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Die Kathedrale von Karaganda in Kasachstan Die Kathedrale von Karaganda in Kasachstan 

Kasachstan: Ein Blick auf das Land vor der Papstreise

Papst Franziskus besucht Kasachstan von 13. bis 15. September. Das zentralasiatische Land hat eine lange Tradition des friedlichen Zusammenlebens von Religionen. Wir sprachen mit Angelika Schmähling, Kasachstan-Referentin beim katholischen Hilfswerk Renovabis.

Radio Vatikan: Kasachstan ist ein Land, in dem von der Weltöffentlichkeit selten beachtet Gläubige der verschiedenen Religionen gut und friedlich zusammenleben. 95 Prozent der Menschen dort gehören entweder dem Islam oder dem Christentum an, die Mehrheit dem Islam. Wie sieht denn dieses Zusammenleben von Gläubigen verschiedener Religionen im Alltag aus?

Angelika Schmähling: Kasachstan ist ein Land mit vielen Ethnien und entsprechend mehreren Religionen. Die weitaus größten Ethnien sind Kasachen und Russen. Dazu kommen Usbeken, Ukrainer, Uiguren, noch viele andere Gruppen. Und es ist eben so, dass die Kasachen traditionell Muslime sind. Die meisten Russen sind russisch-orthodox, die Katholiken haben oft deutsche, polnische oder litauische Wurzeln. Diese Gruppen leben teils miteinander, teils auch einfach nebeneinander. Als Folge der Sowjetunion sind viele Menschen doch recht säkular in Kasachstan und praktizieren ihre Religionen nur noch an hohen Fest -und Feiertagen. Da spielt die Religion im Alltag nicht mehr eine so große Rolle. Was natürlich auch heißt, dass es nicht so viel religiöse Konflikte gibt. Und was man sagen kann, ist, dass der Staat doch alles in allem sehr tolerant ist gegenüber den Religionen.

Radio Vatikan: Die meisten christlichen Gläubigen in Kasachstan gehören zur orthodoxen Kirche. Katholische Gläubige sind nur eine kleine Minderheit. Was ist denn das für eine orthodoxe Kirche? In Anbetracht der Geschichte eher nach Russland hin orientiert? Kasachstan wurde ja 1991 von der Sowjetunion unabhängig.

Ja, natürlich: Die orthodoxe Kirche in Kasachstan gehört zum Moskauer Patriarchat. Das ist eine Metropolie, die dem Patriarchat untersteht. Passt ja auch, weil eben die meisten orthodoxen Christen in Kasachstan ihre Wurzeln in Russland haben. Die Priesterausbildung zum Beispiel fand dann auch lange in Russland statt. Erst seit 2016 gibt es ein eigenes Priesterseminar in Almaty im Süden des Landes. Das ist sehr wichtig, weil dadurch die Kirche, auch wenn sie zum Moskauer Patriarchat gehört, eben ihre eigene Identität entwickeln kann.

„Islam ist in Kasachstan eine sehr friedliche Gruppe, eine sehr tolerante Religion“

Radio Vatikan: Wie stehen denn die orthodoxen Gläubigen in Kasachstan zum Krieg in der Ukraine?

Angelika Schmähling: Als ich jetzt im Juni im Land war, hatte ich den Eindruck, dass der Krieg jetzt nicht so eine große Rolle gespielt hat. Da waren zum Beispiel eher die Unruhen im Januar Thema. Aber natürlich werden sich die Leute schon auch Gedanken machen, wie es in der langfristigen Konsequenz weitergehen soll mit den Beziehungen zwischen Russland und Kasachstan.

Radio Vatikan: Kasachstan hat nach einer Reihe islamistischer Terroranschläge 2011 strenge Gesetze erlassen, die allerdings auf der anderen Seite, also die für mehr Sicherheit sorgen, aber die die Religionsfreiheit insgesamt einschränken. Und darunter leiden in erster Linie Muslime. Wie kommt das?

Ja, sicher leiden die Muslime immer am meisten, weil sie die größte Gruppe sind. Auch in Kasachstan ist die Gefahr des fundamentalistischen Islam. Wie gesagt, Islam ist in Kasachstan eine sehr friedliche Gruppe, eine sehr tolerante Religion. Aber auch in Kasachstan haben sich leider einige Gruppen radikalisiert, bzw. junge Menschen wurden angeworben, dann auch durch Terrorgruppen. Und logischerweise besteht diese Sorge vor den Hinterhofmoscheen. Und deswegen hat der Staat eben einige Gesetze erlassen, die dann leider auch alle Religionsgruppen betreffen. Also beispielsweise müssen in Kirchen oder Moscheen Überwachungskameras installiert werden, was natürlich schon recht kritisch ist. Es gibt recht strenge Aufgaben für Jugendarbeit oder auch: Soziale Aktivitäten sollen klar vom Pastoralen getrennt werden, damit Leute eben nicht über soziale Hilfe dann irgendwo angeworben werden. Wie gesagt, es ist schade, dass dadurch die Religionen eingeschränkt werden.

„In Nursultan muss einfach alles ein bisschen größer sein“

Radio Vatikan: Im August wurde in Nursultan die größte Moschee Zentralasiens eröffnet. 35.000 Gläubige haben darin Platz. Wofür steht so eine große Moschee? Was will uns Kasachstan damit sagen?

Angelika Schmähling: Die Moschee habe ich selber gesehen, auf der Fahrt zum Flughafen. Es ist ein gigantisches Gebäude. Ich muss auch sagen, es ist etwas befremdlich, dass in der Hauptstadt nun schon die dritte große Moschee gebaut wird. Aber Sie müssen sich vorstellen, Nursultan ist eine künstliche Hauptstadt. Die wurde vor 25 Jahren quasi aus der Steppe gestampft, und der Architekturstil ist einfach nur verrückt. Da gibt es Glaspaläste, Wolkenkratzer, Triumphbögen, was auch immer. In Nursultan, wie die Stadt heute heißt, muss einfach alles ein bisschen größer sein. Und es gibt da auch die größte Synagoge von Zentralasien. Daher kann man das mit der Großmoschee, denke ich, etwas relativieren.

Radio Vatikan: Das heißt, es ist keine politische Aussage damit verbunden?

Angelika Schmähling: Sehe ich eher so nicht. Klar, es ist sicher ein Statement. Der frühere Präsident hatte auch den Grundstein gelegt und wollte offensichtlich, dass der Islam auch so sichtbar ist. Und ja gut, es muss ja wohl auch größere Sponsoren im Ausland gegeben haben, da tippt man auf Saudi-Arabien.

„Papst will den Dialog mit allen aufrecht erhalten, gerade in dieser politisch schwierigen Situation“

Radio Vatikan: 2001 waren die Anschläge vom 11. September und zwei Jahre später fand in der kasachischen Hauptstadt Nursultan, die damals noch Astana hieß, der erste internationale Religionskongress für den Frieden statt. Und das hat sich dann alle drei Jahre wiederholt, dieser Kongress. Dieses Jahr reist auch Papst Franziskus dorthin. Welchen Stellenwert hat dieser Religionskongress so im ganzen Panorama des interreligiösen Dialogs?

Angelika Schmähling: Ich habe jetzt so von außen gesehen den Eindruck, dass das bislang hauptsächlich in Kasachstan rezipiert wurde. Es ist sicher auch so, dass der Staat sich damit profilieren möchte, wobei es natürlich auch grundsätzlich schön ist, dass ein Forum für den Austausch der Religionen geboten wird. Also bestimmt wird der Papstbesuch da jetzt eine ganz andere Aufmerksamkeit als bisher auf diesen Kongress lenken, was natürlich grundsätzlich zu wünschen ist.

Radio Vatikan: Welches Interesse hat Papst Franziskus aus Ihrer Sicht, zu diesem Kongress zu kommen? Haben Sie da eine Einschätzung?

Angelika Schmähling: Ich bin schon der Meinung, dass er hauptsächlich Patriarch Kyrill treffen wollte. Und da wäre Kasachstan schon ein ganz guter Treffpunkt gewesen, weil der Staat, das kann man sagen, neutral ist, immerhin ein mehrheitlich muslimisches Land, wenn auch zum Moskauer Patriarchat gehörig. 2016 hat man ja das Treffen auf Kuba. Andererseits wird der Papst sicher diese doch anstrengende Reise nicht planen, wenn er nicht auch die anderen Religionsführer treffen möchte. Und das spricht ja nun wieder für ihn, dass er den Dialog mit allen aufrecht erhalten möchte, gerade eben in dieser politisch schwierigen Situation. Und dann natürlich gehört dazu, dass er auch eine Pastoralreise anschließt. Zuletzt war 2001 Papst Johannes Paul II. in Kasachstan. Eine lange Zeit, dass niemand mehr dort vor Ort war.

Radio Vatikan: Warum war es absehbar, dass der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill nicht nach Kasachstan zum Kongress der Religionen reist?

Angelika Schmähling: Ich bin nicht sicher, ob das so absehbar war. Ich hätte mir schon vorstellen können, dass er die Gelegenheit nutzt. Die orthodoxe Kirche hat jetzt natürlich die Ablehnung damit begründet, dass so ein hochrangiges Treffen nicht am Rande eines Kongresses stattfinden soll. Genau das wäre aber auch die Chance gewesen, diesem Treffen nicht zu viel Bedeutung beizumessen, sondern das so quasi nebenbei zu machen. Gut, die orthodoxe Kirche hat sich so entschieden. Hoffen wir einfach, dass es andere Möglichkeiten zum Dialog gibt. Ob es nun in der Öffentlichkeit ist oder eher im Privaten.

„An sich hat ja Kasachstan ein gutes Verhältnis zu Russland“

Radio Vatikan: Wie groß ist denn in Kasachstan im Angesicht des Krieges in der Ukraine die Angst vor dem großen Nachbarn Russland? Die gesamte nördliche Grenze Kasachstans ist ja die zu Russland. Wie groß ist die Angst vor diesem Nachbarn?

Angelika Schmähling: An sich hat ja Kasachstan ein gutes Verhältnis zu Russland. Wie gesagt, ein Drittel der Bevölkerung stammt aus Russland, hat russische Wurzeln. Es bestehen sehr enge Verbindungen, wirtschaftliche Verbindungen, sogar militärische Verbindungen, die allerdings natürlich auch eine Abhängigkeit bedeuten. Also da werden wir mal schauen müssen, wie es weitergeht, wie die Politiker, die Regierung, der Präsident sich positionieren. Es gibt ja auch noch China als den anderen Nachbarn im Osten. Das hießt, das Verhältnis Kasachstans zu Russland, zu China, zur EU - da wird sich das Land sicher neu positionieren müssen. Was das denn für die Bevölkerung heißt, wird man sehen müssen. Also in jedem Fall spürt Kasachstan schon die Folgen der Sanktionen gegen Russland durch diese engen Verknüpfungen, zum Beispiel, dass viele Banken russisch sind und es nun auch in Kasachstan Schwierigkeiten gibt, an sein Erspartes zu kommen.

Radio Vatikan: Was kann der Papstbesuch in Kasachstan bewirken? Für das Land, für die Kirche, für den Dialog der Religionen und für die Geschwisterlichkeit?

Angelika Schmähling: Die Reise besteht aus zwei Teilen. Einerseits haben wir diesen Kongress der Weltreligionen, der andere Teil ist eine pastorale Reise. Da denke ich natürlich vor allem an die Katholikinnen und Katholiken im Land und in der ganzen Region, denn es ist ja eine Diasporakirche und für die Gläubigen ist es eine ganz große Ermutigung, wenn der Papst kommt. Das ist eine riesengroße Feier und das ist für die Menschen natürlich wichtig zu sehen, dass sie nicht allein sind. Und ich hoffe, dass sich viele Menschen begeistern lassen, weil die Anreise ist doch auch für sie aufwendig. In Kasachstan waren die letzten zwei Jahre die Kirche wegen der Pandemie zum Teil auch geschlossen und auch da müssen die Leute erst wieder dazu gebracht werden, regelmäßig in den Gottesdienst zu kommen. Da erhoffe ich mir eine gewisse Begeisterung.

Ein anderer Aspekt ist kein ganz einfacher Aspekt: Einige Bischöfe aus Kasachstan haben in den letzten Jahren Papst Franziskus vehement kritisiert, unter anderem im Kontext von Amoris Laetitia. Und da erhoffe ich mir, dass auch innerkirchlich wieder ein Dialog entsteht, dass der Papst seine Positionen vermitteln kann. Also diese Schlagwörter, dass Kirche für die Menschen da sein soll, dass Kirche an die Ränder gehen soll, dass die Kirche ein Feldlazarett sein soll und eben nicht dieses goldglänzende Etwas. Und andererseits, dass auch die Gläubigen, Bischöfe, Priester in Kasachstan ihre Positionen, ihre Ängste klar machen können in kirchlichen Diskussionen. Und da erhoffe ich mir, so wie wir eben jetzt vom interreligiösen Dialog reden, dass ein innerkirchlicher Dialog wieder gestärkt wird.

Die Fragen stellte Gudrun Sailer. Sie wird als Korrespondentin während der Papstreise für uns vor Ort sein.

(vatican news – gs)

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07. September 2022, 12:59