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Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut

Wir dokumentieren hier den Wortlaut der Katechese, die Papst Franziskus an diesem Mittwoch gehalten hat, in in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Wir befassen uns weiter mit dem Thema der Unterscheidung. Beim letzten Mal haben wir das Gebet, verstanden als Vertrautheit und Vertrauen zu Gott, als sein unverzichtbares Element betrachtet. Es geht um das Gebet, aber nicht wie Papageien. Nein: Gebet als innige Vertrautheit und Vertrauen zu Gott; das Gebet der Kinder zum Vater; ein Gebet mit einem offenen Herzen. Das haben wir in der letzten Katechese gesehen. Heute möchte ich als eine Art Ergänzung betonen, dass eine gute Unterscheidung auch Selbsterkenntnis erfordert. Sich selbst kennen. Und das ist gar nicht so einfach, stimmt`s? Denn es geht um unsere menschlichen Fähigkeiten: Gedächtnis, Verstand, Wille, Gefühle. Wir können oft nicht unterscheiden, weil wir uns selbst nicht gut genug kennen und daher nicht wissen, was wir wirklich wollen. Sicher habt ihr das schon oft gehört: "Aber dieser Mensch da, warum bringt er sein Leben nicht in Ordnung? Er hat nie gewusst, was er will ...". Und deshalb verläuft sein Leben ja auch so - weil er auch nicht weiß, was er will. Ohne gleich in dieses Extrem zu verfallen - aber es passiert auch uns, dass wir nicht wissen, was wir wollen, dass wir uns selbst nicht gut kennen.

Hinter geistlichen Zweifeln und Berufungskrisen steht nicht selten ein unzureichender Dialog zwischen dem Ordensleben und unserermenschlichen, kognitiven und affektiven Dimension. Ein spiritueller Autor hat betont, dass viele Schwierigkeiten beim Thema Unterscheidung auf Probleme anderer Art verweisen, die erkannt und erforscht werden müssen. Er schreibt: „Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass das größte Hindernis für eine echte Unterscheidung und für echtes Wachstum im Gebet nicht die Ungreifbarkeit Gottes ist, sondern die Tatsache, dass wir uns selbst nicht ausreichend kennen, ja uns nicht einmal so kennen wollen, wie wir wirklich sind. Fast jeder von uns versteckt sich hinter einer Maske, nicht nur vor den anderen, sondern auch, wenn er in den Spiegel schaut“ (TH. GREEN, Weeds among the wheat: where prayer and action meet, Ave Maria Press, 1984). Wir alle sind dieser Versuchung ausgesetzt, eine Maske zu tragen, auch vor uns selbst. 

Die Gottvergessenheit in unserem Leben geht mit der Unkenntnis über uns selbst - der Unkenntnis über Gott und der Unkenntnis über uns  selbst - einher, der Unkenntnis über die Merkmale unserer Persönlichkeit und unsere tiefsten Sehnsüchte. 

Sich selbst zu kennen, ist nicht schwer, aber anstrengend: Es erfordert ein geduldiges Erforschen unseres Innersten. Es erfordert die Fähigkeit, innezuhalten, den „Autopiloten“ abzuschalten, sich der Art und Weise bewusst zu werden, wie wir Dinge tun; der Gefühle, die in uns beseelen, der immer wiederkehrenden Gedanken, die uns beeinflussen, oft ohne dass wir uns dessen bewusst wären. Und es erfordert auch, dass wir zwischen Emotionen und geistigen Fähigkeiten unterscheiden. „Ich fühle“ ist nicht dasselbe wie „ich bin überzeugt“; „mir ist danach“ ist nicht dasselbe wie „ich will“. So erkennen wir, dass die Sicht, die wir von uns selbst und von der Realität haben, manchmal ein wenig verzerrt ist. Das zu erkennen, ist eine Gnade! In der Tat kommt es oft vor, dass uns falsche Überzeugungen in Bezug auf die Realität, die auf früheren Erfahrungen beruhen, stark beeinflussen und die Freiheit einschränken, das zu tun, was in unserem Leben wirklich wichtig ist.

Wir leben im Zeitalter der Informationstechnologie und wissen, wie wichtig es ist, Passwörter zu kennen, um in Programme zu gelangen, in denen persönliche und wertvolle Informationen gespeichert sind. Aber auch das geistliche Leben hat seine „Passwörter“: Es gibt Worte, die das Herz berühren, weil sie sich auf das beziehen, wofür wir besonders empfänglich sind.

Der Verführer - also der Teufel - kennt diese Passwörter gut, und es ist wichtig, dass auch wir sie kennen, damit wir uns nicht dort wiederfinden, wo wir nicht sein wollen. Die Versuchung schlägt uns nicht unbedingt schlechte Dinge vor, aber Dinge, die ungeordnet sind und mit übertriebener Wichtigkeit präsentiert werden. Auf diese Weise hypnotisiert sie uns mit der Faszination, die diese Dinge auf uns ausüben: Dinge, die schön, aber illusorisch sind, die nicht halten können, was sie versprechen, und am Ende ein Gefühl der Leere und der Traurigkeit in uns zurücklassen. Dieses Gefühl der Leere und der Traurigkeit ist ein Zeichen dafür, dass wir einen Weg eingeschlagen haben, der nicht der richtige war, der uns in die Irre geführt hat. Das kann ein Abschluss, eine Karriere oder eine Beziehung sein - alles Dinge, die an sich lobenswert sind, an die wir aber, wenn wir nicht frei sind, unrealistische Erwartungen knüpfen, wie zum Beispiel die Bestätigung unseres Wertes. Wenn du zum Beispiel an ein Studium denkst, dem du dich widmest:  denkst du da nur daran, dich selbst zu profilieren, an dein Eigeninteresse, oder tust du es auch, um der Gemeinschaft zu dienen? Dort können wir sehen, was unsere Absichten sind. Aus diesem Missverständnis erwächst oft das größte Leid, denn nichts von alledem kann die Garantie für unsere Würde sein.

Deshalb ist es wichtig, liebe Brüder und Schwester, uns selbst kennen; zu lernen, die Passwörter unseres Herzens zu kennen, zu wissen, wofür wir am empfindlichsten sind, uns vor denen zu schützen, die mit überzeugenden Worten daherkommen, um uns zu manipulieren. Aber wir müssen auch erkennen, was uns wirklich wichtig ist, und es von den Moden des Augenblicks, den auffälligen und oberflächlichen Slogans unterscheiden. Oft berührt das, was in einer Fernsehsendung oder in einem Werbespot gesagt wird, unser Herz und lässt uns unfreiwillig diese Richtung einschlagen. Fragt euch also: Bin ich frei oder lasse ich mich von den Gefühlen des Augenblicks, den Provokationen des Augenblicks leiten?

Eine Hilfe dabei ist die Gewissenserforschung - und dabei meine ich nicht die Gewissenserforschung, die wir alle machen, wenn wir zur Beichte gehen, nein: "Ich habe auf diese oder andere Weise gesündigt...". Nein. Die tägliche Gewissenserforschung, die fragt: Was ist heute in meinem Herzen geschehen? "So viele Dinge sind passiert ...". Welche? Warum? Welche Spuren haben sie im Herzen hinterlassen? Die Gewissenserforschung, also die gute Gewohnheit, die Ereignisse unseres Tages in aller Ruhe zu überprüfen und zu lernen, was bei unseren Bewertungen und Entscheidungen zu beachten ist, was wir für wichig halten, wonach wir suchen und warum - und was wir schließlich gefunden haben. Vor allem aber muss man erkennen lernen, was dem Herzen Erfüllung gibt. Was gibt meinem Herzen Erfüllung? Denn nur der Herr kann uns die Gewissheit geben, dass wir wertvoll sind. Das sagt er uns jeden Tag am Kreuz: Er ist für uns gestorben, um uns zu zeigen, wie wertvoll wir in seinen Augen sind. Es gibt kein Hindernis und kein Versagen, die eine zärtliche Umarmung von ihm verhindern könnte.

Die Gewissenserforschung ist eine große Hilfe, denn so sehen wir, dass unser Herz keine Straße ist, die an allem vorbeiführt und die wir nicht kennen. Nein. Was ist heute passiert? Wie habe ich reagiert? Was hat mich traurig gemacht? Was hat mir Freude bereitet? Was war schlecht, habe ich andere verletzt? Die Gefühle, die Anziehungskräfte im Herzen sehen... Vergesst das nicht! Neulich haben wir über das Gebet gesprochen, heute sprechen wir über die Selbsterkenntnis.

Gebet und Selbsterkenntnis ermöglichen es uns, in der Freiheit zu wachsen. Wir brauchen sie, um in der Freiheit zu wachsen! Sie sind die Grundelemente des christlichen Lebens, wertvolle Elemente, die uns helfen, unseren Platz im Leben zu finden. Danke.

(vaticannews - übersetzung: silvia kritzenberger)

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05. Oktober 2022, 09:53

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