaus positives Fazit: Mit Benedikt haben wir einen Papst gehabt, der die Wirklichkeit der lutherischen Kirchen und die Theologie Luthers ausgezeichnet kennt, jemanden, der über viele Jahrzehnte den ökumenischen Dialog jahrzehntelang mitverantwortet hat an herausgehobener Stelle, und der tatsächlich auch mit seinem Besuch in Erfurt Mut bewiesen hat, und im Kloster eine geradezu geniale Rede gehalten hat, in der er Martin Luther gewürdigt hat in seiner Theologie und als Gottsucher. Mir scheint, dass das Potential dieser Rede von Benedikt in Erfurt noch nicht richtig ausgeschöpft ist. Da liegen Ansätze drin, von einer Wertschätzung Luthers und einem Ernstnehmen der evangelischen Kirche und ihrer Wirklichkeit, die im Nachgang nicht rezipiert worden sind, und da denke ich, dass über das Fazit der Ökumene unter Papst Benedikt noch nicht das letzte Wort gesprochen ist und dass mit mehr Abstand deutlicher werden wird, wie wegweisend die Impulse auch von Papst Benedikt XVI. gewesen sind.“

Frage: In Hamburg werden Sie viel erklären müssen über den Vatikan und den Papst. Wie legen Sie das an? Was werden Sie erzählen?

Kruse: „In der Tat wird das eine Aufgabe werden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass nördlich der Alpen der Blick auf den Vatikan durchaus ambivalent ist, dass nicht wirklich wahrgenommen wird, wie sich das in Rom darstellt. Manches ist hier in Rom viel einfacher und unkomplizierter, und ich denke, dass das eine Bereicherung sein kann auch für die Ökumene in Deutschland wahrzunehmen, wie viel Schwung und Aufbruch es im Moment in Rom unter Papst Franziskus gibt. Ich vermute, dass man mir die Freude und die Begeisterung über Papst Franziskus abspüren wird, und ich freue mich, neugierige und offene Gesprächspartner zu finden, die vielleicht auch eine ihnen fremde römische Wirklichkeit kennenlernen wollen, sodass sich möglicherweise das Bild differenzierter darstellt.

Frage: Bei der Abschiedsaudienz mit Papst Franziskus waren Sie mir Ihrer Frau und den drei Kindern, sind das auch alles so große Papstfans wie Sie?

Kruse: „Wir sind alle verzaubert von den Begegnungen mit Papst Franziskus, gerade die gestrige hat uns alle beeindruckt und begeistert; diese Nähe zu Papst Franziskus, diese Freundschaft zu ihm, diese vertrauenswolle Austausch, das ist ein großes Geschenk, das haben wir alle fünf so wahrgenommen. Es war für uns auch als Eltern berührend zu sehen, wie der Papst sich freut, die Kinder wiederzusehen, wie er mit ihnen gesprochen und gescherzt hat, und wie such auch eine große Fröhlichkeit über alle Anwesenden ausgebreitet hat, also auch die Prälaten, die mit dabei waren, es war eine heitere, fröhliche, herzliche Stimmung.“

Frage: Bisher kamen für die Stelle an der Christuskirche in Rom, die mit Ihrem Weggang vakant wird, ausschließlich männliche Pastoren in Betracht, und zwar mit dem nur inoffiziell benannten Grund, weil das angeblich die Kontakte mit dem Vatikan erleichtert. Ist nun vielleicht die Zeit reif für eine Pastorin in Rom?

Kruse: „Auf jeden Fall spielt diese Frage in der Ökumene in Rom heute keine große Rolle mehr. Auch da hat sich vieles verändert. Ich glaube, heute geht es um Qualität der Arbeit, die Qualität der Theologie, persönliche Verlässlichkeit und eine vertrauensvolle Beziehung, das Geschlecht spielt eine untergeordnete Rolle, und das ist eine gute und richtige Entwicklung. Von daher hat die Gemeinde in Rom eine Auswahl. Es gibt unter den drei Bewerbern eine Kandidatin. Schauen wir mal!“

Gudrun Sailer im Gespräch mit Pastor Jens-Martin Kruse: Hier zum Hören

 

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14. Januar 2018, 13:56