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Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut

Lesen Sie hier die Katechese, die Franziskus bei seiner Generalaudienz gehalten hat. Sämtliche Wortmeldungen des Papstes in offizieller deutscher Fassung finden Sie auf der Internetseite des Vatikans, www.vatican.va.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag und herzlich willkommen!

Heute denken wir weiter über das Thema Alter, über die Großeltern nach. Alter, das scheint ein häßliches Wort, aber alte Menschen sind grandios, sie sind schön!

Heute werden wir uns von dem wunderbaren Buch Rut inspirieren lassen, einem wahren Juwel der Bibel. Das Gleichnis von Rut beleuchtet die Schönheit der Familienbande: Bande, die durch die Beziehung eines Paares entstehen, aber auch darüber hinausgehen. Bande der Liebe, die ebenso stark sein können und die Vollkommenheit jenes Polyeders grundlegender Zuneigungen ausstrahlen, die die „Familien-Grammatik“ der Liebe ausmachen. Eine Grammatik, die der Gesamtheit der Beziehungen, die die Gemeinschaft bilden, Lebenssaft und Weisheit schenkt. Verglichen mit dem Hohelied ist das Buch Rut wie die andere Tafel des Diptychons der ehelichen Liebe. Es ist genauso wichtig, genauso unerlässlich, weil es nämlich die Kraft und die Poesie preist, die den Familien- und Generationsbanden, den Banden der Hingabe und der Treue innewohnen müssen, die die Familien-Konstellationen ausmachen. Bande, die sogar in den dramatischen Momenten des Lebens eines Paares eine unvorstellbare Kraft der Liebe hervorzubringen vermögen, die Hoffnung schenkt und die Zukunft in einem neuen Licht erstrahlen lässt.

Wir wissen, dass die gängigen Klischees über Verwandtschaftsbande, die durch die Ehe entstehen – besonders die zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter –, nicht dieser Sichtweise entsprechen. Aber gerade das macht das Wort Gottes ja so wertvoll. Die Inspiration des Glaubens kann einen Horizont des Zeugnisses eröffnen, der gängige Vorurteile Lügen straft. Einen Horizont, der für die gesamte menschliche Gemeinschaft wertvoll ist. Ich lade euch ein, das Buch Rut neu zu entdecken! Vor allem in der Meditation über die Liebe und in der Katechese über die Familie.

Unsere Redakteurin Gudrun Sailer trug das deutsche Grußwort des Papstes vor
Unsere Redakteurin Gudrun Sailer trug das deutsche Grußwort des Papstes vor

„Das Alter kann der verwundeten Jugend die Zukunft neu eröffnen“

Dieses kleine biblische Buch erteilt uns auch eine wertvolle Lektion über den Generationen übergreifenden Zusammenhalt in der Familie: Dort, wo sich die Jugend fähig zeigt, dem reifen Alter den Enthusiasmus zurückzugeben..., kann das Alter der verwundeten Jugend die Zukunft neu eröffnen. So ist die betagte Noomi am Anfang ja auch gerührt von der Zuneigung ihrer verwitweten Schwiegertöchter, aber dennoch pessimistisch, was ihr Schicksal bei einem Volk angeht, das nicht das ihre ist. Deshalb ermutigt sie die jungen Frauen ja auch liebevoll, zu ihren Familien zurückzukehren und sich dort ein neues Leben aufzubauen. Die Frauen waren noch jung, aber schon Witwen. „Ich kann nichts mehr für euch tun,“ sagt sie ihnen. Und schon das scheint ein Akt der Liebe zu sein: Die alte Frau, die keinen Mann und keine Söhne mehr hat, besteht darauf, dass sich ihre Schwiegertöchter von ihr trennen. Aber es ist auch eine Art Resignation: Für Witwen aus der Fremde, die keine Ehemänner mehr haben, die sie beschützen können, gibt es keine Zukunft. Und Rut weiß das.

Dennoch lehnt sie das großzügige Angebot der Schwiegermutter ab. Das Band, das zwischen ihnen geknüpft wurde, ist von Gott gesegnet: Noomi kann nicht verlangen, zurückgelassen zu werden. Zunächst scheint Noomi über das Angebot aber eher resigniert denn glücklich zu sein: Vielleicht denkt sie, dass diese seltsame Verbindung das Risiko für beide erhöht. Doch in bestimmten Fällen müssen die Jungen der Tendenz der Alten zum Pessimismus liebevoll, aber bestimmt entgegenwirken.

„In bestimmten Fällen müssen die Jungen der Tendenz der Alten zum Pessimismus entgegenwirken“

Tatsächlich wird Noomi, von der Hartnäckigkeit Ruts gerührt, ihren Pessimismus überwinden, ja sogar die Initiative ergreifen, Rut eine neue Zukunft zu ermöglichen. Sie fordert Rut, die Witwe ihres Sohnes, auf, sich in Israel einen neuen Ehemann zu suchen. Boas, der Heiratskandidat, beweist seinen Edelmut, indem er Rut gegen die Männer verteidigt, die bei ihm arbeiten. Leider ist dies ein Risiko, das auch heute besteht.

Ruts neue Ehe wird geschlossen, und die Welt ist wieder in Ordnung. Die Frauen Israels sagen Noomi, dass Rut, die Fremde, „mehr wert ist als sieben Söhne“ und dass die Heirat ein Segen des Herrn sein werde. Noomi, die voller Bitterkeit war..., erlebt nun eine Art Wiedergeburt. Ihr wird in hohem Alter noch die Freude zuteil, zur Entstehung einer neuen Generation beizutragen. Wie viele „Wunder“ begleiten die Bekehrung dieser alten Frau! Sie bekehrt sich zu der Verpflichtung, voller Liebe zur Zukunft einer Generation beizutragen, die von Verlusten verwundet und von Verlassenheit bedroht ist. Die Ausgangsbasis für den Neubeginn ist das, was den gängigen Vorurteilen zufolge unüberwindbare Brüche erzeugen müsste. Doch stattdessen ermöglichen Glaube und Liebe die Überwindung dieser Vorurteile: Die Schwiegermutter überwindet die Eifersucht auf den Nachfolger ihres Sohnes..., indem sie die neue Verbindung Ruts mit Liebe betrachtet; die Frauen Israels überwinden ihr Misstrauen gegenüber den Fremden (und wenn es die Frauen tun, werden es alle tun); die Verletzlichkeit des einsamen Mädchens, das sich der Macht des Mannes ausgeliefert sieht, wird durch eine Verbindung versöhnt, die von Liebe und Respekt getragen ist.

„Die jungen sollen mit den alten Menschen sprechen, und umgekehrt“

Und das alles nur, weil die junge Rut hartnäckig an einer Verbindung festgehalten hat, die ethnischen und religiösen Vorurteilen ausgesetzt war. Hier will ich das aufgreifen, was am Anfang gesagt wurde: Eine Schwiegermutter kann zwar nicht als Teufel betrachtet werden, aber sie hat ein negatives Image. Dabei ist sie die Mutter deines Mannes! Sehen wir das also nicht so, dass man sie soweit wie möglich fernhalten sollte - nein, sie ist Mutter, und das ist schön! Und wenn Kinder dann selbst Kinder haben und es Enkel gibt, dann blühen Schwiegermütter auf... Manchmal sind sie vielleicht etwas eigen, aber vergesst nicht, dass sie eurem Mann das Leben geschenkt haben... Macht sie glücklich, macht ihnen eine Freude! ... Ich möchte aber auch den Schwiegermüttern sagen: Lasst eurer Zunge nicht immer einfach freien Lauf! ...

Die betagte Noomi ergreift die Initiative, um Rut eine neue Zukunft zu ermöglichen, statt nur ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wenn sich die jungen Menschen der Dankbarkeit für das öffnen, was sie erhalten haben, und die älteren Menschen die Initiative ergreifen, um den Jungen wieder eine Zukunft zu geben, kann nichts das Erblühen des Segens Gottes unter den Völkern aufhalten! Ich kann es nicht oft genug sagen: Die jungen sollen mit den alten Menschen sprechen, und umgekehrt! Das ist ein Band, das gestärkt werden muss, weil es uns alle glücklich machen wird. Möge uns Gott gewähren, in den Familien in Harmonie zu wachsen. Einer konstruktiven Harmonie unter den Generationen - das ist eine schöne Brücke, die wir bewahren und wertschätzen sollten. Vielen Dank!

(vaticannews - skr)

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27. April 2022, 09:22

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